Vor einigen Jahren kam ich zu einem Gespräch zweier Mütter hinzu. Es war kurz vor Weihnachten. Sie unterhielten sich darüber, dass ihre Kinder langsam in ein Alter kämen, in dem sie nicht mehr glaubten, dass „das Christkind“ die Weihnachtsgeschenke bringe. Schon die Geheimhaltung werde immer schwieriger. Und die Plausibilität des Schornsteins, durch den die Geschenke in den ansonsten verschlossenen Raum kommen. „Was sagt man denn den Kindern da?“, fragte eine der beiden mich.
„Ein solchen Humbug haben uns unsere Eltern nie beigebracht!“, hätte ich fast gesagt. Fand das dann aber doch ein wenig grob und für den weiteren Verlauf des Gesprächs nicht unbedingt hilfreich. „Dass das Christkind die Geschenke bringt, habe ich ehrlich gestanden nie geglaubt.“ Sage ich stattdessen. Die unsägliche Sache mit dem Schornstein spreche ich erst gar nicht an.
Bei uns zu Hause war das Weihnachtsfest immer das Geburtsfest Jesu. Ein großer Salon mit einer doppelten Schiebetür war schon Tage vorher mit einer roten Schleife um beide Knäufe verschlossen. Wenn wir Kinder aus der nachmittäglichen Christmette kamen, mussten wir noch ein wenig warten bis dann die Eltern die Glocke läuteten und wir „Ihr Kinderlein kommet“ singend ins Weihnachtszimmer einzogen. Aus einer alten Lutherbibel aus dem 18. Jahrhundert las mein Vater das Weihnachtsevangelium. Dann wurde noch mal gesungen – ich glaube, es war meistens die unvermeidliche „Stille Nacht“ – und die Bescherung begann. Aber wenn ich heute an meine Kindheit zurückdenke, dann wusste ich immer, dass die Geschenke von den Eltern und Großeltern, den Paten und anderen Verwandten, später dann auch von den Geschwistern kamen.
Etwas anderes hatte bei uns zuhause auch nie jemand behauptet. Der „Weihnachtsmann“, die aufgeklärt-säkulare Variante des hl. Bischofs Nikolaus, der sich als Werbeträger von Coca-Cola der Erinnerung der westlichen Welt einprägen sollte, kam in meiner Kindheit nicht vor. Ich fand diese himmlische pädagogische Hilfsinstanz auch immer irgendwie gruselig. Und auch das „Christkind“– gewissermaßen zum „Weihnachtsmännlein“ geworden – wurde nicht als Absender oder Lieferservice unserer Geschenke herangezogen. Es durfte einfach nur Geburtstag haben.
Ich habe mich in jenem Gespräch kurz gefragt, ob ich vielleicht ein Spielverderber bin. Vielleicht. Aber ich hatte das Gefühl, ich müsste einer sein. Wir dürfen Kindern keinen Unsinn erzählen. Vor allem dann nicht, wenn es um heilige Dinge geht und um Dinge, die wir glauben sollen, weil sie wahr sind.
An Weihnachten feiert die Christenheit nicht die sagenhafte Geburt eines göttlichen Kindes, das unsere menschlichen Wünsche erfüllt. Die Christen feiern die Geburt einer historischen Person zur Zeit des römischen Kaisers Augustus, die auch außerhalb christlicher Quellen außergewöhnlich gut bezeugt ist. In diesem Kind erkennen Menschen, dass Gott selbst die Bühne des Dramas der Weltgeschichte betritt.
Dieses Kind kommt mit leeren Händen. Es liegt „nackt und bloß in einem Krippelein“, wie es in einem alten Weihnachtslied heißt. Dieses Kind bringt gar keine Geschenke. Es ist vielmehr selbst das Geschenk. In diesem Kind macht Gott selbst sich zu einem Geschenk für die Menschen. Und alles Schenken zu Weihnachten hat ursprünglich den Sinn, uns daran zu erinnern, dass Gott sich uns Menschen zum Geschenk macht. „Wie soll ich dich empfangen und wie begegn‘ ich dir?“ dichtet Paul Gerhard im Weihnachtsoratorium von Johann Sebastian Bach.
Für mich ist die entscheidende Frage zu Weihnachten nicht, was ich diesem oder jenem Menschen schenken soll. Die entscheidende Frage scheint mir zu sein, ob wir bereit sind, uns mit der Gegenwart des göttlichen Menschenkindes beschenken zu lassen, dessen Geburtstag die Christen an Weihnachten feiern.
Fra‘ Georg Lengerke
Hinweis: Dieser Beitrag wurde am 28.12.2021 als Morgenandacht im Deutschlandfunk gesendet.