Pfingsten und die Ratte der Lüfte

Fensterbild im Pfarrhaus St. Joseph, Gronau an der Leine

Im Pfarrhaus St. Joseph in Gronau an der Leine gibt es im Treppenhaus ein Fensterbild aus den 50er Jahren. Eine Taube schießt mit einer Heiligen Schrift im Schnabel auf die Erde herab. „Im Geist ist die Freiheit“ steht da in großen Lettern. Das Wort „Freiheit“ aber kann man nicht gut lesen. Denn außen auf dem Fenstersims klebt eine Art Knete, in der lauter Nägel eingedrückt sind. – Offenbar um genau das zu verhindern: dass eine Taube auf den Sims herabschießt.

Einerseits fand ich das witzig: Die Taube, das Symbol des Heiligen Geistes, wird bildlich erbeten und baulich bekämpft. Andererseits ist das oft die tragische Wahrheit: Der Heilige Geist wird gefühl- oder kraftvoll erbeten und zugleich ängstlich verhindert.

Entweder dadurch, dass wir sehr genau wissen, wie der Heilige Geist die Kirche heute zu wollen hat. Zum Beispiel wie die von vor 1965, in der alles angeblich viel besser war. Oder als eine Kirche, die alle Ansprüche des Mainstream vorauseilend erfüllt und im Kampf um Relevanz immer irrelevanter wird.

Oder wir verhindern den Geist, indem wir behaupten, wir wüssten gar nichts darüber, was der Hl. Geist will und wie er führt und wirkt.

Aber Hl. Geist lässt sich weder zum göttlichen Erfüllungsgehilfen unserer kirchlichen oder politischen Agenda machen. Noch sind wir über das Wirken des Geistes einfach in Unkenntnis gelassen.

Vielmehr sollen wir uns empfänglich und beweglich halten für den, der (vor uns) den Willen und das Wort Gottes kennt und offenbart und erfüllt.

Für den Geist,
der bekehrt, vergibt und versöhnt,
der unterscheiden und sich entscheiden hilft,
der sammelt und sendet,
der bewegt und ermächtigt,
der versteht und verständigt
und verstehen macht,
was der Wille Gottes ist.

Alles das tut der Hl. Geist – vorausgesetzt wir kratzen von rechts bis links die olle Knete mit den Nägeln weg.

Fra’ Georg Lengerke

Schott Tagesliturgie

Kirche, weltfremd und hassenswert Joh 17,6a.11b-19

„Die Kirche darf nicht weltfremd sein“, sagt eine Frau in der Tagesschau über den Ökumenischen Kirchentag. Nun, das kommt bisschen auf die Welt an. Es gibt Momente, da darf die Kirche nicht weltfremd sein, und Momente, in denen muss sie weltfremd sein.

Die Kirche darf sich der Welt nicht entfremden, das stimmt. Sie darf sich nicht vor ihr ängstigen; ihre Botschaft darf für Menschen guten Willens nicht unverständlich sein; sie muss vertraut sein mit der Schönheit und Entstellung der Welt, an der sie ja selbst Anteil hat.

Andererseits hat sie ihren Ursprung in dem, von dem die Welt sich entfremdet hat. Dessen Wort stellt die Welt, wie sie ist, infrage. Ich kann verstehen, dass sie dieses Wort hasst; und den, der es gesagt hat; und die, die es weitersagen.

„Die Welt hat sie gehasst“, sagt Jesus, „weil sie nicht von der Welt sind, wie auch ich nicht von der Welt bin.“ (Joh 14,17) Wo die Christen Christus treu sind, dort gleicht ihr Weltverhältnis dem seinen. Sie dürfen weder weltfremder noch weltvertrauter sein wollen als er.

Gestern schrieb mir ein Freund, dem ich ein Thesenpapier geschickt hatte. Ich hatte mir Mühe gegeben und fand es nicht schlecht. Er lobte es höflich und ergänzte eine Perspektive, in deren Licht das ganze nur noch so halb stimmig war. Am Ende schrieb er augenzwinkernd: „So eine Antwort ist hassenswert.“

So ist es mit Jesus. Mit seinem Kommen kommt ein Licht in die Welt, in der Menschen das Ganze zu sehen beginnen und merken, dass ihr gewohntes Leben nur halb gut, halb wahr, halb glücklich gewesen ist.

Je verliebter ich in das halbe Leben bin, um so weltfremder und hassenswerter werde ich seine Antwort finden.

Weltvertraut und liebenswert wird sie mir dort sein, wo ich ihr glaube, dass sie mich zur Güte, zur Wahrheit und zum Glück führt.

Fra’ Georg Lengerke

Schott Tagesliturgie

Von ferne näher (Himmelfahrt) Apg 1,1-11

„Lass Dich ansehen!“ sagte der alte Freund beim Wiedersehen, löste die Umarmung und hielt mich an den Schultern auf Armeslänge fest. Er brauchte Abstand, um mich ansehen und mir in die Augen schauen zu können.

Manchmal brauchen wir mehr Abstand, um einander näher und füreinander da sein zu können. Heute taufe ich ein kleines Mädchen. Ich werde ihre Mutter nachher fragen, ob ihr Kind ihr eigentlich im Mutterleib oder im Arm näher war.

Auch darum geht es bei der Himmelfahrt Christi: um ein Weggehen um einer größeren Nähe willen.

Die Jünger stehen an der Grenze zum Raumder Unverfügbarkeit Gottes, den die Apostelgeschichte „Himmel“ nennt. 40 Tage lang hatten sie Umgang mit dem Auferstandenen – noch leiblich aber nicht mehr sterblich.

Jesus muss den einen Ort verlassen, um an allen Orten gegenwärtig zu sein. Er muss zu einer Zeit weggehen, um zu allen Zeiten da zu sein. Er muss sich dem Anblick der Wenigen entziehen, um sich in den Herzen der Vielen zu offenbaren.

Damit verändert sich auch die Lebens- und Blickrichtung der Jünger:

Sie fragen nach der Wiederherstellung weltlicher Macht für das Gottesvolk – und werden beschieden, dass Gottes Reich anders und zu einer Zeit kommt, die keiner kennt.

Sie schauen dem leiblich Entrückten hinterher – und bekommen gesagt, dass sie nach dem Wiederkommenden Ausschau halten sollen.

Und als alles zu Ende zu sein scheint, wird ihnen gesagt, dass sie sich bereit machen sollen für jene Kraft, die sie zu Zeugen macht – ausgestattet mit dem Wort, der Vollmacht und der Liebe Jesu  und gesandt bis an die Grenzen der Erde.

Wenn es keine Zeugen mehr gibt, wird es auch bald keine Taufen mehr geben. Heute ist ein guter Tag zum Taufen – und um mich erinnern zu lassen.

Fra’ Georg Lengerke

Schott Tagesliturgie

Eines Anderen Geliebte Joh 15,9-17

Gestern war eine Trauung. Schon länger hatte sich das Brautpaar das heutige Evangelium aus Johannes 15 gewünscht.

Brautpaare spricht dieses Wort Jesu offenbar an: „Liebt einander, wie ich Euch geliebt habe.“ Mich haben solche Sätze ehrlich gestanden seit meiner Jugend erst überfordert und dann gelangweilt.

Ich kann nicht lieben wie Jesus! Und soll es das gewesen sein, dass mein Christsein darin besteht, dass ich nachmache, was Christus vorgemacht hat?

Dabei spricht Jesus doch auch davon, dass er seine Jünger liebt. Und zwar indem sie aufsucht und findet, ihre guten und bösen Tage zu seinen macht und ihnen, wie ein Freund dem Freund, Anteil an dem gibt, wovon er lebt: an seiner Beziehung zu Gott dem Vater.

Aber wenn sein Wort über die Liebe stimmt, dann muss ich auch von meinem Nächsten annehmen: „Du bist geliebt. – Und zwar über meine Liebe hinaus, schon bevor ich Dich sah und noch nachdem mich der kühle Rasen deckt.“

Ich habe dem Bräutigam gestern gesagt, dass das der einzige Fall ist, in dem es völlig okay sei, wenn er feststellt, dass seine Frau die Geliebte eines Anderen ist.

Und weil das auch für den Bräutigam und auch für mich gilt, dass ich Geliebter bin, kann ich dann doch etwas anfangen mit: „Liebt einander, wie ich Euch geliebt habe.“

Denn die Liebe der Jünger ist Liebe von Geliebten. Dass sie geliebt sind, befähigt sie, verbunden mit Jesus und zusammen mit der Liebe Gottes für Menschen da zu sein. Wir machen die Liebe Gottes nicht nach. Das können wir nicht. Wir vollziehen sie mit. Das ist „Sakramentalität“: dass Gott im Zeichen der menschlichen Liebe seine Liebe gegenwärtig und wirksam werden lässt.

Weil wir – wie unsere Nächsten – zuerst Geliebte eines Anderen sind.

Fra’ Georg Lengerke

Schott Tagesliturgie

Die Konvertiten-Angst Apg 9,26–31

Am Anfang hatten die Christen vor Paulus vor allem eines: Angst. Konnte der für seine Brutalität gefürchtete Christenverfolger wirklich ein Jünger Jesu geworden sein?

Die Angst vor Konvertiten ist nicht neu. Es gibt sie als Angst vor Konvertiten, die keine sind, und als Angst vor Konvertiten, die wirklich welche sind.

Die Angst vor Scheinkonvertiten trat zuletzt vor allem gegenüber Flüchtlingen muslimischen Glaubens auf, die sich hier taufen ließen und nunmehr in ihrer Heimat bedroht waren. Die christliche Gemeinde muss Sorge tragen, dass der Glaube nicht zum Schein angenommen wird. Aber sie kann sich dem Risiko, betrogen zu werden, genauso wenig entziehen wie der Herr.

Wo eine Gemeinde lebendig und eines Sinnes ist, wird sich ein Scheinkonvertit leichter entlarven lassen. Wo sie sich in Auflösung befindet, nur schwer. Wo „Konfession“ nicht mehr „Bekenntnis“, sondern nur noch ein Vermerk auf dem Taufschein ist, dort ist die Sorge der Schein-Christen um die Schein-Konvertiten bloße Scheinheiligkeit.

Die Angst vor Konvertiten, deren Leben durch eine Begegnung mit Christus erschüttert und neu ausgerichtet wurde, ist etwas anderes.

Sie ist verständlich, wo der Eifer der Neubekehrten eine Verzerrung, Verengung oder Einseitigkeit in die Gemeinde trägt, die bis zur Spaltung gehen kann. Zugleich ist sie eine heilsame Verunsicherung der Gleichgültigen und Gelangweilten, der Gewöhnten und Verhärteten.

Jede echte Bekehrung zu Christus ist eine Chance für die Anderen. Sie stellt uns vor die Frage, wie es um unser Leben mit Ihm bestellt ist.

Auch die Kirche heute muss sich das von Paulus wie von den Konvertiten unserer Tage fragen lassen. Es ist das beste Mittel gegen unsere Scheinheiligkeit.

Fra’ Georg Lengerke

Schott Tagesliturgie