Vom Geburtstagskind, das unenttäuschbar war, Deutschlandfunk 30. Dezember 2021

Weihnachten ist noch nicht vorüber. Aus christlicher Perspektive dauert das Fest noch bis ins neue Jahr. An keine andere Zeit im Jahr richten sich so viele Erwartungen. Und kein Fest ist so reich an Enttäuschungen. Doch ein Mensch inmitten dieses jährlichen Schlamassels scheint schier unenttäuschbar sein: das Kind in der Krippe, dessen Geburt die Christen am Weihnachtsfest feiern.

Irgendwo las ich mal die Geschichte von dem kleinen Jakob, der am späten Heiligen Abend allein an der Krippe steht. Lange schaut er die Figuren an. Bis sie scheinbar lebendig werden und sich langsam zu bewegen beginnen. Ein Hirte schafft einen Tragekorb mit Brennholz herbei. Eine Hirtin bringt dem heiligen Kind ein Lamm. Ein Junge legt einen Beutel mit Brot vor die Krippe. Und auf ihren Kamelen schwankend halten die drei Weisen in der Ferne bereits Gold, Weihrauch und Myrrhe in den Händen, um sie in wenigen Tagen dem Jesuskind darzubringen.

Da spürt Jakob, wie sich von ganz unten ein Schluchzen in ihm Bahn bricht, und über seine Backe kullert eine warme Träne. Gleich wischt er sie mit dem Ärmel weg und denkt, niemand habe sie bemerkt. Da sagt eine Stimme: „Was hast Du denn, Jakob?“ Einen Augenblick wundert er sich, dass er so gar nicht erschrocken über sie war. Denn auch wenn er sie noch nie gehört hatte, schien sie ihm doch irgendwie vertraut.

„Na? Was ist?“, sagt die Stimme. Da erkennt Jakob, dass es das Kind in der Krippe ist, das mit ihm spricht. „Ich habe Dir nichts mitgebracht“, sagt Jakob leise. „So?“, sagt das Jesuskind fragend, und es entsteht eine kleine Pause, die Jakob nicht sehr angenehm ist. „Na, ich meine, nicht so wie die anderen… Ich habe kein Geschenk für dich“, purzeln die Worte aus dem Jungen heraus. 

„Darf ich mir was wünschen?“, fragt Jesus. Jakob fällt ein Stein vom Herzen. „Au ja“, sagt er ohne Zögern. Und plötzlich großzügig geworden, ergänzt er: „Du hast drei Wünsche frei!“ 

„Ich wünsche mir von Dir den Aufsatz, den Du gestern in der Schule zurückbekommen hast!“ Jakob erschrickt. Und für eine Weile verstummt er. „Ungenügend“ hatte mit dem berüchtigten roten Kuli darunter gestanden: „Aber der war vollkommen missglückt“, antwortet Jakob. „Wie wäre es“, sagt Jesus ohne eine Spur von Überraschung, „Du würdest mir einfach immer alles bringen, was ‚vollkommen missglückt‘ ist?“ Jakob denkt nach. Und fast hätte er vergessen, nach dem zweiten Wunsch des Christkinds zu fragen.

„Ich wünsche mir von Dir die Tasse, die Deine Großmutter Dir zum letzten Weihnachtsfest geschenkt hat.“ Jakob sinkt das Herz in die Hose. „Die habe ich nicht mehr…“, sagt er, „die ist zerbrochen.“ „Ich weiß“, sagt das Jesuskind mit sehr ruhiger Stimme. „Aber ich möchte, dass Du mir alles schenkst, was in Deinem Leben zerbrochen ist.“ 

„Und … was wünscht du dir noch?“ sagt Jakob nach einer langen Pause mit kaum hörbarer Stimme. „Willst du mir nicht auch noch die Antwort schenken, die du Deiner Großmutter gegeben hast, als sie nach der Tasse fragte?“ Da beginnt Jakob leise zu weinen. Und schniefend gibt er zur Antwort: „Aber ich habe sie angelogen. Ich habe gesagt, die Tasse sei mir in der Schule geklaut worden.“ „Ach, mein Jakob“, sagt das Jesuskind mit dieser seltsam vertrauten Stimme, die Jakob noch nie gehört hatte. „Schenk mir einfach alles, was in Deinem Leben gelogen und unwahr, verkehrt und böse gewesen ist.

Denn dazu bin ich ja geboren worden: um dem Gescheiterten aufzuhelfen und das Zerbrochene zu heilen, um die Schuld zu vergeben und die Zerstrittenen zu versöhnen.“

Jakob richtet sich auf. Und es ist, als stiege von dort, wo am Anfang der Schluchzer kam, ein Gefühl von Trost auf, ein tiefes Empfinden von Freundschaft und Glück. Er wollte ein großzügiger Schenker werden für dieses weihnachtliche Geburtstagskind, das einfach mit nichts zu enttäuschen war.

Fra’ Georg Lengerke

Hinweis: Beitrag wurde am 30.12.2021 im Deutschlandfunk gesendet.

Schott Tagesliturgie