Finger in der Wunde

27.04.2025    Johannes 20,24-29

Finger in der Wunde

Caravaggio, Der ungläubige Thomas 1601-1602 (Ausschnitt)

Wer „den Finger in die Wunde legt“, der weist auf Missstände hin – bestenfalls, damit sie abgestellt werden können. Die Philologen vermuten den Ursprung dieser Redewendung in der Erzählung von der Begegnung des Apostel Thomas mit dem Auferstandenen.

Komisch. Denn es geht bei Thomas ja gar nicht darum, dass er auf einen Missstand hinweist. Er will sich selbst davon überzeugen, dass der Auferstandene, von dem ihm die Zehn berichtet hatten, wirklich derselbe ist, dem er zu Lebzeiten nachgefolgt war.

Aber warum hat der Auferstandene Wunden und nicht Narben? Oder warum trägt er überhaupt noch die Zeichen des Leidens Jesu? Eine Frau sagte einmal zu mir, sie finde das gar nicht tröstlich: „Sollte nicht spätestens mit der Auferstehung die Verwundung der Welt überwunden sein?“

Die Wundmale sind nicht nur eine Art Identitätsausweis des auferstandenen Herrn (Lk 24,40). Sie sagen etwas über das Verhältnis des auferstandenen Christus zur verwundeten Welt. Die Wunden des Auferstandenen sind jene Wunden, die er von den Menschen und mit den Menschen erleidet. Durch alle Zeiten und bis heute. Es sind die Wunden, die wir einander zufügen und voneinander zugefügt bekommen. Es sind die Wunden der Lügen, an die Menschen sich gewöhnt haben, und des Unglaubens, der aus der Lüge kommt.

In der Begegnung mit dem Auferstandenen zeigt sich, dass Christus die Wunden der Welt im Tod und in der Auferstehung nicht einfachhin abgetan, zurückgelassen und erledigt hat, sondern sie nach Hause zum Vater bringt.

Der heilige Gregor der Große schreibt, dass Thomas mit der Berührung der Wunden Jesu „die Wunden unseres Unglaubens“ geheilt habe: „Denn indem er durch die Berührung zum Glauben zurückgeführt wird, wird unser Herz im Glauben gefestigt.“

Thomas hat wirklich den Finger in die Wunde gelegt: In das, was wir Menschen getan und erlitten haben, in die Wunden unseres Unglaubens und in alle Lebenswunden, die Jesus zu seinen gemacht hat, damit sie dort ankommen, wo sie einmal für immer geheilt und versöhnt sein werden.

Fra‘ Georg Lengerke

BetDenkzettel 
Georg Lengerke

Der BetDenkZettel ist eine Reihe kurzer Bet- und Denkimpluse zu einem Wort aus den Schriftlesungen der Liturgie von Fra Georg Lengerke.

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