Advent – Haltungsübung wider die Angst Lk 21,25-28.34-36

Haltungsfehler führen zu Haltungsschäden. Körperlich beispielsweise durch falsches Sitzen am Schreibtisch oder seelisch durch Unentschiedenheit oder knechtende Beziehungen.

Am Anfang des Advents erzählt uns das Evangelium von Erschütterungen des Universums und der bewohnten Welt, angesichts derer die Menschen „vor Angst vergehen“.

Diese Erschütterungen sind weder bloß bildhaft gemeint. Noch sind sie bereits schon 1:1 eingetroffen. Aber die Umwälzungen aller Zeiten seit der Menschwerdung Gottes sind ihre Vorboten. Sie erinnern uns daran, dass die Welt endlich ist und auf ein Ziel zugeht, dass mit Verwandlung zu tun hat.

Diese Umbrüche werden auch heute als bedrohlich empfunden. Doch dauernde Angst führt zu Haltungsschäden. Gerade hier, sagt Jesus, in der Katastrophe, kommt es zu der entscheidenden Begegnung mit ihm, dem Retter und Vollender der Welt.

Im Zugehen auf das Fest des Kommens Christi „im Fleisch“ (an Weihnachten) werden wir daran erinnert, dass wir auf das Kommen Christi „in Herrlichkeit“ am Ende der Zeiten zugehen. Seit dem ersten Weihnachtsfest ist dieses „Kommen in Herrlichkeit“ nicht mehr fern, sondern nahe.

Die Haltung der Christen findet an diesem Versprechen Halt: „Richtet euch auf und erhebt eure Häupter; denn eure Erlösung ist nahe.“ Das ist mehr, als wenn uns einer zuruft: „Kopf hoch!“ und beteuert, alles sei gar nicht so schlimm wie gedacht.

Uns wird vielmehr gesagt, das Ende der Schuld, der Unterdrückung und der Angst sei im Kommen! Das ist der Grund, warum wir uns aufrichten, Ausschau halten und nüchtern, wachsam und empfangsbereit sein sollen und können.

Meine Adventsübung besteht darin, mich mehrmals täglich erinnern zu lassen, dass in den Verunsicherungen dieser Zeit der Erlöser nahe ist. Und dann richte ich mich wirklich einmal körperlich auf…

Der Advent als Einübung in Erwartung ist heilsam gegen die Haltungsschäden von Seele und Leib.

Fra‘ Georg Lengerke

Schott Tagesliturgie

Königsmacher Joh 18,33b-37

„Königsmacher“ wurden nach der Bundestagswahl die FDP und die Grünen genannt. Obwohl selbst ohne Mehrheit, konnten sie entscheiden, mit welcher der großen Parteien sie regieren und wessen Kandidaten sie zum nächsten Kanzler der Bundesrepublik Deutschland machen wollten.

In der Spieltheorie ist ein Königsmacher ein Spieler, der zwar nicht selbst gewinnen, aber anderen zum Sieg verhelfen kann. In der Politik bedeutet das für den Königsmacher, dass er sich Gegenleistungen von dem ausbitten kann, den er an die Macht bringt.

Zwei Mal fragt der Vertreter des „göttlichen Kaisers“ im Evangelium Jesus, ob er ein König sei. Jesus bejaht das. Aber dieses Königtum ist eines, das Rom einstweilen nicht fürchten muss. Niemand wird einen Krieg vom Zaun brechen, um ihn zu befreien. Es ist, sagt Jesus, „nicht von dieser Welt“.

Das Königsein Jesu definiert sich also nicht von unten, sondern von oben. Nicht durch das, was ihm untertan ist, sondern durch den, dem er untertan ist. „Ich bin dazu geboren und dazu in die Welt gekommen“, sagt Jesus, „dass ich für die Wahrheit Zeugnis ablege.“

„Die Wahrheit“, sagt Hans Urs von Balthasar dazu, „ist die Liebe des Vaters zur Welt, die der Sohn in seinem Leben, Sterben und Auferstehen darstellt.“ Diese Liebe ist von königlicher Souveränität, die sich in der tiefsten Erniedrigung zeigt: „Vom Holz herab herrscht unser Gott“, dichtet Venantius Fortunatus im 6. Jahrhundert (Vexilla regis).

Heute feiert die Kirche Jesus als König der Könige. Alle irdische Macht (auch die in der Kirche) muss sich vor ihm rechtfertigen. Diesen König hat keiner zum König gemacht. Er ist es schon immer.

Aber er macht zu Königen, die es sich gefallen lassen, sich von ihm lieben zu lassen und mit ihm zu lieben. Die sind frei, weil sie zu ihm gehören. Keinem Königsmacher schulden sie einen Gefallen. Sie haben Anteil an einem Königtum, das die Welt von Grund auf verwandelt. Zu denen will ich gehören.

Fra‘ Georg Lengerke

Schott Tagesliturgie

Was wir einander sein werden Lk 20, 27-4

Wessen Frau wird die siebenmal verwitwete im Himmel sein? Die Frage der Sadduzäer an Jesus ist nicht bloß eine perverse Männerfantasie. Es ist der Spott über eine naive Vorstellung vom Himmel. Die dahinterliegende Frage, die wir uns stellen sollen, ist: Was werden wir einander im Himmel sein? Davon handelt die Predigt (9:29 Min) von heute Vormittag.

Schott Tagesliturgie

Die Frage des Rabbis: Waren Sie schon mal da? Mk 13,24-32

Mit einem Mal war es mucksmäuschenstill im Hotelsaal in Jerusalem. Einer der führenden jüdischen Gelehrten im jüdisch-katholischen Dialog hatte gerade gesagt, er hielte Jesus von Nazareth für den größten aller Propheten. Aber er könne nicht glauben, dass er der Messias sei. Das Erstaunen einiger Pilger erstaunte wiederum mich.

Dann sprachen wir über die jüdische Erwartung des Messias als mächtige politische Figur mit göttlicher Vollmacht. Und über die christliche Erwartung der Wiederkunft Christi als Vollender des Alls und der Weltgeschichte und jedes einzelnen Lebens, der „in Wolken […]
mit großer Kraft und Herrlichkeit“ erscheint.

Wir wären bessere Christen, wenn wir uns etwas von der Sehnsucht abschauten, mit der die Juden auf den Messias warten. Stattdessen ist die Wiederkunft Christi für die meisten Christen kein Thema. Dabei reden wir in jeder Heiligen Messe mehrmals von ihr:

Im Glaubensbekenntnis sagen wir, dass Christus in Herrlichkeit wiederkommt, um die Lebenden und Toten zu richten. Menschliches Richten hat nicht das letzte Wort, die Verachteten der Welt bekommen Recht und auch mein Leben kommt ins Lot, wo Gottes Gerechtigkeit und seine Barmherzigkeit eins sein werden.

Nach dem Abendmahlsbericht spricht die Gemeinde das „Geheimnis des Glaubens“ aus: Wir leben nicht einfach so dahin und warten ab, bis der Herr kommt. Weil er ein Mensch geworden ist und seinen Geist in unsere Herzen sendet, deshalb leben wir mit ihm, lieben wir mit ihm, feiern ihn und erzählen von ihm: „Deinen Tod, o Herr, verkünden wir und deine Auferstehung preisen wir, bis du kommst in Herrlichkeit“.

Und am Ende des Vaterunsers, im sogenannten „Embolismus“, bitten wir für die uns bleibende Zeit, dass Gott unseren Tagen Frieden gebe, uns mit seinem Erbarmen zu Hilfe komme und uns vor Verwirrung und Sünde bewahre „damit wir voll Zuversicht das Kommen unseres Erlösers Jesus Christus erwarten.“

Es war ein gutes Gespräch damals in Jerusalem. Am Ende sagte der Rabbi lächelnd: „When the Messiah is coming, I might go and ask him: ‚Excuse me, Sir, have you been here before?’”

Da wäre ich dann gerne dabei. Und einer von uns beiden wird überrascht sein. Aber ich bin mir sicher: Wir beide werden uns miteinander freuen können.

Fra‘ Georg Lengerke

Schott Tagesliturgie

Die junge Liebe der alten Frau Mk 12,38–44

In den Werktagsmessen in den Münchner Innenstadtgemeinden bin ich oft einer der Jüngsten. Ich bin 53 Jahre alt. Das ist kein gutes Zeichen.

In der Kommende junger Malteser und ihrem Umfeld bin ich regelmäßig der Älteste. Mit Abstand. Da halte ich mich dann auch für ziemlich jung.

Für eine Mehrheit um mich herum bedeutet „alt“ tendenziell eher „verbraucht“, „unzeitgemäß“, „schwach“, „kränklich“ und „teuer“. „Jung“ dagegen steht für „kraftvoll“, „modern“, „neugierig“, „innovativ“ und „zukunftsorientiert“.

Eine solche Sicht gibt es auch in der Kirche. Was er denn in einer Messe „mit ein paar alten Frauen“ solle, fragte mich neulich einer, der auch nicht viel jünger war als ich.

Bei Jesus gibt es eine Relevanzumkehr. Die arme Witwe ist in den Augen vieler der Inbegriff eines menschlichen Auslaufmodells. Entsprechend irrelevant erscheint ihre Gabe am Opferkasten.

Von den Tempelbesuchern heißt es: „Viele Reiche kamen und gaben viel.“ Die arme Witwe jedoch gibt nur zwei Münzen. Aber dieses Bisschen ist „ihr ganzer Lebensunterhalt“, griechisch: ihr „bios“, also eigentlich: ihr Leben.

Hier ist das Viele wenig und das Wenige alles. Die Reichen geben etwas von sich. Die arme Witwe gibt sich. Die Reichen geben von dem, was sie haben. Die Witwe gibt, was sie ist.

Je äußerlicher das Leben wird, umso mehr gilt, was einer hat, und desto weniger gilt, was einer ist. Wer jedoch liebt, der gibt nicht nur, was er hat, sondern der gibt, was er ist. Und nur wer liebt, erkennt auch, dass das nicht wenig ist – sondern alles.

Vielleicht sollen wir in dieser Zeit sehen lernen, wo das Viele in Wirklichkeit wenig, und das Wenige in Wirklichkeit alles ist.

Und vielleicht werden wir dann sehen, dass in den Herzen von alten Frauen die junge Liebe der Kirche verborgen ist. Eine radikale Liebe, von der viele junge Menschen nur träumen können, weil sie sich noch nicht trauen, alles zu geben. Eine Liebe, die alles gibt und alles mit Gott in Verbindung bringt, weil er auch alles verwandelt.

Manchmal können wir gar nichts Besseres und Sinnvolleres tun, als „mit ein paar alten Frauen“ die Messe feiern.

Fra‘ Georg Lengerke

Schott Tagesliturgie