Stephanus: In Freuden und in Schmerzen (Weihnachten III) Apg 6, 8–10; 7, 54–60

Jedes Jahr tut es irgendwie weh: Gestern die Geburt Jesu, heute der Tod des Stephanus. Gestern „Stille Nacht, heilige Nacht“, heute „Mir nach, spricht Christus, unser Held“.

Aber wer z.B. „Zu Bethlehem geboren“ (Friedrich v. Spee) gestern aufmerksam gesungen hat, der kann eigentlich vom Fest des ersten Märtyrers der Kirche heute nicht überrascht sein. Wem ernst damit ist, dass er diesem Kind gehören und es „lieben [will] in Freuden und in Schmerzen, je länger mehr und mehr“, wer sich schließlich fest an den bindet, der in sein „Fleisch und Blut“ gekommen ist, der muss damit rechnen, dass es ihm geht, wie diesem Kind.

Stephanus hat sich an Christus gebunden. So fest, dass die Zeugen in seinem Sterben das Sterben Christi wiedererlebten. Wie Christus betet er für seine Mörder, und wie der Gekreuzigte seine Seele in die Hände des Vaters, so empfiehlt der Gesteinigte die seine in die Hände des auferstandenen Herrn.

Gestern hat Gott in Jesus unsere Lebensgestalt angenommen. Heute nimmt Stephanus die Lebensgestalt Jesu an. Wir könnten es bei Weihnachten belassen: Gott ist in einem Kind zu uns gekommen. Aber dann wäre mit dessen Tod Gottes Besuch vorbei. Und der Ruf des Kindes, mit ihm zu gehen, zu leben und zu lieben, bliebe unbeantwortet.

Stephanus hat geantwortet – als Diakon und Märtyrer, als Diener der Armen und Zeuge für die Wahrheit Gottes. Gerne hätte ich ihn gehört, wie er mit uns an der Krippe singt:

„Lass mich von dir nicht scheiden,
knüpf zu, knüpf zu das Band
der Liebe zwischen beiden,
nimm hin mein Herz zum Pfand.
Eia, eia, nimm hin mein Herz zum Pfand.“

Fra’ Georg Lengerke

Schott Tagesliturgie

Allzu stille Nacht (Weihnachten II) Joh 1,1–18

„Bitte keine stille Nacht“ wirbt eine Münchener Hilfsorganisation für einsame ältere Menschen. Denn für die ist eine wirklich „stille“ Heilige Nacht unerträglich. Aber nicht nur für sie. Viele singen gerührt „Stille Nacht“, aber nur wenige halten sie aus – die Stille.

Dabei brauchen wir sie, um einander hören zu können – besonders die leisen Töne. Die Stille, das Schweigen gehört zum Geheimnis der Weihnacht: „Als tiefes Schweigen das All umfing und die Nacht in ihrem Lauf bis zur Mitte gelangt war, da sprang dein allmächtiges Wort vom Himmel, vom königlichen Thron“, heißt es im Buch der Weisheit (18,14-15a).

Die ersten Christen lasen das als Prophetie über die Menschwerdung: „Das Wort ist Fleisch geworden“ (Joh 1,14). Gott belässt es nicht dabei, dass er zu uns spricht. Er sagt sich selbst aus. Das Wort Gottes, der Logos, der Sinn und die Bedeutung der Welt zeigen sich – in der Gestalt des Menschen Jesus aus Nazareth.

Nun wird häufig gesagt, weil das Wort Fleisch geworden ist, sollten wir von Gott nicht mehr reden, sondern das, was wir glauben, nur noch tun.

Es stimmt, der Kirche täten weniger Gerede, weniger Politiker-Sprech und weniger Allerweltsweisheiten gut.

Und ja, wir sollen auch tun, was wir glauben. Aber wir können das, was wir glauben, nicht tun, wenn wir es nicht vorher gehörthaben. Deshalb sollten wir weniger überGott und mehr mit und von Gott sprechen. Gerade dort, wo es auch am helllichten Tag noch allzu stille Nacht ist.

Gott wird Mensch,
damit wir mit ihm lieben
und seine Liebe erfahrbar machen.
Gott wird Mensch
damit wir mit und von ihm reden
und seine Liebe erkennbar machen.

Komm,
göttliches Kind,
und mach unsere allzu stille Nacht
zur heiligen Nacht.
Amen.

Fra’ Georg Lengerke

Schott Tagesliturgie

Zum Glück gefährlich nahe (Weihnachten I) Lk 2,1–14

Die Hilfsorganisationen der Kirche haben sich die Nähe zum Menschen auf die Fahnen geschrieben. „…weil Nähe zählt!“ tun die Malteser ihren Dienst, und die Caritas will „Nah. Am Nächsten.“ sein.

Die Ansteckungsgefahr hat uns nun in eine heilsame Verlegenheit gebracht. Wir müssen über neue Formen der Nähe und des Daseins für andere nachdenken; und wir werden gefragt, wie es denn um die Nähe Gottes steht, wo wir nicht füreinander da sein können.

An Weihnachten feiern die Christen, dass Gott als ein Mensch die Nähe der Menschen sucht. Auch diese Nähe ist nicht ungefährlich. Und dass sie eine beschauliche Idylle sei, erweist sich als verharmlosende Stimmungsmache.

Die Nähe Gottes ist gefährlich für Gott als Mensch, weil die Menschen ihn auf Abstand halten: Von Bethlehem, wo kein Platz für ihn war, bis nach Jerusalem, wo er außerhalb der Stadt geschändet und umgebracht wird.

Und die Nähe Gottes ist gefährlich für unsere Bequemlichkeit, unsere Verstocktheit und unsere liebgewordenen, längst entschuldigten Laster.

Trotz aller Gefahr und obwohl er „in allem wie wir versucht worden ist“ (Hebr 4,15) und „nackt und bloß“ die Welt betritt, hat sich Jesus von der Bosheit der Menschen nicht anstecken lassen. Seine Antwort ist die durchgehaltene liebende und leidende Nähe Gottes zu uns.

In Jesus wird Gott einem jeden von uns zum Allernächsten. Gott ist uns nicht nur nahe, wo wir einander nahe sind. Aber „wenn Er jedem so nah ist, dann sind wir in Ihm auch einander nah“ (F. Heereman).

Und wenn wir ihn fragen, wie er uns nahe ist, dann werden wir von ihm auch lernen, wie wir einander wieder nahe sein und Nächste werden können. Denn Seine Nähe zählt.

Fra’ Georg Lengerke

Schott Tagesliturgie

Taue herab, dann taue ich auf Jes 45,8

Seit ich in die Stadt gezogen bin, vermisse ich den morgendlichen Blick aus dem Fenster. In Ehreshoven waren da eine Wiese und der Wald und mitunter der Morgennebel, aus dem nur die obere Hälfte der weidenden Rinder herausschaute. Und da war der Morgentau auf den Blättern, Halmen und Zweigen.

In der Stadt bemerkt man ihn kaum. Außer vielleicht als Schleier auf der Windschutzscheibe, der mit einem Scheibenwischer-Wisch schnell entfernt ist.

Für den Propheten Jesaja gleicht das Kommen des Gesalbten Gottes dem geheimnisvollen Kommen des Morgentaus. „Tauet, ihr Himmel von oben! Ihr Wolken regnet herab den Gerechten!“ (vgl. Jes 45,8)

Der Tau fällt im Dunkel der Nacht. Keiner sieht ihn kommen. Wenn der Tag erwacht, ist er da. Nur die Wachenden, die Frühaufsteher, die den Tag erwarten, erahnen etwas von seinem Kommen.

Der Tau ist unendlich zart und fein. Er gibt der Schöpfung Glanz und Frische. Er legt sich um sie wie ein Kleid, in dem sie schöner ist denn je.

Der Tau hat seine Stunde. Mittags ist von ihm nichts mehr zu sehen – auch wenn er noch in der Luft liegt. Wer den Morgen verschläft, sieht ihn nicht, noch die von ihm verwandelte Natur.

„Der Heilige Geist wird über Dich kommen“, sagt der Engel zu Maria bei der Verkündigung. So wie der Tau: in der Verborgenheit, unendlich zart und zu seiner Zeit.

Im Deutschen haben wir das gleiche Wort für das Kommen des Morgentaus und das Schmelzen von Eis: tauen. Gott wird ein Mensch wie wenn es morgens herabtaut. Ich bin bereit für Ihn, wenn ich auftaue und mich erweichen lasse.

Wir gehören zur Erde, zu der Jesaja sagt: „Tue dich auf und sprosse den Heiland hervor.“

Taue herab,
mein Gott,
dann taue
ich auf.
Amen.

Fra’ Georg Lengerke

Schott Tagesliturgie