Einander anvertraut (Neujahr, Lk 2,16-21)

Nach Weihnachten habe ich meine alten Eltern besucht. Sie versorgen sich selbst. Geistig sind beide hellwach und interessiert. Körperlich jedoch sind sie unterschiedlich gut zurecht. Das gleicht die Mutter in der Sorge um den Vater so gut es geht aus. Sie sind einander anvertraut.

Als wir abends beieinandersitzen, muss ich daran denken, dass auch ich im Anfang diesen beiden Menschen anvertraut war. Eltern können Kinder ja nicht „machen“. Sie können nur die Bedingungen schaffen, dass sie werden. Und in ihrem Fall waren diese Bedingungen meines Werdens Ausdruck einer großen Liebe. Sie haben uns Geschwister empfangen und angenommen, uns werden und losgehen lassen. Das war nicht schmerzlos und nicht immer einfach. Aber einmal mehr empfinde ich an diesem Abend eine große Dankbarkeit. Wir sind einander anvertraut.

Heute, am ersten Tag des Kalenderjahres, dem sogenannten Oktavtag des Weihnachtsfestes, feiert die Kirche das Hochfest der Gottesmutter Maria. Mir kommt es vor, als würde die Kirche an diesem Tag rückblickend noch einmal fragen: Wie konnte es eigentlich dazu kommen, dass Gott der Sohn als Mensch in die Geschichte der Menschen eintritt?

Das Evangelium erzählt, wie die Hirten Ihn fanden. Sie mussten ja gewissermaßen erst dreimal hinschauen „und fanden Maria und Josef und das Kind, das in einer Krippe lag“. „Als die Zeit erfüllt war“, schreibt Paulus der Gemeinde in Galatien, „sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau.“

Gott macht sich angewiesen und vertraut sich uns an. Oder genauer gesagt: Er vertraut sich einer von uns an. Nicht durch die liebende Übereinkunft von Mann und Frau, sondern durch den Entschluss Gottes, zu dem eine Frau mit ihrer ganzen Existenz ja sagt.

Dieses Anvertrauen Gottes geht weiter. Er vertraut den Menschen Seine Sichtbarkeit an, indem Er sie als Sein Bild schuf. Er vertraut den Liebenden Seine Gabe zu lieben an und den Glaubenden Sein Wort, damit es ihr Leben forme und sie es weitersagen und Ihn bezeugen, damit die Menschen erkennen: Gott ist mit uns.

Und Er verbindet sich mit denen, die uns anvertraut sind: mit den Kindern und den Alten, mit den Einsamen und den Traurigen, den Nackten, Hungrigen und denen, die kein Zuhause haben. Von ihnen sagt Er: Was ihr ihnen tut, das tut ihr mir.

Und schließlich sagt uns Gott, dass wir einander Ihm anvertrauen sollen. Das geschieht im Segen. Wer segnet, sagt: Ich vertraue dich der Liebe, der Macht und der Treue Gottes an, die über meine hinausgeht. Segen hat mit Freigabe und Sendung zu tun. Mit dem Verzicht, den anderen durch Hilfe abhängig zu machen und zu beherrschen.

Wie mag das in Euren Familien und Freundschaften sein? Gibt es so etwas, wie einen Brauch oder eine Kultur des Segnens? Vielleicht können wir damit ja beginnen in diesem Neuen Jahr, dass wir einander einfach segnen.

Heute muss ich besonders an den Muttersegen denken. Als ich neulich von den Eltern aufbreche, zeichnet meine Mutter beim Abschied wie immer ein Kreuz auf meine Stirn: „Gott schütze dich, mein Junge!“ Der „Muttersegen“ hat eine ganz eigene Würde. Einfach deshalb, weil Gott uns zuallererst unseren Müttern anvertraut hat.

Vor Jahren sah ich nach einer Trauung, wie die Großmutter der Braut (80) von der Urgroßmutter der Braut (104) im Rollstuhl Abschied nahm. Sie küssten einander und dann machte die Ältere ein Kreuz auf die Stirn der Jüngeren und sagte: „Gott segne dich, mein Kind!“

Wir bleiben für immer jemandes Kind. Deshalb können wir auch immer um den Segen der Eltern bitten, übrigens auch wenn sie längst gestorben und bei Gott sind.

Wenn uns aber schon am Muttersegen unserer leiblichen Mütter gelegen ist, dann sollte uns am Muttersegen Marias erst recht gelegen sein. Denn sie segnet uns mit der Gegenwart des Sohnes Gottes, der ein Mensch wird.

Gott hat uns einander anvertraut. Er hat sich selbst uns anvertraut. Und Er wirbt darum, dass wir uns Ihm anvertrauen und Seinem Segen in diesem neuen Jahr.

Fra' Georg Lengerke

Mir ist nach Dir – Wonach wem an Weihnachten ist (Predigt in St. Peter, München, in der Hl. Nacht 2023, 10:08 Min.)

„Mir ist nicht nach Weihnachten!“, sagt meine Gesprächspartnerin auf einem adventlichen Spaziergang. Dann sprechen wir vom Krieg und seinen schrecklichen Bildern, vom Klima und der Zukunftsangst, von Polarisierungen und Sprachunfähigkeit, von zerbrochenen Beziehungen und verlogenen Familienfesten.

Während wir weitergehen, frage ich mich, wie einem ist, wenn einem „nach Weihnachten“ ist. Und ich denke an die überzogenen Erwartungen an Stimmung und Atmosphäre; an angestrengte Weihnachtskartenschreiber und Geschenkekäuferinnen; an die Betonung der „Besinnlichkeit“ und die Frage, worauf man sich denn besinnen soll; an die Sehnsucht nach guten Gefühlen, die wichtiger werden als das Gefühlte. Und ich denke an die belogenen Kinder, denen man erzählt, das „Christkind“ habe die Geschenke der Eltern gebracht. Nach solcher Weihnacht ist auch mir nicht.

„Wonach ist Dir denn?“, frage ich meine Begleiterin. „Mir ist danach, dass Weihnachten einen Unterschied macht“, sagt sie, „und nicht einfach nur eine Pause wie jede andere oder eine Flucht aus der Wirklichkeit.“

„Ich glaube, der Unterschied besteht in dem, was wir feiern“, sage ich. Und dann sprechen wir über die Geburt der historisch am besten bezeugten Person der Antike. Über das, was wir über Jesus von Nazareth historisch wissen, und über das, was wir von den Zeugen hören, die mit ihm gelebt und ihm geglaubt haben. Und wir sprechen von denen, die ihn abgelehnt, und denen, die ihn angenommen haben.

„Den Menschen in Bethlehem war offenbar auch nicht nach Weihnachten zumute“, sagt meine Nachbarin und lächelt. Das Evangelium sagt, sie hatten keinen Platz für Josef aus Nazareth und Maria, seine schwangere Braut. „Er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf“, sagt das Johannesevangelium über die Geburt Jesu (Joh 1,11).

An Weihnachten feiern die Christen, dass Gott als ein Mensch in die Welt kommt und in das Leben der Menschen eintritt. Einmal und für immer. Gott bleibt im Kommen. Gott kommt zum Menschen, damit der Mensch zu Gott kommt. Der Himmel kommt zur Erde, damit die Erde in den Himmel kommt. Gott nimmt Anteil am Leben der Menschen, damit die Menschen Anteil am Leben Gottes bekommen – und zwar schon hier in der versehrten und blutenden, gefährlichen und gefährdeten Welt.

An Ihm scheiden sich die Geister. Den Satten und Schläfrigen und Selbstgenügsamen ist nicht nach Weihnachten. Sie wollen Ihn aus ihrem Leben entweder raushalten oder rausschaffen.

Aber den Hirten ist nach Weihnachten. Denen, die nichts zu verlieren haben, denen angesichts der Welt angst und bange wird, die wachen, wenn andere schlafen, weil sie bereit sein wollen, wenn entweder Gefahr oder Rettung naht. Und den Weisen aus dem Morgenland ist nach Weihnachten, weil sie nach dem Sinn hinter den Dingen und nach der Botschaft fragen, von der uns Himmel und Erde erzählen.

Auf unserem Adventsspaziergang erzähle ich dann von meinem schönsten Weihnachtsfest. Am 22. Dezember 2016 ruft mich im Auto ein Arzt an und sagt mir, dass ich Krebs habe. Nach Weihnachten würden wir über die weitere Behandlung reden müssen. Ich bin zu Tode erschrocken. Ich nehme alles nur noch wie durch Watte wahr. Nur ein Wort erreicht mich so, wie mich kaum eines je erreicht hat. Eine alte Franziskanerin erzählt mir, was der heilige Franz von Assisi über das Weihnachtsfest sagt: „Für uns am Wegrand geboren, kommt Er in das Fleisch unserer Zerbrechlichkeit.“

Das Wort werde ich nie vergessen. Weihnachten sagt uns, dass Gott als Mensch so in unser Leben kommt, dass nichts mehr ohne Ihn geschieht: dass wir nicht ohne Ihn leben und wachsen, Wege wählen und gehen, fallen und aufstehen und Verzeihung finden, lieben und leiden, unser Leben geben und sterben. Und zwar hinein in jene Fülle des Lebens, von der die Engel auf den Feldern bei Bethlehem den Hirten singen.

„Hat Dir die Diagnose nicht das ganze Weihnachtfest versaut?“, fragt meine Begleiterin. „Nein“, sage ich, „im Gegenteil. Mir war noch nie so sehr nach Weihnachten.“

Eine Weile gehen wir schweigend nebeneinanderher. Dann frage ich: „Und? Ist dir jetzt mehr nach Weihnachten?“ „Ich weiß nicht“, sagt sie. „Vielleicht brauche ich einfach noch Zeit.“ Wieder gehen wir eine Weile schweigend. Dann sagt sie: „Vielleicht kommt es gar nicht darauf an, ob mir nach Weihnachten ist. Vielleicht geht es an Weihnachten ja darum, dass Gott nach mir ist.“

Es ist Weihnachten. Und an Weihnachten feiern wir, dass Gott in unser, in Dein Leben eintritt und sagt: „Gut, dass Du da bist. Denn mir ist nach Dir!“

Fra’ Georg Lengerke

Der Beitrag erschien zugleich in der Reihe „Spurensuche“ der Deutschen Welle unter https://www.dw.com/de/wonach-uns-an-weihnachten-ist/a-67769408 

Erschreckte Überlegung – Vierter Advent/Heiliger Abend Lk 1,26-38

„Irgendwie kommt Weihnachten jedes Jahr überraschend“, sagte vor Jahren eine Freundin von mir und lächelte. Sie ist Mutter einer kinderreichen Familie und wollte sagen: Die Vorbereitungszeit ist immer zu kurz. Wir nehmen uns immer zu viel vor. Es wäre immer noch was zu tun. Und scheinbar plötzlich ist keine Zeit mehr, weil Weihnachten ist.

Dieses Jahr mag es einem erst recht so vorkommen. Der Advent ist so kurz wie nie. Die Vierte Adventswoche dauert nur einen Tag. Am Abend des Vierten Advents beginnt das Weihnachtsfest – „irgendwie überraschend“.

Von einem Erschrecken erzählt das heutige Evangelium: Ein Engel verkündet Maria die Geburt Jesu. Aber Maria erschrickt nicht etwa darüber, dass ein Engel im Zimmer steht. Sie hat ja nicht von ihm geträumt wie Josef oder eine Engel-Erscheinung gehabt wie Zacharias, der Vater Johannes des Täufers.

Ein sichtbarer Engel im Zimmer – das wäre mal ein Grund zum Erschrecken. Aber Maria erschrickt nicht über seine Sichtbarkeit. Es klingt fast so, als wäre die ihr ganz selbstverständlich. Sie erschrickt über seine Anrede.

„Sei gegrüßt, du Begnadete, der Herr ist mit dir“, sagt der Engel. Und Maria, erzählt der Evangelist Lukas, „erschrak über die Anrede und überlegte, was dieser Gruß zu bedeuten habe.“ Das möchte ich verstehen und mitempfinden: „Sie erschrak … und überlegte.“

Gut, wenn Josef das gesagt hätte, dann wäre das charmant gewesen und zärtlich und vielleicht verliebt. Aber dieses Wort tritt aus der „unsichtbaren Welt“ (Credo), aus der Unverfügbarkeit und Unerreichbarkeit Gottes in Gestalt des Engels bei ihr ein: „Du Begnadete!“ Und sie erschrickt.

Ich stelle mir vor, ich nähme eine solche Zusage von Ich-weiß-nicht-wo wahr. Ich würde fragen: Was heißt hier begnadet? Was weißt Du, was ich nicht weiß?

Und ich würde mich erinnern an das, womit ich „begnadet“ wurde: An das, was ich geschenkt bekam, ohne es verdient zu haben. An das, was ich bin, ohne mich entschieden oder es gemacht zu haben. Und schließlich an das, was zu entscheiden und zu tun, zu lernen und zu bauen mir ermöglicht und erlaubt wurde. „Du Begnadeter!“ Und dann würde ich an das denken, was schon da ist, was ich aber noch nicht erkannt und angenommen habe. An den Schatz im Acker, der noch nicht gehoben ist und darauf wartet, gefunden und gehoben zu werden.

„Der Herr ist mit dir.“ Das ist er. Der ungehobene Schatz. Alles, woran ich mich gerade erinnerte, war Gabe. Jetzt aber heißt es vom Geber, dass er bei mir, in mir, mit mir ist. Auf meiner Seite. Nicht gegen die Anderen, mit denen ich mich auseinandersetze. (Irritierenderweise ist er ja auch „mit ihnen“.) Sondern in mir mit mir. Auch da, wo ich gegen mich selber bin, oder gegen meine Seele, gegen das, was ich von Gott her bin. Gott kommt auf meine Seite in mir. Und er überwindet mit mir, was ich nicht bin – auch wenn ich es krampfhaft zu sein versucht habe.

„Der Herr ist mit dir.“ Und zwar nicht nur in einem geistig-intellektuellen beziehungsweise geistlich-spirituellen Sinn. Sondern leiblich und anfassbar, sichtbar und hörbar, verständlich und zugleich unbegreiflich. Denn als Kind ist er kleiner und als Gott unvergleichlich, unendlich größer als ich.

Weihnachten heißt: Was in Maria geschieht, geschieht für uns. Gott wird ein Mensch. Und was für uns geschieht, soll in uns geschehen. Der in Maria Mensch gewordene Gott tritt in unser Leben ein, um „Immanuel“ – „Gott mit uns“ zu sein – damit auch wir selbst wieder bei uns, mit uns und in uns sind – und mit Gott für die Anderen.

„Sei gegrüßt, du Begnadete! Der Herr ist mit dir.“ Der Advent ist dieses Jahr kurz. Heute Abend schon beginnt das Weihnachtsfest. Wie gut, dass wir noch ein Leben lang Zeit haben, um zu überlegen, „was dieser Gruß zu bedeuten habe.“

Fra' Georg Lengerke

Die verharmloste Freude 1 Thess 5,16-24 (Gaudete)

Die Aufnahme ist der Mitschnitt der ensprechenden Predigt am Vorabend (9:27 )

Im Advent und in der Fastenzeit stechen zwei Sonntage heraus. Sie erinnern daran, dass der Grund für diese spezielle, eher nachdenkliche und ernste Zeit der Vorbereitung und der Buße vor allem ein Grund zur Freude ist.

Entsprechend lauten die Eröffnungsverse der Heiligen Messe. „Gaudete“, so heißt und beginnt der Dritte Adventssonntag, „Gaudete in Domino semper…“ – „Freut euch im Herrn zu jeder Zeit! Noch einmal sage ich: Freut euch! Denn der Herr ist nahe“ (Phil 4,4.5)

Nun ist das mit der Freude so eine Sache. Sie kann ja nicht einfach verordnet werden. Und für viele Menschen sind die Gründe für Freude angesichts ihrer Sorgen und Zukunftsängste eher rar geworden.

Das gilt auch in der Kirche. Solange die Kirche nicht bestimmte Kriterien erfüllt, sind viele in ihr tendenziell schlecht gelaunt und die Freude wird verschoben auf später, wenn alles anders und besser ist – manchmal ein Leben lang.

Mich erinnert der Sonntag Gaudete an drei Gründe zur Freude:

Erstens an die Mitfreude. Ich freue mit den Menschen um mich herum über alles mögliche Gute. Es gibt ja keine gottlose Freude, wenn es echte Freude ist. Damit meine ich eine Freude, die sich auf Gutes bezieht, nicht auf Kosten anderer geht und so ist, dass sie das Gute im Menschen zum Vorschein bringt. Echte Freude kommt von Gott und führt zu Gott. Und dann kann sie zu einer Freude werden, die nicht nur Gütern gilt, sondern der Güte, nicht nur Gaben, sondern auch dem Geber.

Zweitens freue ich mich an Gott und seinem Kommen und seinem Versprechen, uns nahe zu sein und uns Anteil an seinem Leben zu geben. „Der Herr ist nahe!“, ruft Paulus den Philippern als Grund zur Freude zu.

Manchmal wird die Freude an Gott mit der Freude an sich selbst verwechselt. Es ist ja nichts falsch daran, sich über sich selbst zu freuen. Nur wäre es gut, wir würden darüber nicht stolz oder undankbar.

Es gibt zum Beispiel eine bestimmte Freude am Glauben, die keine Freude an dem Geglaubten ist, sondern Freude am Frommsein. Das ist so ähnlich, wie wenn einer mehr Freude am Lieben hat, als am geliebten Menschen. Dann braucht einer den anderen, um sich selbst für einen guten Liebhaber zu halten.

Ich freue mich an mir, weil ich mir gegeben bin. Und daher freue ich mich über den Geber noch bisschen mehr als über mich, weil er so viel mehr gibt als bloß mich.

Die Freude an Gott und seinen Gaben ist allerdings vielen verdächtig: Wer sich jetzt freut, heißt es, hat den Ernst der Lage nicht erkannt. Wer sich freut, lebt in einer Blase. Wer sich freut, verharmlost das Leid und das Böse.

Die Freude an Gott müsste also so sein, dass sie auch angesichts der Not der Welt noch irgendwie Bestand hat – ohne dieses zu verharmlosen.

Wenn der gesalbte und gesendete Knecht Gottes kommt, sagt der Prophet Jesaja in der Lesung, dann kommt er, „um den Armen frohe Botschaft zu bringen, um die zu heilen, die gebrochenen Herzens sind, um den Gefangenen Freilassung auszurufen und den Gefesselten Befreiung“ (Jes 61,1). Die Kirche ist der Ort, an dem das Kaputte in der Welt zu dem kommt, der die Liebe ist und es heil machen wird. Wer nichts Kaputtes in der Kirche haben will, der hat ein Problem.

Nur dürfen wir halt das Kaputte nicht heil und das Gefangene nicht frei nennen, das Kranke nicht gesund, die Heuchelei nicht Heiligkeit und die Lüge nicht Wahrheit nennen, wenn es wirklich zu dieser Begegnung mit Gott in der Kirche kommen soll.

Weil ich wie alle Menschen diese Begegnung ersehne und nötig habe, freue ich mich an Gott und auf ihn.

Und drittens muss ich an noch eine Mitfreude denken. Nämlich an die Mitfreude mit Gott. Das vergessen wir Christen nicht selten, dass Gott sich an der Welt freut und sich nach dem Menschen sehnt, und dass es Gottes „Freude [ist], bei den Menschen zu sein“ (Spr 8,31). Nicht nur um uns zu ertragen, zu versöhnen und zu erlösen. Sondern einfach so, weil wir ursprünglich seine Freude sind wie er unsere Freude ist.

Fra’ Georg Lengerke

Geistliche Übung im Advent 2 Petr 3,8-14

Geistliche Übung im Advent 2 Petr 3,8-14

Am Freitag sind meine jährlichen Exerzitien zu Ende gegangen. Acht Tage im Schweigen, täglich eine Heilige Messe, Meditationszeiten, ein Begleitungsgespräch.

Der hl. Ignatius von Loyola schreibt, diese Tage „geistlicher Übungen“ seien dazu da, „sein Leben zu ordnen“. Dabei stellen sich Fragen wie: Worauf kommt es in meinem Leben an? Was begegnet mir und was folgt daraus für mich? Wofür bin ich dankbar? Wie steht es um mein Gebetsleben, um die Beziehung zu meinen Nächsten und zu Gott, wie um Arbeit und Erholung, Ernährung und Bewegung? Was setze ich fort? Was beende ich? Was fange ich neu an? Was werde ich künftig anders machen?

Dieses Jahr lagen die Exerzitien genau in der ersten Adventswoche. Der Advent ist ja – wie die österliche Bußzeit auch – als eine Art Exerzitienzeit gedacht. Eine Zeit, in der wir unsere Haltungen, unser Verhalten und unsere Verhältnisse überprüfen oder neu einüben – in Vorbereitung auf die Begegnung mit dem Kind in der Krippe.

„Das Leben zu ordnen“ ist dann eine besondere Herausforderung, wenn die Welt in Unordnung ist – sei es in mir oder um mich – und ich daran gerade nichts ändern kann.

Im Ersten Petrusbrief wird eine solche Unordnung beschrieben, und zwar in einem geradezu apokalyptischen Ausmaß: „Dann werden die Himmel mit Geprassel vergehen, die Elemente sich in Feuer auflösen und die Erde und die Werke auf ihr wird man nicht mehr finden.“ (1 Petr 3,10)

Was heißt das jetzt, mein Leben zu ordnen in der Unordnung der Welt? Vielleicht können drei Gedanken in der zweiten Adventwoche hilfreich sein:

Erstens geht es in Exerzitien und in der christlichen Spiritualität überhaupt zuerst um das, was ich mit Gottes Hilfe ändern kann, und um die Voraussetzungen, die ich schaffen kann, damit Gott mich und die Welt um mich herum verwandeln kann. Es geht nicht zuerst um die Unordnung der Anderen oder die der ganzen Welt. Die Verwandlung der Welt beginnt jetzt und hier, in diesem Augenblick und da, wo ich eben gerade bin.

Und zweitens soll es uns um die Begegnung mit Gott in allen Dingen gehen. Mit jenem ganz anderen, ewigen und unbegreiflichen Ursprung und Ziel und Erhalter von Allem, der die Liebe ist. Dieser Gott offenbart sich als Mensch und kommt in die Welt. Und das auf dreifache Weise, sagen die frühen Theologen der Kirche:

Er kommt „im Fleisch“, indem Er in der Geschichte Mensch wird und unser Leben lebt und liebt.

Er kommt „in Herrlichkeit“, wenn die Welt und das Leben eines jeden Menschen ans Ziel kommt und wir Ihn „schauen von Angesicht zu Angesicht“ (1Kor 13,12).

Und dieser selbe Menschgewordene (das Kind und der Herr der Geschichte) kommt „im Geist“, wo Menschen sich hier und heute für Sein Wort und Wirken öffnen und als Liebende und Geliebte füreinander da sind.

Die Zeichen des Zerfalls, von denen die Heilige Schrift spricht, sind mehr als nur ökologische Phänomene, Veränderungen des Klimas oder die Folgen der grauenhaften Vergewaltigung der Schöpfung durch den Menschen.

Sie sind Zeichen der Verwandlung in und um uns. Wir können sie nicht verändern. Sie verändern uns. Wir sollen uns ihnen stellen. In ihnen beginnt die Begegnung mit Jesus Christus „in Herrlichkeit“.

Und das Dritte schließlich ist eine Veränderung der Perspektive, an die ich in der letzten Woche häufig gedacht habe. Oft habe ich nach Exerzitien Klarheit darüber, was ich tun soll. Dieses Mal habe ich vor allem Klarheit darüber, dass ich Gott in allen Dingen auf mich zukommen lassen soll.

Das mag auch mit meiner jetzigen Lebensphase zu tun haben. Aber eigentlich soll es uns ja in jeder Lebensphase und in all unseren Plänen und Unternehmungen immer auch darum gehen:

dass wir in allem mit der „Ankunft Gottes“ rechnen („im Fleisch“, „im Geist“ und „in Herrlichkeit“), mit dem Anbruch der Verwandlung hin zu einem „neuen Himmel und einer neuen Erde“, und dass wir von Ihm bereit und „in Frieden … angetroffen werden“, wann immer Er kommt.

Fra' Georg Lengerke