Wir sollen, sagt Jesus, unsere Nächsten lieben, wie uns selbst. Aber mal ganz ehrlich: Freut Ihr Euch darüber, von Euren Nächsten so geliebt zu werden, wie die sich selbst lieben? Ich weiß nicht recht. So viele zweifeln hinter ihrer Fassade an sich selbst oder denken nicht gut von sich oder machen sich kleiner als sie sind. Vielleicht ist das genau das Problem, dass die Leute ihre Nächsten nur so lieben wie sich selbst.
Es ist ja auch nicht so einfach, sich selbst zu lieben. Der selbstverliebte Narziss vor dem Spiegel bleibt einsam, unerfüllt und traurig und ist uns keine Hilfe. Nein, wir lernen, uns gut zu sein, wo jemand gut zu uns ist. Wir lernen uns anzunehmen, wo jemand uns annimmt.
Aber vollkommene Annahme und Güte finden wir beieinander nicht. Nur Gott kann vollkommen lieben. Deshalb geht dem Gebot der Nächstenliebe das Gebot der Gottesliebe voraus.
Egal, ob wir Menschen sind, die begonnen haben, von weitem die Güte Gottes zu ahnen, oder Menschen, deren Leben von einer vertrauenden Beziehung zum göttlichen Du geprägt ist. Jesus sagt uns: Du sollst Gott und seine Güte lieben. Und zwar mit allen Dimensionen Deines Lebens: mit Deinem Herzenund dem, was Du empfindest; mit Deiner Seeleund dem, was Du bist; mit Deinen Gedankenund mit dem, was du denkst, sagst und tust.
Zu dieser Liebe gehört auch, Gottes Ja zu mir anzunehmen. Das sagt er mir durch meine Nächsten – aber auch über sie hinaus durch Jesus Christus und seine Kirche, durch sein Wort und sein verborgenes Wirken.
Je mehr wir uns darin einüben, uns von Gott und den Menschen lieben zu lassen, umso mehr werden wir uns selbst gut sein – und umso mehr werden sich die Menschen darüber freuen, dass wir sie mit Gott so lieben wie uns selbst.
Fra‘ Georg Lengerke