Gehen als Gefundene Lk 15,1-32

Die Geschichte des Hauses der Malteser hier im Libanon ist eine Geschichte vom Suchen und Finden, vom Gesucht- und Gefundenwerden. Von außen gesehen haben Volontäre behinderte Menschen gesucht und gefunden, die verloren wurden.

Entsprechend könnte man die drei Gleichnisse vom Suchen und Finden im Evangelium verstehen. Dass wir uns ein Beispiel nehmen sollen: an dem Hirten, der das Schaf sucht, an der Frau, die die Drachme findet, und an dem Vater, der seinem schmerzlich erwarteten verlorenen Sohn entgegenläuft.

Aber es geht um mehr. Alle drei Gleichnisse haben drei Figuren. Eine, die sucht, eine die gefunden wird, und eine, die sich darüber freuen kann. Jede dieser Figuren sagt mir, wer und wie Gott ist – und wer ich bin oder werden kann.

1. Ähnle ich dem, der das Verlorene sucht und findet? Der Vater wartet sehnsuchtsvoll auf den, der ihm die Sohnschaft aufkündigte und das Erbe durchbrachte. Alles ist vergeben. Dass der Verlorene heimkehrt, ist alles, worauf es ankommt. Die Frau bringt um der Drachme willen ihr ganzes Lebenshaus in Ordnung. Der Hirte setzt die kostbare Herde aufs Spiel, um das eine verlorene Schaf zu suchen.

Und die Suche Gottes nach uns Menschen geht sogar noch weiter: Der Vater sendet den Sohn zu den Verlorenen. Gott wird selbst zum verlorenen Sohn um der Verlorenen Willen.

2. Bin ich einer von denen? Hier in den Bergen des Libanon haben wir es mit Verlorenen zu tun. Nicht, weil sie die Verlorenheit gewählt oder verschuldet hätten. Viele von ihnen wurden verloren. Vielleicht aus Überforderung. Vielleicht aus Lieblosigkeit. Ihr Nachname auf ihrem Aktenblatt lautet „Inconnue“.

Gott sucht und findet die von anderen Verlorenen, die Benachteiligten, Entwürdigten und unter die Räder Gekommenen. Aber der Skandal besteht darin, dass Jesus Christus auch und vor allem gekommen ist, um die Sünder zu suchen und zu finden und nach Hause zu bringen. Das ist vielleicht am schwersten anzunehmen und erst recht am schwersten mitzuvollziehen: dass Gott die sucht und findet, mit denen ich nichts zu tun haben will, weil sie an mir oder anderen schuldig geworden sind.

Auch ich gehöre zu immer wieder zu denen, die sich verlieren oder verloren gehen. Zu denen, die es nötig aber nicht verdient haben, von Gott gesucht und gefunden zu werden. Und zu denen, die sich finden lassen wollen und von Gott gefunden werden.

3. Schließlich sind da noch die, die sich mitfreuen sollen mit dem Hirten, der Drachmenbesitzerin und dem barmherzigen Vater. Alle drei feiern ein Fest. Ob der ältere Bruder, der sich für treu und gerecht und zugleich für betrogen hält, das Fest am Ende noch mitfeiern kann?

Und bei der Mitfreude soll es nicht bleiben. Der ältere Bruder soll ein Mitgefundener des Sohnes und ein Mitsuchender des Vaters werden. So wird er seines Bruders und seine eigene Würde wiederentdecken, die weder die Laster des Bruders noch seine eigene Hartherzigkeit vernichten konnten.

Gestern sind unsere Gäste abgefahren. Für viele wird der Alltag schwer. Aber sie gehen als Gefundene, nach denen sich der Vater sehnt, für die der Hirte alles aufs Spiel setzt, für die Menschen ihr Leben neu ordnen und über die sich ihre Brüder und Schwestern freuen. Und wenn Gott will, werden sie bald wiederkommen.

Fra’ Georg Lengerke

Schott Tagesliturgie