Pause

Am 31. Juli und am 7. August 2022 wird es urlaubsbedingt keine BetDenkzettel geben.

Fra’ Georg Lengerke

Bitte an einen Freund Lk 11,1-13

In seinem Buch „How to be an Alien“ vergleicht der Exil-Ungar George Mikes die Engländer mit „people on the Continent“. Im Kapitel „How to be rude“ geht es um den Umgang mit einem Lügner. Dem entgegne man auf dem Kontinent: „You are a liar, Sir, and a rather dirty one at that.” In England sage man nur: „Oh, is that so?” oder „That ́s rather an unusual story, isn ́t it?”

Ähnlich reagieren die höflicheren Verächter des Christentums, wenn sie das Wort Jesu über die Wirksamkeit des Gebets hören: „Wer bittet, der empfängt; wer sucht, der findet; und wer anklopft, dem wird geöffnet.“ – „Oh, ist das so? Eine eher ungewöhnliche Geschichte, oder?“

Wie viele Menschen haben gebetet und nicht empfangen, gesucht und nicht gefunden, angeklopft und die Tür nicht geöffnet bekommen?

Jesus kennt und teilt das Ringen mit Gott und die Verzweiflung der Menschen angesichts unerträglichen Leids. Aus dieser Erfahrung lehrt er seine Jünger das Beten. Nicht bloß als Notfalloption gegenüber einer fremden und anonymen Instanz. Jesus vergleicht das Gebet mit der Bitte an einen Freund – selbst wenn sie für diesen zur Unzeit kommt. Der Freund ist der, der sich mir offenbart und dem ich mich offenbare; der sich mir anvertraut und dem ich mich anvertraue; und er ist einer, mit dem es mir gemeinsam um etwas geht.

Aber es gibt Christen, die nicht beten, sondern bloß bestellen. Die nicht suchen, sondern bloß vermissen. Die nicht anklopfen, sondern bloß Verschlossenheit beklagen. Und die Versuchung dazu kenne ich. Aber Gott ist kein Lieferdienst, nicht der Erfüllungsgehilfe unserer Wünsche und nicht der Reinigungsservice für unsere Schuldfolgen.

Das Gebet als „Gespräch mit einem Freund“ (Teresa von Avila) beginnt für mich mit dem Dank für das, was ist. Im Gebet vertraue ich mich diesem Freund an – mit meiner Geschichte, meinen Freuden und meinen Stärken, meiner Schwachheit, meiner Schuld und meiner Scham. Ich frage nach seinem Willen. Ich höre in die Stille und auf sein Wort. Und nachdem ich gedankt, gefragt und hingehört habe, bitte ich ihn.

Ich finde es bedenkenswert, dass es in den ersten drei Bitten des Vaterunsers um Gott geht (um seinen Namen, sein Reich und seinen Willen) und erst in den letzten drei Bitten um uns (unsere Vergebung, unsere Versuchung und unsere Erlösung). Dazwischen steht die Bitte um das tägliche und (wörtlich) „überwesentliche“ Brot. Dieses Brot ist beides: unsere tägliche Nahrung und der göttliche Freund selbst. Der ist auf unsere Seite der ungelösten Probleme, der unbeantworteten Fragen und der unerhörten Bitten gekommen, damit wir ihm glauben, dass er uns und die Welt nach Hause in die Liebe, die Freude und das Glück bringt, die wie er unsterblich sind.

Und wenn ich so zu ihm bete, dann denke ich manchmal schmunzelnd mit den höflicheren Verächtern des Christentums: „Oh, das ist eine eher ungewöhnliche, ja, eine unerhörte Geschichte, oder nicht?“

Fra’ Georg Lengerke

Schott Tagesliturgie

Die Christusdarstellerinnen Lk 10,38-42

Neulich bei den Passionsspielen in Oberammergau: Der dargestellte Jesus war ein ungeduldiger und unleidlicher, schimpfender und schlecht gelaunter Sozialaktivist, von dem kein freundliches Wort zu hören war. „Eigentlich müsste alles anders sein, aber ihr rafft es nicht!“, das war die unfrohe Botschaft des Nazareners aus Oberbayern. In Oberammergau hat mich einiges fasziniert, aber die Christusdarstellung war missglückt.

Auch in der Kirche geht es um Christusdarstellung. Allerdings nicht im Spielen der Rolle eines längst Verstorbenen. Sondern im Sichtbarmachen eines unsichtbar Gegenwärtigen. „Christus ist unter euch“, schreibt Paulus in der heutigen zweiten Lesung (Kol 1,24-28) der Gemeinde von Kolóssä. Deshalb nennt er sie auch „Leib Christi“.

Was gehört zu dieser Sichtbarmachung? Für Paulus gehört dazu, dass im Leiden der Jüngerinnen und Jünger um Christi willen das Leiden Christi selbst sichtbar wird. Zur Sichtbarmachung Christi gehört dazu, dass mit den Gaben und Ämtern Christi der Kirche gedient wird. Und schließlich wird Christus darin sichtbar, dass in der Gemeinschaft mit Ihm auch jeder Mensch vollkommen zum Vorschein kommt.

Auch Maria und Marta von Bethanien, die beiden mit Jesus befreundeten Schwestern, zeigen uns etwas, was später im Leben der Kirche nach Ostern und Pfingsten zur Sichtbarmachung Christi gehören wird:

Die eine, indem sie auf Jesus und mit Jesus auf Gott den Vater hört. Die andere, indem sie Jesus und mit Jesus den Gästen dient.

Beides gehört zum Leben der Christen und der Kirche:
die Kontemplation und die Aktion,
das Hören seines Wortes und das Tun seines Willens,
die Sorge Jesu für uns und unsere Sorge für ihn – und mit ihm für die Menschen.

Wer das Wort Gottes hört, aber nicht tut, was er hört, der ist ungehorsam. Wer dient, aber nicht hört, was er tun soll, der ist unwirksam oder überfordert (oder beides).

Ein Problem der beiden Schwestern ist, dass sie nicht miteinander reden. Maria schweigt. Marta beklagt sich bei Jesus über ihre untätige Schwester und über sein scheinbar mangelndes Interesse an ihrer ganzen Müh und Not.

Wenn Marta von Maria hören würde, was Jesus und die Seinen sagen, würde sie müheloser, fröhlicher und liebevoller dienen.

Wenn Maria von Marta wüsste, wie es ist, für Jesus und die Seinen zu sorgen, würde sie sein Wort wirksamer und bereiter hören.

Die Kirche gleicht mitunter den beiden sprachlosen Schwestern. – Und sie gleicht dem schlechtgelaunten Jesus von Oberammergau, für den eigentlich alles anders sein müsste.

Je mehr wir Heutigen aber mit Marta hörend dienen und mit Maria dienend hören, um so ähnlicher wird die Kirche Christus sein – dem unsichtbar Gegenwärtigen, der in ihr lebt und durch sie sichtbar wird.

Und wo das geschieht, da wird diesem Christus dann glauben, wer will.

Fra’ Georg Lengerke

Schott Tagesliturgie

Und wer ist Dein Nächster? Lk 10,25-37

Das Gleichnis vom barmherzigen Samariter ist eines der bekanntesten im Neuen Testament. Vielleicht auch deshalb, weil es ein universales Gebot beschreibt, das nicht nur Christen als verbindlich ansehen: Geh an der Not deiner Nächsten nicht achtlos vorüber!

„Wer ist mein Nächster?“ fragt ein Gesetzeslehrer. Der wollte Jesus argumentativ in Widersprüche verwickeln. Als das nicht gelingt, will er sich rechtfertigen und fragt nach.

Es mag eine Verlegenheitsfrage sein. Aber unberechtigt ist sie nicht. Sind „meine Nächsten“ meine besten Freunde, die wenigen, die ich zuerst wegen einer existentiellen Begebenheit konsultieren würde? Sind es die, die meiner sozialen Herkunft, meinen Interessen, meinem Geschmack oder ähnlichem am nächsten sind?

Oder ist es jeder Bettler, der mich auf meinem Fußweg zwischen meiner Wohnung und der Kirche in der Altstadt anspricht? Wie weit käme ich dann?

Offenbar sind nicht nur Menschen gemeint, die mir liegen oder ähnlich sind. Und es ist offenbar auch nicht alle Not gemeint, die mir begegnet. Es ist jeder Mensch in meiner Nähe gemeint, der in einer aktuellen Not ist, die mich „ruft“. – Die mich ruft, weil sie keiner so wie ich, nirgends so wie hier, niemals so wie jetzt lindern kann.

Doch hier geht es nicht nur um die Not der Anderen. Sondern auch um meine eigene Not. Ich finde es legitim zu sagen, die Moral von der Geschichte sei: Hilf Deinem Nächsten! Aber in Wirklichkeit geht die Antwort Jesu noch weiter.

Es gibt nämlich eine Sache, über die ich jedes Mal stolpere, wenn ich die Geschichte lese: Die Frage des Gesetzeslehrers lautet: „Wer ist mein Nächster?“ Die Antwort Jesu lautet: Der Nächste des unter die Räuber Gefallenen ist der, „der barmherzig an ihm gehandelt hat“.

Die Antwort Jesu scheint mir eine dreifache zu sein:

Erstens: Der unter die Räuber Gefallene bist auch Du selbst.

Zweitens: Dein erster Nächster ist der, der an Deiner Not nicht achtlos vorüberging.

Drittens: Dass einer an Deiner Not nicht achtlos vorüberging, befähigt Dich, genauso zu handeln und zum helfenden Nächsten Deiner Nächsten zu werden.

In der Darstellung des Barmherzigen Samariters im Rossano-Codex aus dem 6 Jahrhundert ist der Samariter mit einem Heiligenschein (Nimbus) mit Kreuz dargestellt. Das heißt: Der Allernächste des Menschen, der Samariter aller Leiden, auch der verborgensten, ist Christus. Und alle, die nach ihm kommen, werden es zusammen mit ihm – um ihrer Nächsten willen, die in Not sind.

Wie der unter die Räuber Gefallene bin ich
unter die Schläge meiner Gedanken gefallen.
Wund und misshandelt bin ich
am Wegrand auf der Strecke geblieben.
Du aber gehst
an meiner Not nicht
und an keines Menschen Not vorüber.
Du bleibst stehen
und hast Erbarmen mit mir.
Du schenkst mir
stehen zu bleiben
(oder nochmal umzukehren)
und Erbarmen zu haben mit denen,
die Du mir gibst.
Amen.
(nach Andreas v. Kreta, 8. Jh.)

Fra’ Georg Lengerke

Schott Tagesliturgie

“Geh zur Hölle!” Oder wohin? – Ist Gott gerecht oder barmherzig angesichts des Krieges? (Deutschlandfunk, 3. Juli 2022)

“Go to hell!” steht auf Plakaten gegen den Krieg in der Ukraine. Gemeint sind Russland oder sein Präsident. Die Rede von der Hölle wird wieder salonfähig. Auch der theologische Pazifismus scheint in einer Krise zu sein. Ist Gott angesichts des Krieges gerecht oder barmherzig? Davon handelt der Beitrag “Am Sonntagmorgen” im Deutschlandfunk vom 3. Juli 2022 unter https://www.deutschlandfunk.de/am-sonntagmorgen-zur-hoelle-mit-euch-oder-wohin-dlf-7b1712fe-100.html

Fra’ Georg Lengerke