Hinz und Kunz und ich Mt 22,1-14

Ich stelle mir vor, ich wäre da. Bei diesem Hochzeitsmahl, von dem Jesus sagt, dass es dem Himmel gleicht. Genauer: Ich bin nachgeladen worden. Diesmal wurmt mich das nicht. Fast alle sind nachgeladen. „Gute und Böse“. Der Himmel will sie alle. Das ist mein Glück.

Komische Hochzeit. Hier heiratet ein Königssohn nicht irgendeine fremdländische Schönheit. Er heiratet sein Volk. Die Braut sind wir. Ich gehöre dazu.

Ich denke an die, die abgesagt haben, und frage mich: Habe ich eigentlich zugesagt? Oder bin ich nur so mitgegangen oder sonst wie dahin geraten? Und mir fallen die Träume ein, in denen ich im Schlafanzug in der Messe oder in fremder Leute Haus stehe und nicht weiß, wie ich dahin kam.

Der Mann ohne Hochzeitsgewand kommt mir vor wie einer, der den Himmel noch so mitnehmen will. Wie die letzte Party einer durchzechten Nacht. Er meint, weil die Erstgeladenen nicht erschienen und stattdessen Hinz und Kunz und er und ich eingeladen sind, werde das Fest nun zur späten Stunde verramscht. So wie die Mitnehmsel an der Kasse von IKEA.

Er hat sich nicht mit der Liebe bekleidet, sagen die Kirchenväter. Ohne sie können wir beim Fest zwar dabei sein, aber teilnehmen können wir ohne sie nicht.

Also hole ich meine Zusage nach. Und ich ziehe mir die Liebe an, mit der sich der Bräutigam nach denen sehnt, die abgesagt haben. Sie wissen ja nicht, was sie verpassen. – Wie können sie auch, wenn sie nur so von außen drauf schauen, auf das alt gewordene Haus und die müden Gäste vor der Tür.

Es ist noch Platz. Ich muss noch mal los. Die Freunde holen. Wäre doch zu schade, wenn sie nicht auch noch kämen und hören würden, wie der Bräutigam sagt: „Ich nehme dich an“.

Fra’ Georg Lengerke

Schott Tagesliturgie

Die Gesandten Mt 21,33–42.44.43

Was mich am Glauben der Juden und Christen so fasziniert, ist, dass die Suche des Menschen nach Gott sich umkehrt. Nicht der Mensch sucht und findet den verborgenen Gott, sondern Gott sucht und findet den sich verbergenden Menschen. Und gerade dort, wo der Mensch sich von Gott finden lässt, findet er Gott.

In Jesus sucht und findet Gott uns Menschen. Ich glaube, dass Gott mich gesucht und gefunden hat. Aber Gottes Suche nach mir geht weiter. Wir sind gefunden, aber noch immer sucht Gott uns in der Kirche auf – wie ein Weinbergsbesitzer seine Pächter. Er sucht uns auf durch seine Diener, die ungehört bleiben. Er sucht uns auf durch seinen Sohn, den wir zu oft zum Verstummen bringen, wo wir einfach nicht mehr von ihm hören noch reden wollen.

Das Gleichnis von den Weinbergbesitzern sagt, das uns von Gott anvertraute Leben der Kirche sei wie ein Weinberg. Dieser Weinberg kann noch immer verwahrlosen. Er kann zu einem Ort der Ungerechtigkeit oder der Säuernis werden. Er kann ein Allerweltsort werden, der nur deshalb gut da zu stehen scheint, weil er nichts anderes zu bieten hat als der Rest der Welt.

Gott schickt bis heute seine Leute und in ihnen seinen Sohn. Aber wo sind die Menschen, durch die Gott uns aufsucht? Der Verworfene kommt in den Verworfenen, den Armen, den Schwierigen. Und er kommt in seinen Jüngern. Und sie kommen, um von uns zu empfangen, was Gott bei uns für sie gesät und gepflanzt hat und wachsen ließ.

Guter Gott,
wenn die Deinen kommen,
dann lass uns die Gaben erkennen,
durch die Du selbst
von Dir erzählst,
durch die Du selbst
den Menschen dienst
und ihnen ein Zuhause gibst
für den Weg,
der noch vor uns liegt
zu Dir.
Amen.

Fra’ Georg Lengerke

Schott Tagesliturgie

Die Lebenslüge Mt 21,28–32

Ich sitze in einer unbekannten Gesprächsrunde. Wir sprechen darüber, was wer beruflich macht, als einer mich fragt: „Und, wie ist das so, mit einer Lebenslüge zu leben?“

Offenbar fand er, dass der priesterliche Zölibat eine einzige verlogene Heuchelei sei.

Ich habe mich sehr geärgert. Aber anstatt wütend zu werden, lächelte ich die Sache weg. Doch die Frage hat mich – und zwar anders als beabsichtigt – nicht losgelassen: „Wie ist das, mit einer Lebenslüge zu leben?“

Jesus erzählt von zwei Söhnen, die ihr Vater beide zur Arbeit in den Weinberg schickt. Der eine weigert sich und geht dann doch. Der andere sagt Ja, geht aber nicht hin.

Wie ist das mit meinen Lebenslügen, wenn ich mich Christ nenne, aber lebe, als gäbe es Gott nicht? Oder wenn ich von anderen selbstverständlich erwarte, was ich selbst nicht zu leben vermag? Oder wenn ich Menschenrechte für heilig halte, sie aber Menschen erst ab einem bestimmten Alter zugestehe?

„Die Zöllner und die Dirnen haben Johannes geglaubt“, sagt Jesus den religiös und moralisch Etablierten, „ihr aber habt nicht bereut und ihm nicht geglaubt“.

In der Fazenda da Esperanza in Brasilien bin ich einer jungen Frau begegnet, die als Mädchen einen Mann umgebracht hat, in dessen Abhängigkeit sie geraten war. Sie sagte mir: „Für die Menschen war ich nur noch ein Stück Dreck. Und ich habe einen Gott kennen gelernt, der mich liebt und mich heil macht – obwohl ich eine Mörderin bin.“

Seitdem halte ich Ausschau nach denen, die erst Nein gesagt und dann zum Ja gefunden haben, damit ich von ihrem Ja zur Liebe Gottes lernen kann.

Mittlerweile bin ich dem Flegel fast dankbar für seine pampige Gewissensfrage: „Wie ist das, mit einer Lebenslüge zu leben?“

Fra’ Georg Lengerke

Schott Tagesliturgie

Nicht die Gerechten Mt 9,9-13

Als ich vor Jahren am Fest des Apostels Matthäus in der Heiligen Messe das Evangelium gerade gelesen, das Buch verehrt und auf den Ambo zurückgelegt hatte, sah ich, dass mein damals vielleicht zehnjähriger Neffe mit seiner Mutter flüsterte. Sie sagte ihm, er solle sich mit seiner Frage nach der Messe an mich wenden: „Onkel Georg, warum ruft Jesus die Sünder und nicht die Gerechten?“, fragt er mich später vor der Sakristei.

„Tja, was meinst Du?”, frage ich ihn, um etwas Zeit zu gewinnen. Er denkt kurz nach.

„Vielleicht, weil die Gerechten ja schon bei ihm sind und die Sünder nicht?“ Hätten wir es dabei belassen, wäre es ein kurzes Gespräch gewesen. Also frage ich zurück: „Und, meinst Du, dass es viele gibt, die so gerecht sind, dass sie von Jesus gar nicht mehr gerufen werden müssen?“ „Nee“, meint er, und grinst verschmitzt, „irgendwann muss jeder gerufen werden.“

Einige Jahre später spricht mich an genau derselben Stelle vor der Sakristei eine Frau an. „Also ich kenne einige, die gerade in der Messe waren, für die das sehr, sehr wichtig war, was Sie heute gesagt haben!“ Da fällt mir das erste Gespräch wieder ein und dass es eben doch Menschen gibt, die sich für so gerecht halten, dass sie meinen, das Wort Jesu ginge vor allem die Anderen an.

Caravaggio stellt auf dem Bild der Berufung des Matthäus (in der Kirche San Luigi dei Francesi in Rom) den Moment dar, in dem Matthäus sich fragt, ob der Ruf Jesu eigentlich ihm gilt. Er zeigt mit dem Finger auf sich selbst, und das Gesicht mit den weit offenen Augen scheint zu fragen: Meinst Du mich?

Es muss sein ganzes Leben geprägt haben, von diesem Wort unbegreiflicherweise gemeint zu sein: „Folge mir nach!“

Fra’ Georg Lengerke

Schott Tagesliturgie

Ärgerliche Gleichstellung Mt 20,1-16

„Beginnend mit den Letzten“ findet am Abend eines langen Arbeitstages im Weinberg die Auszahlung statt. Die zuletzt Angeworbenen haben nur eine Stunde gearbeitet. Doch ihr Tageslohn entspricht dem, mit den Zuerstgekommenen am Morgen Vereinbarten. Als diese auch nur das Vereinbarte bekommen, ist der Ärger groß.

„Dir geschieht kein Unrecht“, erklärt der Herr des Weinbergs einem der Empörten, der das Vereinbarte bekam. Und er entlässt ihn mit einer Frage: „Ist Dein Auge böse, weil ich gut bin?“

Das kann passieren. Güte macht uns nicht automatisch gut. Güte gegenüber Dritten kann Missgunst, Neid und Bosheit provozieren. Wenn sie ihnen nicht gegönnt, wird der Blick „böse“, sagt der Gutsherr. Der böse Blick macht das Gute schlecht und das Schlechte gut. Er verdirbt die Freude und macht das Beleidigtsein zu einem guten Recht.

Aber Jesus erzählt hier ein Gleichnis für das Himmelreich, das auf Erden beginnt. Und zwar dort, wo Gott die Menschen sucht und findet, so dass sie mit ihm wirken und lieben. Dieses Mitwirken-Dürfen mit Gott hat was von der Fülle und der Dankbarkeit eines Erntefestes. Während nicht gesucht, nicht gefunden und nicht angeworben zu werden, die Erfahrung von Leben ohne Sinn und Richtung ist.

Für den „böse“ gewordenen Blick ist alles umgekehrt: die Arbeit im Weinberg ist im Nachhinein nur „Last und Hitze“ gewesen. Der Müßiggang der Spätgekommenen erscheint dagegen als das geringere Übel, wenn nicht als das eigentlich Glück.

Der Denar aber
ist gar nicht verdienter Lohn.
Er ist Gottes Gabe
der gleichen Würde,
die nicht verdient werden kann
und die die Ersten den Letzten
und wir einander
täglich gönnen sollen.

Fra’ Georg Lengerke

Schott Tagesliturgie