210303 Heuschrecken und Wilder Honig Teil 3: ENTTÄUSCHER Joh 1,20

Auf den ersten Blick ist Johannes der Täufer eine Enttäuschung. „Ich bin nicht der Christus!“, ist das erste Wort, dass der Täufer im Johannesevangelium sagt.

Johannes tritt in einer geradezu aufgeladenen Atmosphäre auf, in der das Volk Israel den Messias erwartet: „Das Volk war voll Erwartung und alle überlegten im Herzen, ob Johannes nicht vielleicht selbst der Christus sei“, erzählt der Evangelist Lukas (3,15).

Welcher Art diese Erwartungen gewesen seien, fragt Jesus später die Menge: „Was habt ihr denn sehen wollen, als ihr in die Wüste hinausgegangen seid?“ Einen geschmeidigen Redner wie ein Schilfrohr, der sich – je nach Wind – zu jeder Richtung neigt und es allen recht macht? Oder einen smarten und eleganten Politiker, der es mit der Macht hält, wie man sie an den Höfen jener und unserer Zeit findet? (Mt 11,7-8) Oder eine Lampe, an deren Licht man sich eine Weile freut um dann unerleuchtet weiterzugehen? (vgl. Joh 5,35)

Johannes ist anders. Er ist eine Enttäuschung, weil er nicht der Erwartete ist, und der Enttäuscher, weil er entlarvt, was wir an die Stelle des Erwarteten gesetzt haben, den er uns ankündigt. Er ist der Mann an der Schwelle – der „Größte aller von einer Frau Geborenen“, nennt Jesus ihn, und sieht ihn doch noch vor der Tür zur Schwelle des Himmelreiches (Mt 11,11). Der Täufer Johannes soll zum Mann an der Schwelle für alle werden, die seine Stimme hören und sich bereit machen, in Jesus Gott als Mensch zu empfangen.

„Ich bin nicht der Christus!“ Ich habe über dieses Wort in Exerzitien mal einen ganzen Tag nachgedacht. Eigentlich ist dieser Satz ja nichts Besonderes. Jeder würde mir sagen: Natürlich bist Du nicht der Messias, was glaubst Du denn?

Aber ganz tief drin, oft unbewusst, versuche ich das immer wieder eben doch zu sein: mein eigener Erlöser. Dort, wo ich keine Hilfe annehmen will. Dort, wo das unstillbare Bedürfnis zur Selbstoptimierung mich immer unerlöster macht. Dort, wo Perfektionismus mich traurig werden lässt und schließlich überall dort, wo ich göttliche und menschliche Hilfe brauche und doch versuche, mich erfolglos selbst zu retten und am eigenen Schopf aus dem Sumpf zu ziehen.

Gestern hieß es im Tagesgebet: „Wir sind dem Tod verfallen und gehen ohne dich zugrunde.“ Solche Verwiesenheit auf einen Retter nimmt uns nicht die Selbstverantwortung. Den die bedeutet ja, dass wir zwar füruns, aber nicht allein vor uns verantwortlich sind. Vor unserem eigenen oder anderem menschlichem Urteil hätten die meisten vermutlich letztlich keine Chance.

Die Enttäuschung besteht darin, zu erkennen, dass ich nicht der Erlöser bin, sondern ein anderer. Diesen anderen jedoch zu kennen und in meinem Leben groß sein zu lassen, ist ein unenttäuschbares Glück und zugleich das, was uns zu unserer wahren Größe kommen lässt. Denn unsere wahre Größe besteht darin, als Liebende Miterlöser des Erlösers zu werden.

Das eigentlich Schmerzliche an der Enttäuschung ist nicht das Offenbarwerden meiner Wahrnehmung als Täuschung, sondern die zugrundeliegende Tatsache, dass ich mich getäuscht habe oder von anderen getäuscht wurde. Je festgelegter meine falsche Erwartung oder Wahrnehmung war, umso gründlicher muss ich Mal um Mal enttäuscht werden, wenn ich die Wahrheit erkennen will.

Daher ein Rat für die Fastenzeit: Bleib nicht an Deinen Enttäuschungen hängen. Lerne aus ihnen. Sie räumen uns nur (und nicht selten schmerzhaft) den Blick für die Wirklichkeit frei. Und „Gott umarmt uns durch die Wirklichkeit“ (Willi Lambert).

Fra‘ Georg Lengerke.

Schott Tagesliturgie