Vom Händewaschen und Händereichen Mk 7,1–8.14–15.21–23

Kommt nach der Pandemie der Handschlag zurück? Er ist Zeichen für Gruß und Vertrag und Ausdruck von Verbundenheit und Vertrauen, von Wehrlosigkeit und Empfänglichkeit. Das Aufeinandertreffen von Faust oder Ellenbogen scheint mir intuitiv weniger freundlich zu sein.

Im Evangelium geht es um die Bedeutung und den Stellenwert von Zeichen. Das rituelle Waschen der Hände vor dem Essen war nicht göttliches Gesetz, sondern kam aus der Halacha, der „Überlieferung der Alten“. Solche Waschungen hatten weniger hygienische Gründe, sondern erinnerten mehr an eine innere Reinigung, durch die der Mensch sich vom Bösen abwendet, um Gutes zu denken und zu wollen, zu sagen und zu tun.

Dass die Jünger Jesu diese Waschung unterlassen, provoziert seine Gegner. Für sie war es offenbar zu einer Bedeutungsverschiebung gekommen. Das Zeichen war wichtiger geworden als das Bezeichnete und die äußere Form wichtiger als deren Botschaft.

Die zwischenzeitliche Unterlassung des Handschlags ist vielleicht eine gute Gelegenheit, sich dessen Bedeutung und Botschaft wieder bewusst zu werden: Dass es – selbst gegenüber einem Gegner – Verbundenheit und Vertrauen, Wehrlosigkeit und Empfänglichkeit braucht, wenn wir auch in Verschiedenheit oder Unvereinbarkeit beieinander bleiben oder vielleicht einmal wieder zueinander kommen wollen.

Es gibt Haltungen, die wir in Zeichenhandlungen ausdrücken. Und andersherum gibt es Handlungen, die später zum Zeichen für eine Haltung werden können. Ich habe zum Beispiel begonnen, das viele Händewaschen, das durch die Pandemie notwendig geworden ist, mit dem Gebet zu verbinden, dass Gott mir schenke, Gutes zu denken und zu wollen, zu reden und zu tun.

Ob der Handschlag wiederkommt? Ich hoffe es. Wenn zukünftig das Aufeinandertreffen von Faust oder Ellenbogen ein sprechendes Zeichen unserer Beziehungen ist, dann gnade uns Gott.

Fra’ Georg Lengerke

Schott Tagesliturgie

Warum ich bleibe Joh 6,60–69

Im Frühjahr dieses Jahres haben 30 % der katholischen und evangelischen Christen über einen Kirchenaustritt nachgedacht.

„Wollt auch ihr weggehen?“, fragt Jesus die Zwölf, nachdem viele Jünger beschließen, nicht mehr mit ihm zu gehen.

Aber die Gründe für die Distanzierung von der Kirche heute sind oft andere als jene für die Distanzierung von Jesus damals. Heute sind es die Kirchensteuer, der Umgang mit den Missbrauchsvorwürfen oder die Feststellung, mit bestimmten Moral- und Gesellschaftsvorstellungen der Kirche nicht übereinzustimmen (vgl. https://fowid.de/meldung/gruende-fuer-den-kirchenaustritt).

Im Evangelium distanzieren sich die Menschen von Jesus, weil sie seine Worte und seinen Anspruch unerträglich finden. Neulich sagte mir jemand, er sei aus der Kirche ausgetreten wie man einen nie gelesenen, lästig gewordenen Newsletter abbestellt.

Ich frage mich, wie viele Leute wegen der Person und Botschaft Jesu austreten, und wie viele austreten, weil sie in der Kirche einfach schon ziemlich lange nichts mehr von ihm gehört oder wiedererkannt haben. Und mich interessiert, warum Menschen in der Kirche bleiben.

Warum bleibe ich? Nicht, weil ich glaube, dass die Kirche mich nötig hätte. Nach dem Motto: „Damit wenigstens noch ein paar Leute da sind, die was ändern können.“ Auch nicht wegen der eifrigen Professionalisierung und Verhauptamtung, wo sie uns oftmals den Charme eines Unternehmens, einer Partei oder einer Gewerkschaft gibt.

Ich bleibe, weil mir hier Einer sagt, dass Sein Wort und Wirken und Sein Dasein für mich unbedingt und unsterblich treu sind. Ich bleibe, weil hier immer noch Menschen sind, die diesem Einen geglaubt und sich Ihm angeschlossen haben und deren Leben von Ihm erzählt. Ich bleibe, weil hier der Ort ist, wo Er für mich und ich mit Ihm für die Menschen da sein will.

Fra’ Georg Lengerke

Schott Tagesliturgie

Unvermisst – Mariae Aufnahme in den Himmel Offb 11,19a;12,1-6a.10ab

Auch mehr nach 3 Wochen nach der Flut werden immer noch 16 Menschen in Rheinland-Pfalz vermisst. Eine vermisste Person gilt solange nicht offiziell als tot, bis ihr Leichnam gefunden oder sie vom Amtsgericht für tot erklärt wird.

Dieser Zustand ist besonders schmerzlich. Die Hoffnung stirbt langsam. Und es gibt kein Grab und keinen Ort der Trauer in der Nähe ihres Leibes.

Auch Maria, die Mutter Jesu, hat kein Grab. Nur ein leeres, das in Jerusalem verehrt wird. Doch Maria gilt nicht als vermisst. Schon die frühe Kirche hat gefeiert, dass Maria mit Leib und Seele in den Himmel aufgenommen wurde.

Aber werden mit „Himmel“ und „Leib“ nicht zwei verschiedene Kategorien vermischt? Denn „Himmel“ ist kein Ort unter anderen. Und ein materieller Leib kann nicht in eine geistige Wirklichkeit eingehen. Man kann auch nicht im Traum essen und satt aufwachen.

Doch ebenso wenig ist der Himmel bloß eine geistige, immaterielle, transzendente Parallel- oder Gegenwelt zur leiblichen, materiellen, immanenten Welt. Himmel ist vielmehr die Synthese von beiden und ihr Ziel. Die ganze, materielle und geistige Wirklichkeit soll einmal ankommen in der unverstellten Gemeinschaft mit Gott, die wir „Himmel“ nennen.

Irdisch erfahren wir eine Ungleichzeitigkeit: Im Tod geht die Seele des Menschen dem Leib voraus. Aber der Himmel möchte die Leiblichkeit des Menschen nicht missen. Deshalb wird einmal auch der Leib auf eine neue Weise („verklärt“) auferstehen und im Himmel sein.

Im Tod Mariens hat Gott dieses Versprechen bereits wahr gemacht, damit – wie das Tagesgebet sagt – „wir auf dieses Zeichen der Hoffnung und des Trostes schauen und auf dem Weg bleiben, der hinführt zu … [Gottes] Herrlichkeit.“

Im Himmel soll keiner und nichts von uns als vermisst gelten.

Fra’ Georg Lengerke

Schott Tagesliturgie

Empörend tröstlich Joh 6,41-51

Gestern eine Trauung. Ich denke daran, was Liebende einander sein können – und was nicht.

Liebende werden einander sagen: „Ich bin für Dich da.“ Zugleich werden sie bald um ihre Grenzen wissen.

Aber was, wenn mir einer sagte: „Ich halte und nähre Dich durch den Tod hindurch.“ Mehr noch: Was, wenn er sagte, dass er eine solche Nahrung nicht nur gibt, sondern selbst ist.

Genau das ist es, was Jesus den Menschen sagt: Das Manna in der Wüste war ein Vorausbild. Das wahre „Brot vom Himmel“, das „Brot des Lebens“, das allen Hunger stillt, bin ich.

Ich verstehe ihr Murren. Ich verstehe, dass den Jüngern nach Weggehen zumute ist. Vielleicht murren viele Christen heute nur deshalb nicht, weil sie solche Worte nicht mehr ernst nehmen. Und vielleicht gehen auch heute viele gute Leute gerade deshalb, weil sie solche Worte Jesu ernst nehmen und unerträglich finden.

Ich will sie ernst nehmen und dennoch bleiben. Und ich will wenigstens zu verstehen beginnen, was sie mir sagen wollen.

Jesus lehrt mich nicht nur, sondern er nährt mich auch. Er ist nicht nur Lehrer wahrhaft menschlichen Lebens, sondern auch Anteilgeber am göttlichen Leben in der Welt. Er ist nicht nur Vorbild, das ich nachahmen soll, sondern auch Nahrung, die mich auferbauen will. Er will nicht nur geistig für uns da sein, sondern auch leiblich, damit auch wir nicht bloß geistig, sondern auch leiblich für ihn und mit ihm für die Menschen da sind. Und er will für uns nicht nur in der Welt da sein, sondern auch durch den Tod hindurch und bis in jenes Leben, über das der Tod keine Macht mehr hat.

Ja, das Wort vom Brot des Lebens, das Christus ist, ist empörend. Vielleicht ist es in dem Maße empörend, wie wir uns mit dem Leben und dem Tod abgefunden haben. Weil ich mich damit nicht abfinden will, ist Jesu Wort empörend tröstlich.

Fra’ Georg Lengerke

Schott Tagesliturgie

Vergebliche Liebesmüh? Joh 6,24-35

In seinem Heimatort Kreuzberg an der Ahr steht neulich ein Freund von mir neben einem Schulkameraden vor seinem zerstörten Haus. „Alles Ersparte steckt da drin“, sagt der Schulfreund. „Jetzt ist alles fort. Was soll ich jetzt machen?“ Wenn die unmittelbare Not gelindert und gerettet ist, was zu retten war, und sich das ganze Ausmaß der Zerstörung zeigt, stellt sich die Frage: War das die Mühe wert? Und welche Mühe lohnt sich noch.“

Als Jesus die Leute nachreisen, wirft er ihnen vor, es ginge ihnen nur um das Essen aber nicht um seine Bedeutung. Die Leute wollen Wunder erleben, aber nicht ihre Bedeutung verstehen. Sie wollen große Gefühle haben, aber nicht große Entscheidungen treffen. Sie wollen die Gabe, aber nicht ihren Geber.

„Müht euch nicht ab für die Speise, die verdirbt, sondern für die Speise, die für das ewige Leben bleibt und die der Menschensohn euch geben wird!“ erwidert Jesus. Anders gesagt: Müht Euch nicht nur um vergängliche Lebensmittel; sondern müht Euch um das unvergängliche Leben, das sie vermitteln!

Ist also die Mühe um das zerstörte oder das zu bauende Haus vergeblich? Das wäre sie, wenn das Haus unser Ein und Alles wäre. Aber sie ist nicht vergeblich, wenn darin geliebt und geschenkt, versorgt und gepflegt, geweint und getröstet, um das Gute gerungen und im Guten durchgehalten wurde.

Alle echte Liebe ist Anteil an der Liebe Gottes. Und die ist es, sagt Jesus, die uns nährt. Die ist es, die er uns gibt. Wir sollen uns um die Liebe mühen, von der die Welt lebt – und um ihre Zeichen und Orte, selbst wenn sie vergehen.

Deshalb dürfen wir nicht müde werden, die Zeichen und Orte jener Liebe wieder aufzubauen, die bleibt. Sie ist nicht tot zu kriegen, weil der unsterblich Liebende nicht tot zu kriegen ist. Sie ist alles Ersparte und jede Mühe wert. Es gibt keine „vergebliche Liebesmüh‘“.

Fra’ Georg Lengerke

Schott Tagesliturgie