Allzu stille Nacht, Deutschlandfunk 27. Dezember 2021

„Bitte keine stille Nacht“,

hieß es vor einem Jahr in der Werbung einer Münchener Hilfsorganisation für einsame ältere Menschen. Auch in diesem Jahr wird es für viele Menschen an Weihnachten wieder eine sehr stille, vielleicht allzu stille Nacht gegeben haben – vor allem dort, wo Familien nicht zusammenkommen und alleinlebende Menschen nicht besucht werden können.

Es ist etwas Eigenartiges um die Stille: Einerseits brauchen wir sie. Allein schon, um nachdenken oder etwas hören zu können – besonders die leisen und die Zwischentöne. Andererseits halten viele Menschen gerade die Stille schwer aus und verspüren das Bedürfnis, den entstehenden Freiraum schnell zu füllen.

Das Leben der einen wird immer stiller und sie bräuchten dringend ein gutes Wort und einen Menschen in der Nähe, der es sagt. Das Leben der anderen ist nahezu rund um die Uhr einer Dauerbeschallung ausgesetzt, an die sich viele schon gewöhnt haben und die sie gar nicht mehr wegdenken können.

Das kann sich gerade auch an Weihnachten zeigen: Viele Menschen singen in dieser Zeit gerührt „Stille Nacht“, aber nur wenige halten sie aus – die Stille.

In der Tradition der Christen gehört zum Weihnachtsfest beides: die Stille und das Wort. Von der Stille spricht das biblische Buch der Weisheit (18,14-15a), aus dem am Weihnachtsfest gelesen wird. Darin heißt es:

„Als tiefes Schweigen das All umfing und die Nacht in ihrem Lauf bis zur Mitte gelangt war, da sprang dein allmächtiges Wort vom Himmel, vom königlichen Thron.“

Die ersten Christen haben das als eine Prophetie über die Menschwerdung Gottes in Jesus Christus verstanden.

Entsprechend findet sich am Anfang des späteren Johannesevangeliums ein Satz, der das Wort vom Kommen des Wortes Gottes auf die Erde aufgreift:

„Das Wort ist Fleisch geworden.“ (Joh 1,14)

Gott belässt es nicht dabei, dass er zu uns spricht. Es reicht ihm nicht, dass Menschen von ihm sprechen oder sein Wort weitersagen. Denn Gott will den Menschen nicht nur etwas sagen. Er sagt – so könnte man sagen – sich selbst.

Das griechische Wort „Logos“, das der Evangelist an dieser Stelle verwendet, bedeutet „Wort“, aber auch „Sinn“ und „Bedeutung“. Das Wort, der „Logos“ Gottes ist für Christen mehr als bloß ein Gebot oder eine Botschaft, es ist der Sinn und die Bedeutung des Menschseins und der Welt. Und die, sagen die Christen an Weihnachten, zeigen sich – in der Gestalt des Menschen Jesus aus Nazareth.

Ich selbst nehme mir in diesen weihnachtlichen Tagen dreierlei vor:

Erstens suche, finde und nehme ich mir Zeiten der Stille. Dabei hilft mir der Unterschied zwischen dem „Schweigen“ und der „Stille“. Denn das Schweigen muss ich mir vornehmen und mich oft genug mühsam dazu durchringen. Die Stille jedoch ist schon da. Zumindest an manchen Orten. Sie kann ich aufsuchen und bejahen und mich in sie hineinbegeben.

Zweitens halte ich die Augen offen nach den einsamen Menschen um mich herum. Wir hatten in München eigentlich den Nachmittag und Abend des 24. Dezember für Menschen anbieten wollen, die sonst Weihnachten allein gewesen wären. Das wurde dann wegen der Maßnahmen gegen die Pandemie unmöglich. Aber wir werden in diesen Tagen Wege finden, möglichst risikoarm die aufzusuchen, die um uns herum alleine sind. Gerade in dem Wohnblock, in dem wir wohnen.

Und drittens höre ich hin, um durch die vielen Worte hindurch – das Wort zu hören, das mir von Gott erzählt, und das Wort zu finden, in dem Gott zu mir kommt. Für die Christen ist dieses Wort in Jesus von Nazareth auf die Erde gekommen. Und der hat versprochen, dass er in die Einsamkeiten und Traurigkeiten dieser Welt geht, um bei denen zu sein, für die diese heilige Nacht eine allzu stille Nacht gewesen ist.

Fra’ Georg Lengerke

Schott Tagesliturgie

Die “große Freude” diesseits der Welle Lk 2,1-14

In der Nacht auf den Heiligen Abend habe ich eine E-Mail bekommen: „Jetzt baue ich unsere Krippe auf. Obwohl ja keine kleinen Kinder mehr da sind, geht das bei mir nur nachts. Ich freue mich. Du auch?“

„Ich verkünde euch eine große Freude!“ ruft der Engel in dieser Nacht. „Und? Freust du dich?“ fragt mich nun jemand. Was soll ich antworten? Auf meine Antwort kommt es heute Nacht an.

Drei Antworten kenne ich gut: Die erste Antwort lautet: „Ja, früher – als Kind – habe ich mich gefreut. Und daran erinnere ich mich gerne.“ Die zweite Antwort lautet: „Ich werde mich freuen. Wenn die Krise vorüber, die Pandemie besiegt, unsere Entfremdung überwunden, Friede und Freiheit gesichert und der Planet gerettet ist, dann, ja dann werde ich mich freuen.“ Und die dritte Antwort lautet: „Wenn die Dinge anders lägen, dann würde ich mich freuen. Wenn ich nicht allein wäre, wenn ich gesund wäre, wenn meine Kinder mir näher wären, wenn mein Ehemann etwas mitteilsamer oder meine Ehefrau etwas weniger mitteilsam wäre, dann, ja dann würde ich mich freuen.“ – Und je vergangener oder ausstehender oder theoretischer die Freude wird, umso schlechter steht es um die Freude in dieser Nacht.

Aber die Freude dieser Nacht besteht nicht bloß in der Erinnerung an die untergegangene Weihnachtswelt unserer Kindheit. Sie besteht auch nicht zuerst darin, sich auf ein sich irgendwann vielleicht einmal einstellendes Glück zu freuen. Und am allerwenigsten besteht die Freude von Weihnachten in einer Träumerei, wie heil die Welt, wie glücklich mein Leben sein könnte, wenn doch nur alles anders wäre.

Mit der Geburt Jesu kommt Gott als Mensch in diese wirkliche, zerrissene, geschundene und bedrohte Welt. Gott kommt aus dem Jenseits meiner Erinnerung in das Diesseits meiner Gegenwart. Er kommt aus dem Jenseits des zukünftigen Himmels in das Diesseits unseres täglichen Lebens. Und er kommt aus dem Jenseits des Wünschenswerten in das Diesseits unserer Gegebenheiten und in die Wirklichkeit dieser Nacht.

Wir dürfen mit der Freude nicht warten, bis das Leben wieder wird wie früher oder wie wir es uns wünschen oder bis die nächste Welle der Traurigkeits-Infektion vorüber ist.

Denn in Jesus ist Gott diesseits der Welle von Traurigkeit und Krankheit, Not und Tod gekommen. Christus ist nicht gekommen, um uns diese oder jene Freude zu machen. Er ist gekommen, um unsere Freude zu sein. Indem er sich mit uns und wir uns mit ihm verbinden. Heute Nacht noch. Und mitten in einer Zeit, die zur Traurigkeit neigt.

Wenn mich das Kind in der Krippe heute Nacht fragt: „Freust Du dich?“ Dann will ich sagen: „Ich freue mich. – Denn Du bist es, der mich freut. Und alles, was mich sonst noch freut, verbindet mich mit Dir.“

Fra’ Georg Lengerke

Schott Tagesliturgie

Mutterleibsbegegnung Lk 1,39-45

Im Kinderbad in meinem Elternhaus hängt ein Foto von meiner Schwägerin und meiner Schwester. Beide waren vor 20 Jahren zeitgleich mit ihrem jeweils ersten Kind hochschwanger. Sie stehen sich gegenüber, haben ihre Pullover hochgezogen und schauen auf ihre Bäuche, die sich leicht berühren.

(c) Sophia v. Lengerke

An dieses Bild denke ich beim Besuch Marias bei ihrer Verwandten Elisabeth. Eine Begegnung von vier Menschen, von denen zwei schon da, aber noch nicht sichtbar sind: Johannes und Jesus als ungeborene Kinder, von denen das eine sich über die Nähe des anderen so sehr freut, dass es im Leib der Mutter hüpft.

Die erste Begegnung mit dem Mensch gewordenen Gott findet nicht in Bethlehem, sondern im Haus der Elisabeth bei Jerusalem statt. Als erstes freuen sich über ihn nicht die Hirten auf dem Feld. Als erstes freut sich über ihn ein ungeborenes Kind. Die weihnachtliche Freude beginnt bereits im Advent.

Wenn Gott auf die Welt kommt wie wir – „geboren von einer Frau“ (Gal 4.4) – dann will er offenbar den ganzen Weg unseres Werdens mitgehen. Vom ersten Augenblick unseres zunächst noch unentdeckten Lebens im Mutterleib an.

„Gott wird Mensch, damit der Mensch vergöttlicht werde“, schrieb der hl. Athanasius (+373). Auch das unterscheidet uns von ihm: dass wir nicht Mensch geworden sind. Wir sind alsMenschen geworden, was wir sind. Ich war nie etwas und bin dann jemandgeworden. Das ist wichtig. Denn „etwas“ kann man handhaben, verändern, verleihen, verkaufen, schätzen oder verwerfen, pflegen oder verkommen lassen. Mit „jemandem“ darf das keiner tun.

Die Antwort auf die Frage nach den Ungeborenen hat fundamentale Folgen für die Geborenen: Kein Mensch ist jemand, den man irgendwann mal einfach hätte wegmachen dürfen.

Gott holt uns im Advent ab, damit wir mit ihm geboren werden. Wenn Gott als Mensch geboren wird, kommt auch zum Vorschein, wer wir sind: der von Anbeginn an um jeden Preis geliebte Mensch.

Fra’ Georg Lengerke

Schott Tagesliturgie

Advent auf der Tenne: Spreu und Weizen Lk 3,10-18

Wenn einer feststellt, jetzt würde sich „die Spreu vom Weizen trennen“, dann ist es meistens schon brenzlig geworden. Je nach Kontext heißt das: Die einen sind gescheitert und die anderen haben sich bewährt. Die einen haben aufgegeben und die anderen haben durchgehalten. Die einen sind gegangen und die anderen geblieben.

Die Spreu wurde zur Zeit Jesu vom Weizen durch das sogenannte „Worfeln“ getrennt. Dabei wird das ausgedroschene Getreide in den Wind geworfen, so dass die Spreu wegfliegt und der Weizen wieder an Ort und Stelle landet. Spreu ist wie Staub – leicht und leer, frucht-, substanz- und wertlos. Wenn die Bibel von der Spreu spricht, sagt sie fast immer: Sie wird vom Wind verweht.

Johannes nennt Jesus den Mann „mit der Worfschaufel in der Hand“, der Spreu und Weizen unterscheidet und trennt, um das Vergängliche dem Vergehen zu überlassen und das bleibende der Fruchtbarkeit zuzuführen.

Wohlgemerkt: Kein Mensch ist Spreu. Aber Spreu und Weizen sind ein Gleichnis, das uns zeigen will, wem wir gleichen oder woran wir hängen.

Um das zu erkennen, hilft mir die Erinnerung an jene Spreu-Zeiten, in denen ich mich eher von Hülle als Fülle, eher von Schale als Kern, eher vom Äußeren als Inneren habe faszinieren lassen. Das war z.B. in der Pubertät so. Das war so, wenn ich vor allem gefallen wollte oder mich gedrückt habe vor allem, was irgendwie schmerzlich, herausfordernd oder anders gefährlich war.

Und mir hilft die Erinnerung an die wachsende Unzufriedenheit mit der Hülle, an das Aufkommen von Wille, Geduld und Kraft, mich durch die Schale zum Kern zu graben und fruchtbar werden zu wollen, auch wenn das alles kosten kann.

Johannes der Täufer sagt: An Weihnachten beginnt die Begegnung mit dem, der die Spreu vom Weizen scheidet, der den Weizen in die Welt sät – und der selbst zum Weizen wird, der in die Erde gesät und zum Brot für die Welt wird

– zusammen mit denen, die dieses Kind in ihr Leben lassen. Zu denen will ich gehören.

Fra’ Georg Lengerke

Schott Tagesliturgie

Ihre Vorwirkung – unsere Nachwirkung (Mariae Empfängnis)

Wir haben eine durchwachsene Vorgeschichte. Auch im Mutterleib ist die Welt kein ganz heiler Ort. Das Hineinverwobensein in eine Unheilsgeschichte, die uns das Ja zu Gott und seiner Güte schwer macht, nennt die Kirche „Erbsünde“. Die hat unser Leben wie das unserer Vor- und Nachfahren von Anfang an geprägt. Bei Maria macht Gott eine Ausnahme – um unseretwillen.

Davon handelt die Predigt von heute Abend in der Kommende junger Malteser (10 Min.)

Schott Tagesliturgie