Dreifacher Dank für dreifache Ernte (Predigt zum Erntedank am 3. Oktober 2021, 11:24 Min.)

„Nur danken kann ich, mehr doch nicht“, dichtet Johann Philipp Neumann in der Deutschen Messe von Franz Schubert. Was soll dieses „Mehr“ denn sein, frage ich mich. Für das, was einem geschenkt wird, kann man nicht „mehr“ als danken. So bald man mehr tut, wird aus dem Geschenk ein Geschäft.

Heute geht es um den Dank für die Ernte. Ich möchte dreifach danken für eine dreifache Ernte:

1. Die Ernte dessen, was andere für uns gesät und geerntet, gebracht und bereitet haben, so dass wir von ihnen und dem Geber aller Gaben haben, was wir an Leib und Seele zum Leben brauchen.

2. Die Ernte dessen, was wir selbst gesät und begonnen, gegeben und investiert haben und was fruchtbar geworden ist, weil Gott wachsen lässt – für uns und andere.

3. Und schließlich geht es um die Ernte unseres Lebens. Wir ernten nicht nur. Wir werden geerntet, und die Ernte wird das Ganze unseres Lebens sein. Das, was wir geworden sind.

Fra‘ Georg Lengerke

Schott Tagesliturgie

In der Ehe-Falle Mk 10,2-16

Ich lebe zölibatär. Dennoch tappe ich immer wieder in die Ehe-Falle. Nein, nein, nicht was Ihr denkt.

Die Pharisäer zetteln eine Diskussion um die Erlaubtheit der Ehescheidung an. Nicht, weil sie etwa die Not gescheiterter Eheleute oder deren Kinder, häusliche Gewalt oder die Unterdrückung der Frau umtreibt. Sondern, „um Jesus eine Falle zu stellen“. Egal wie er antwortet, man würde ihn mit dem Gesetz des Mose der Gotteslästerung zeihen. Diese „Ehe-Falle“ meine ich.

Jesus lässt sich auf die Diskussion gar nicht ein. Erst später, im kleineren Kreis der Jünger, spricht er darüber, dass Entlassung und Neuheirat Ehebruch sei.

Stattdessen gibt er die Frage zurück und konfrontiert die Frager: „Nur weil ihr so hartherzig seid“, sagt er ihnen, hat Mose die Scheidung erlaubt.

Es geht erst mal nicht um die Anderen. Es geht um euch. Und es geht um eure Hartherzigkeit. Hartherzig ist für Jesus nicht das Festhalten an der versprochenen Treue in der Ehe, die die Treue Gottes bezeugt. Hartherzig ist es, nicht treu sein zu wollen.

Es gibt Probleme, sagte mir neulich ein Freund, für die gibt es keine Lösung. Dazu gehört, dass es keinen dritten Weg gibt zwischen einer unauflöslichen Ehe oder einer Verbindung auf Zeit. Sie kann nicht ein bisschen erst das eine und dann das andere sein.

Vielleicht sollten wir mehr vom Anfang sprechen und darüber, was das heißt, dass Gottes Treue auf Erden von Menschen mitvollzogen und bezeugt werden kann und wird – bis in den Tod. Und darüber, wie oft das gelungen ist. Und darüber, was wir als Einzelne und als Gemeinschaft dieser mal glücklich, mal schmerzhaft durchgehaltenen Treue alles verdanken.

Solche Würdigung verharmlost das Scheitern nicht – im Gegenteil. Aber es nimmt ihm die Autorität, Maßstab des Lebens zu sein. Solche Erinnerung diskriminiert keinen. Sie hilft allen. Denn „wenn wir untreu sind, bleibt Gott doch treu, denn er kann sich selbst nicht verleugnen.“ (2 Tim 2,13)

Fra‘ Georg Lengerke

Schott Tagesliturgie

Amputiert in den Himmel Mk 9,38-43.45.47-48

Im Film The Mission(1986) legt sich der Brudermörder und Sklavenhändler Rodriguez Mendoza (Robert de Niro) eine schwere Buße auf. Er schließt sich den Jesuiten an und schleppt auf dem Weg in deren Niederlassungen sein ganzes altes Leben in Gestalt seiner Waffenrüstung in einem Bündel mit sich. Am oberen Lauf der Iguazu-Fälle angekommen schneiden ihn die Guarani, die er früher jagte, von seinem Ballast los, der krachend in die Tiefe fällt.

Dauernd müssen wir uns trennen. Zunächst von allem Nichtgewählten. Dann von Vergänglichem. Schließlich und eigentlich zuerst von dem, was uns „zum Bösen verführt“. Das kann eine zunächst angenehme aber auf Dauer schlechte Gewohnheit sein. Eine Art von Medienkonsum, der meine Kreativität oder geistige Beweglichkeit einschränkt oder meine affektive Liebesfähigkeit verdirbt. Es kann eine Beziehung sein, die meine Ehe oder meine Familie oder eine versprochene Treue gefährdet.

Und je mehr es scheint, diese Gewohnheit, dieser Konsum oder diese Beziehung gehöre zu uns wie Hand oder Fuß, Auge oder Ohr, umso tiefer scheint der Schnitt.

Jesus sagt, das Erreichen unseres Lebensziels sei wichtiger als unsere Unversehrtheit auf dem Lebensweg. Lieber humpelnd in den Himmel, als joggend in den Abgrund. Mir scheint, die meisten Menschen, denen es um die Liebe ging, haben nur versehrt ihr Ziel erreicht.

Rodriguez Mendoza fällt am Ende zurück. Als die Portugiesen die Jesuiten-Reduktionen überfallen, holt er Schwert und Rüstung aus dem Fluss und geht in einem Blutbad unter.

nur die beschnittene rose
blüht aus gesammelten kräften

nur die gestutzte rebe
wirft alles in die traube

schreibt Andreas Knapp in einem Gedicht (1) an jemanden, der wild wachsend / in alle Richtungen strebenwill. Und er schließt:

doch nur gebündelt kannst Du Dich entfalten
und schon im blühen fruchtbar sein

Fra‘ Georg Lengerke

(1) askese in: Brennender als Feuer. Geistliche Gedichte von Andreas Knapp, 5. Auflage, Echter Verlag 2010, S. 22.

Schott Tagesliturgie

Primus, Novize und Minister werden Mk 9,30-37

Es ist eine Verdrängung wie im Bilderbuch. Jesus spricht von seinem bevorstehenden Leiden, und die Jünger streiten sich, „wer von ihnen der Größte sei“. Was mag für sie „Größe“ gewesen sein? Begabter, bekehrter oder näher an Jesus zu sein als andere?

Es scheint, als ginge es Jesus just um das Gegenteil: Mach Dich klein. Stell dich hinten an. Sei nützlich. Dieses Missverständnis ließ Menschen wie Friedrich Nietzsche denken, das Christentum sei überhaupt nur eine einzige Kleinmacherei des Menschen und eine Idealisierung des Schwachen, Kranken und zu kurz Gekommenen.

Andere Übersetzungen können uns mitunter helfen, einen Text tiefer zu verstehen. Zum Beispiel die lateinische Vulgata, die auf einen Urtext des Hl. Hieronymus vom Ende des 4 Jh. zurückgeht.

Dort sagt Jesus, ein Jünger solle nicht maior, größer sein wollen als der andere. Aber jeder soll primus, Erster sein wollen, wenn es um das Mitgehen und Mitleben und Mitlieben mit Jesus geht. Und das geht nie auf Kosten anderer.

Wer so ein primus der Nähe Jesu sein will, der soll zugleich der Letzte sein. Aber in der Vulgata steht da nicht ultimus, der Entfernteste, Äußerste oder Hinterste, sondern novissimus, der Neueste, der Anfänger, der Lernende – wie ein Novize im Kloster.

Und ein solcher primusist jemand dann, wenn er zum Dienerwird. Doch statt des lateinischen Wortes servussagt Jesus in der Vulgata, die Jünger sollten minister sein. Damit ist nicht ein Politiker oder oberster Beamter gemeint, sondern einer, der die Lebensgüter für andere besorgt, verwahrt und verteilt und ihnen so dient – wie der „PaterMinister“ in einer Jesuitenkommunität.

Wer die größte Nähe Jesu sucht, ein Neuling im Lernen Seines Lebens bleibt und das, was er hat, für die Anderen hat,
der kann sich auch der wirklichen Welt stellen, in der die Liebe leidet und siegt.

Fra‘ Georg Lengerke

Schott Tagesliturgie

Gott und das viele Leid Mk 8,27-35

Auch die Volontäre hier im Libanon fragen dieser Tage, wie das ist mit Gott und dem Leid. Ich kenne viele falsche, dumme, grausame oder unangemessene Antworten. Und ich selbst weiß keine endgültige Antwort. Ich hoffe sie zu hören, wenn ich vor Gott stehe.

Aber einige vorläufige Antworten gibt es doch:

Es gibt verschuldetes Leiden. Selbst- oder fremdverschuldet. Jedes Laster, jede Sünde verursacht Leid – von der Ungerechtigkeit über die Bosheit bis zur Dummheit; für Einzelne, Gruppen oder Regionen; körperliches oder seelisches Leiden. Wir fragen, wie Gott das zulassen kann. Und Gott fragt zurück: How dare you?

Es gibt unverschuldetes Leiden an und mit der Schöpfung. Ihre Geschichte ist nicht einfach festgelegt wie ein Uhrwerk. Sie ist vielmehr endlich und also vergänglich und (aus unserer Sicht) störanfällig. Das Klima ändert sich, Erdplatten verschieben sich, die einen Zellen lassen andere Zellen sterben. Vor allem sind auch unsere neuronalen Prozesse nicht einfach determiniert, sonst gäbe es keinen Geist und keine Freiheit, keine Liebe und keine Wahrnehmung von Sinn.

Und schließlich gibt es übernommenes Leiden. Wer liebt, kann einen anderen „gut leiden“. Er trägt sein Leiden mit, erträgt ihn, hält bei ihm aus. Gott ist der Liebende schlechthin. Er schaut dem Spiel der Kräfte und dem Schauspiel missbrauchter Freiheit nicht einfach zu. Gott geht ins Leiden. Deshalb „muss der Menschensohn viel leiden“. Nicht weil Gott das so will, sondern weil der Mensch das so wollte und weil die Liebe sich dem Hass nicht entziehen kann, wenn es Erlösung geben soll.

Petrus hat recht. Die Liebe stellt sich dem Geliebten in den Weg, der ins Leid geht. Aber der Liebende darf sich der Liebe nicht in den Weg stellen, die ins Leiden geht. Geh hinter mich, sagt Jesus, geh mit mir, wenn Du sehen und mitwirken willst, wie die Liebe die leidende Welt erlöst.

Fra‘ Georg Lengerke

Schott Tagesliturgie