Die Anfängerin (Hochfest der Gottesmutter acht Tage nach Weihnachten)

Am Anfang des Jahres frage ich mich, was eigentlich ein Anfänger ist. Ein Anfänger ist ein Mensch, der etwas zu lernen beginnt und es noch nicht gut kann.

Ein Anfänger ist aber auch jemand, der etwas Neues beginnt. Jemand, der etwas mit dem anzufangen weiß, was er ist oder hat.

Und schließlich kann ein Anfänger jemand sein, mit dem andere etwas anfangen können. Jemand, der andere etwas mit sich anfangen lässt und ihnen so zu einem Anfang verhilft.

An Weihnachten feiern wir, dass Gott mit der Welt einen Neuanfang macht. Nicht, wie wir Menschen es oft tun, indem wir das Alte verwerfen und abschaffen, sondern indem er es durch Neues erneuert. Dieses Neue ist, dass Gott selbst in die alte Welt und das alte Leben kommt. Der Anfang geschieht, weil er jemanden hat, mit dem er etwas anfangen kann. Dieser Jemand ist Maria.

Am Anfang des neuen Jahres feiert die Kirche den Oktavtag von Weihnachten und das Hochfest der Gottesmutter Maria. Sie ist die „Anfängerin“ schlechthin.

Sie ist die Lernende, die fragt, wie das gehen soll mit der Menschwerdung, die Wort und Tat Gottes mit der Welt zusammenbringt und in ihrem Herzen bewegt.

Sie ist auch die, die etwas Neues beginnt, indem sie das, was Gott ihr sagt und schenkt, empfängt und annimmt und damit etwas anfängt.

Sie ist schließlich die, mit der Gott etwas anzufangen weiß, weil sie ihm Raum und Stimme gibt und den Weg mitgeht, den er nicht ohne sie gehen will.

Maria ist die Lernende, die Beginnende und die, mit der Gott etwas anfangen kann – um unseretwillen. Denn Maria ist ja nicht zuerst ein Vorbild, sondern zuerst Schenkerin der menschlichen Gegenwart Gottes und Anfängerin des von ihm geschenkten neuen Lebens.

Und das soll auch uns zu Anfängern machen. Zu Lernenden, zu Beginnenden und zu Menschen, mit denen Gott etwas anzufangen weiß.

Nun fällt das den meisten Menschen nicht ganz leicht. Anfänger dürfen zwar mit Rücksicht rechnen, werden aber häufig nicht so richtig ernst genommen. Auf die Dauer ein Anfänger zu sein (so wie ich zum Beispiel im Italienischen), ist eine unbefriedigende Sache. Wer etwas anfängt, muss sich etwas Neues trauen. Und wer will, dass andere mit ihm etwas anfangen können, muss sich ihnen anvertrauen.

Viele Anfänger möchten ihr Anfänger-Sein möglichst bald hinter sich bringen. Sie wollen Fortgeschrittene und Erfahrene sein – oder dafür gehalten werden. Es ist seltsam: Viele wollen einen Neuanfang. Aber nur wenige wollen Anfänger sein.

Aber wir brauchen keine Angst haben um unsere Erfahrung, unsere erlernten Fertigkeiten, unseren Fortschritt im geistlichen Leben. All das wird oder bleibt gut durch die dauernde Erneuerung von dem, der an Weihnachten in die Welt gekommen ist. Weil Christen zu Christus, also zum Neuanfang Gottes mit der Welt gehören, müssen sie Anfänger sein und bleiben. Erfahrene Anfänger meinetwegen, aber immer Lernende, immer Menschen, die beginnen, und mit denen Gott etwas anfangen kann.

Wir können das im Leben vieler Glaubenszeugen ablesen. Papst Benedikt XVI. war so ein erfahrener Anfänger, für den auch im hohen Alter die Beziehung zu Jesus noch immer etwas Neues war, das ihn lernen und beginnen und zu jemandem werden ließ, mit dem Gott etwas anzufangen weiß.

Was Gott alles mit Papst Benedikt anzufangen wusste und anzufangen weiß, werden wir vielleicht erst lange nach seinem Tod erkennen. Er aber möge sich jetzt schon darüber freuen – und zwar zusammen mit uns – was Gott mit uns alles anfangen kann.

Fra’ Georg Lengerke

Zieh mich an (Weihnachten) Lk 2,1-14

Eine tägliche Frage: Was zieht mich an? Was stößt mich ab? Und: Wovon soll ich mich anziehen lassen? Wovon mich zurückziehen? Bauchgefühl reicht nicht. Es gibt Anziehendes, vor dem ich mich hüten, und Abstoßendes, das ich mir nahegehen lassen soll.
Auch verschiedene Ausdrucksformen von Weihnachten können etwas Anziehendes oder Abstoßendes haben. Was zieht Euch an Weihnachten an? Ist es die Unterbrechung in einer herausfordernden Zeit? Das Zusammensein mit lieben Menschen? Ist es die Erinnerung an Eure Kindheit? Oder ist es die Hoffnung, eine Antwort auf die Frage zu bekommen, was in dieser verrückten Welt eigentlich Sinn macht?
Und was hat Euch heute hierher in die Kirche gezogen? Auch die Kirche hat ja für viele etwas Abstoßendes und für andere zugleich etwas Anziehendes. Ist es das Festliche und Erhebende dieses Tages? Sind es die altvertrauten Lieder? Ist es die Botschaft des Festes, die immer weniger Menschen kennen und auch ihnen irgendwie geheimnisvoll bleibt?
Wer immer weiter danach fragt, was ihn an Weihnachten anzieht, landet irgendwann am Mittelpunkt und Treffpunkt dieses Festes. Das ist eine Futterkrippe, in der ein neugeborenes Kind in Windeln liegt.
Wer hier verweilt, dem kann sich zeigen, dass die Anziehungskraft des Weihnachtsfestes nicht nur in der so wichtigen Unterbrechung des alltäglichen Wahnsinns besteht, nicht allein in unserem zerbrechlichen Miteinander, in Erinnerungen oder Stimmungen. An der Krippe kann uns aufgehen: Es ist nicht etwas, was mich zu Weihnachten anzieht, sondern jemand.
Weihnachten ist die Begegnung mit einem Kind, in dem Gott als Mensch zur Welt kommt. Es ist der Beginn einer Beziehung, eines Gespräches. Für die einen ist es der Neuanfang eines schon lange währenden Gespräches. Für die anderen vielleicht die Gelegenheit, einen länger abgerissenen Gesprächsfaden wieder aufzunehmen.
An Weihnachten schaut Gott uns in der Gestalt eines Kindes an und sagt: Da bist du ja! Mir kommt es so vor, als wollte Gott uns nochmal in unserer Kindheit, nochmal am Anfang des Glaubens abholen, um mit ihm nochmal erwachsen und alt zu werden. Als sollten wir zusammen mit diesem Kind nochmal erkennen und urteilen, reden und handeln, leben und lieben lernen.
Weihnachten ist Christsein im Anfang. Für alle Menschen, die das wollen. Auch für die Christen und für die, die es wieder werden wollen.
„Zieh mich dir nach“ singen die Christen in dem alten Weihnachtslied „In dulci jubilo“: „Trahe me post te – Zieh mich hinter dir her“. Das sagt im Hohenlied der Liebe (Hld 1,4) die Geliebte zum Geliebten und die Seele zu Gott, die um seine Anziehungskraft, seine „Attraktivität“ weiß und sich ihr aussetzt.
Jesus selbst kennt die Dynamik von Anziehung und Abstoßung. Er lässt sich anziehen von einer abstoßenden Welt. Er liebt sie – auch wenn sie keine Herberge und keinen Platz für ihn hat.  Am Ende seines Lebens wird er sagen: „Wenn ich über die Erde erhöht bin, werde alle zu mir ziehen“ (Joh 12,23)
An der Krippe kann unsere Geschichte der Anziehungskraft, der Attraktivität der Liebe Gottes neu beginnen. Und vielleicht können wir heute an der Krippe das Gespräch fortsetzen, dass wir in dem alten Kirchenlied begonnen haben:
Ziehe mich zu Dir. Ziehe mich heraus aus meinen alten Verstrickungen und Kränkungen; aus den Entstellungen und Verleugnungen. Zieh mich an Dich, in Deine Nähe, in Deine Freundschaft, in Deine Fähigkeit zu lieben und mich lieben zu lassen. Ziehe mich hinter Dir her – in die Welt, zu den Menschen, dahin, wo Du mich brauchst, wo es mir vielleicht unheimlich, aber die Liebe es wert ist. Und dann einmal in den Himmel, von wo Du uns entgegenkommst, damit einmal alle bei Dir sind.
Fang neu mir mir an und – „trahe me post te.“
Fra’ Georg Lengerke

MIT (4. Advent) Jes 7,10-14

Es war das erste Kind seiner jungen Eltern. Eines seiner ersten Worte nach Mami und Papi war „mit“. Was immer die Mutter unternahm, das Kind sagte: „Mami, mit!“ Wenn die Mami nach nebenan ging, um etwas zu holen: „Mami mit!“ Wenn sie an die Tür ging: „Mami, mit!“ Wollte die Mutter aufs Klo gehen: „Mami, mit!“ Und so bei allem.

Einerseits ist das nachvollziehbar. Das Kind will bei der Mutter sein. Vielleicht sogar sehen, was die Mutter sieht, hören, was die Mutter hört, bald dann auch tun, was die Mutter tut. Auf der anderen Seite kann eine solche Anhänglichkeit problematisch und den Eltern manchmal lästig werden.

Lästig fällt einer dem anderen auch in der Lesung aus dem Propheten Jesaja (Jes 7, 10–14). Allerdings nicht ein Kind seinen Eltern. Hier ist es der Mensch, der Gott lästig fällt. Nicht etwa deshalb, weil der Mensch dauernd etwas von Gott will. Sondern weil er im Gegenteil nichts von ihm will. Gott kündigt durch den Propheten dem in politische und militärische Schwierigkeiten geratenen König Ahas an, er werde ihm eine Bitte erfüllen. Der aber will um nichts bitten – angeblich, um Gott nicht auf die Probe zu stellen (Dtn 6,16). Und so klagt Gott darüber, dass der König ihm lästig falle. Nicht der bittende Mensch ist Gott lästig; sondern der Mensch, der alles zu haben meint, der sich selbst genügt, dem nicht zu helfen ist – der ist Gott lästig.

Gott setzt sich über die Selbstgenügsamkeit des König Ahas hinweg. Er wird ihm von sich aus ein Zeichen senden und kündigt ihm die Geburt eines Kindes an. Die Exegeten streiten darüber, ob damit nur ein Nachkomme gemeint ist, der politisch glücklicher agiert als Ahas. Oder ob es sich schon hier um eine von Gott kommende Rettergestalt handelt. Das Evangelium sieht in der Geburt Jesu die Weissagung des Nachkommen aus dem Hause Davids erfüllt. Der Titel dieses kommenden Königs aus der Jesaja-Lesung wird auf Jesus übertragen: Er ist der Immanuel – der Gott mit uns, sagt der Engel im Traum zu Josef.

Da ist es wieder, das Wort mit, das unser kleiner Freund als erstes gelernt hat. Mit ist eine viel stärkere Präposition als z.B. zu oder bei. Das einer zu dem anderen kommt, bedeutet, dass er seine Nähe sucht. Das einer bei dem anderen ist, bedeutet, dass er in der Nähe bleibt. Wenn einer aber mitdem anderen ist, dann schließt das alle Lebensvollzüge mit ein. Dann sieht und erkennt er, denkt und urteilt er, spricht und handelt er mit dem anderen, und der andere nicht ohne ihn. Mit ist nicht nur eine Ortsbeschreibung, sondern eine Vollzugsbeschreibung. Es bedeutet Teilnahme und Teilgabe.

Gott kommt zu uns als ein Mensch, sagen die Christen an Weihnachten. Gott ist bei uns, glauben die Christen, weil er es versprochen hat. Aber was unser Leben verändert ist, dass Gott Immanuel ist, Gott mit uns ist, und wir mitGott sind.

Einander fallen wir lästig, wenn wir nicht merken, wann es Zeit ist, einander in Ruhe zu lassen. Gott sind wir lästig, wenn wir lieber vor ihm Ruhe als in ihm Ruhe haben wollen.

„Mami, mit!“ bittet das Kind.

„Jesus, mit!“ dürfen wir unaufhörlich beten – ohne ihm lästig zu fallen.

Fra’ Georg Lengerke

FROH (3. Advent) Phil 4,4-5

Freude kann man nicht anordnen. Und wo sie angeordnet wird, bewirkt das – jedenfalls bei mir – todsicher ihr Gegenteil. Insofern hat der heutige Sonntag ein unerfreuliches Potenzial. Er beginnt mit dem Aufruf zur Freude: Gaudete – Freut Euch! (Phil 4,4)

Der Satz ist besonders provokant in einer Zeit, in der Sorgen, Ängste und Bedenken eher mehr werden. Freude wird zum seltenen Glück – oder zum Zeichen, dass einer nicht gemerkt hat, wie ernst die Lage ist.

Heute gebe ich mir Rechenschaft über meine Freude. Die kann der heutige Sonntag nicht anordnen. Aber er kann mich an sie erinnern. Wie müsste eine Freude der Christen aussehen, die angesichts des Ernstes der Lage Bestand hat?

Sie dürfte erstens nicht bloß nostalgisch sein, eine seufzende Erinnerung an Gewesenes, an eine untergegangene bessere Zeit.

Zweitens kann sie sich nicht zufriedengeben mit einer Vertröstung auf eine jenseitige Zukunft, die für die Gegenwart irrelevant ist.

Und drittens wäre sie keine Freude, wenn an sie dauernd Bedingungen geknüpft werden: Ich würde mich ja freuen, wenn nur die Gesellschaft, die Politik, das Klima, der Arbeitsplatz, der Ehepartner oder die Kinder – und überhaupt die Welt besser wären und nicht vom Untergang bedroht.

Die Freude, um die es hier geht, ist schließlich nur dann echt und glaubwürdig, wenn sie nicht um den Preis der Verdrängung von Leid und Schuld erkauft wird oder irgendwelchen psychischen Sonderbedingungen geschuldet ist.

Wir sollten uns zunächst einfach mal an allem Guten freuen. An allen guten Gaben und ihrem Geber. Vor allem an ihm, sagt Paulus im Philipperbrief, von dem der heutige Sonntag seinen Namen hat: „Gaudete – Freut euch im Herrn zu jeder Zeit! … Der Herr ist nahe.“

Eine Glaubensgewissheit wird für mich seit einiger Zeit immer wichtiger und klarer: Das umstürzend Neue des Glaubens an Jesus Christus besteht darin, dass in ihm Gott selbst von jenseits meiner Leistungen und Erfolge, meiner Bedingungen und Hindernisse der Freude in das Diesseits der versehrten Welt und auf meine Seite des Schmerzes gekommen ist. „Vor aller Leistung, trotz aller Schuld.“ (K. Kliesch)

Deshalb freue ich mich über das, was war und geworden ist: dass Gott um der ganzen Welt willen mit einem Volk eine neue Geschichte begonnen hat; dass in diesem seinem Volk ein Mensch aufgetreten ist, dem einige Menschen geglaubt haben, dass Er die personale Gegenwart Gottes für alle Menschen ist; und dass dieser Eine, nachdem Er getötet und auferweckt wurde, durch das Zeugnis der Seinen in unser Leben eingetreten ist.

Ich freue mich auf das, was dieser Eine versprochen hat: dass das Ziel unseres Lebens die vollkommene Glückseligkeit bei Gott ist, und dass bei Ihm die ganze Wirklichkeit einmal ankommen wird – wenn sie es will.

Und ich freue mich an dem, was ist: dass „der Herr nahe ist“ – mir und meinen Nächsten. So nahe, dass er mein Leben zu seinem Leben macht, damit sein Leben zu meinem Leben wird, seine Liebe zu meiner Liebe und seine Freude zu meiner Freude.

An die will ich mich heute erinnern lassen. Sie geht allen Argumenten voraus. Und sie hat Bestand – auch angesichts des Ernstes der Lage.

Fra’ Georg Lengerke