Das schreckliche Gebet Mt 14,13–21

Für die Zuhörer Jesu am Seeufer gibt es keinen Mangel an wirksamer Gottesnähe, an treffenden Worten und an weiser Weisung. Es fehlt schlicht an Essen und Trinken. Jesus erlaubt den Jüngern nicht, das Catering zu delegieren. Die Gemeinschaft der Menschen mit Christus wird erst dann vollständig, wenn die Jünger das Ihre beisteuern. Seele und Leib wollen miteinander genährt werden.

Heute scheint es genau andersherum zu sein: Es gibt keinen Mangel an Catering in der Kirche. An manchen Orten scheint das ihr Hauptgeschäft zu sein. Es gibt auch keinen Mangel an Worten und Weisung. Aber sind die Worte treffend und die Weisung weise? Und wo wirkt und spricht Nähe Gottes zu uns?

„Warum bezahlt ihr mit Geld, was euch nicht nährt“, fragt der Prophet Jesaja, „und mit dem Lohn eurer Mühen, was euch nicht satt macht?“ Es gibt geistlich Unterernährte in der Kirche, die genau das Fragen: Warum bezahlen wir für das, was uns nicht nährt und nicht satt macht? Was wir hören, nährt uns nicht! Was uns gesagt wird, macht uns nicht satt! Und was man uns zu essen gibt, das gibt es woanders besser! Es ist, als ob das Schweigen der Vielen sagte: „Dann geht doch!“ Und das ist das schrecklichste Gebet im Evangelium: die Bitte an Jesus: „Schick sie weg!“

Schick sie nicht weg, Herr,
die hungrig zu uns kommen
nach einem treffenden Wort,
nach einer weisen Weisung,
nach Deiner wirksamen Gegenwart.

Wir dürfen Dein Zeugnis
nicht delegieren.
Lehre uns, Dein Wort zu sagen,
lehre uns, Deine Tat zu tun,
lehre uns, mit Deiner Nähe
nah zu sein.

Nimm unser Weniges,
Du kannst es mehren,
so dass alle genährt werden
von Dir.
Amen.

Fra’ Georg Lengerke

Schott Tagesliturgie

Na, mein Schatz? Mt 13,44–52

Meine Entscheidung, Priester zu werden, fiel relativ spät. Ich war Soldat gewesen, hatte Jura studiert und die Berufung zu Landleben, Ehe und Familie gründlich geprüft. Viele sagten mir, es sei gut, dass ich so lange Zeit zur Prüfung hatte. Stimmt. Aber die Frage, die ich mit dieser Entscheidung beantwortete, war dennoch viel älter, als ich dachte.

Irgendwann vor meiner Priesterweihe erzählte mein Vater von einer zufälligen Begegnung mit meinem ersten Gymnasiallehrer. Der fragte, was ich jetzt mache. Mein Vater erzählte, ich würde nach dem Theologiestudium nun bald zum Priester geweiht. „Ach, das ist ja seltsam.“, sagte mein Lehrer. „Warum seltsam?“, fragte mein Vater, schon ein kleinwenig auf Streit gestimmt. „Ich habe damals den Georg ja morgens manchmal mit in die Schule genommen“, sagte mein Lehrer. „Einmal habe ich ihn gefragt, was er denn werden wolle. Da sagte Ihr Sohn zu mir: ‚Eigentlich würde ich ja gerne Priester werden. Aber ich bin der Älteste und soll zuhause den Hof übernehmen.“ Ich muss damals 11 oder 12 Jahre alt gewesen sein.

Die Selbstvorwürfe, mich unter Druck gesetzt zu haben, konnte ich meinem armen Vater bald nehmen. Viel mehr beschäftigte mich, dass ich mich an diese Kindersehnsucht überhaupt nicht erinnern konnte.

Mein Kinderleben mit Jesus war der Acker. Irgendwann muss ich auf den Schatz der Freundschaft mit ihm schon mal gestoßen sein. Ich hatte ihn wieder vergraben. Und ich hatte ihn vergessen, jahrelang. Viel später kam ich dann wieder in bekannte Gefilde und fand den Acker und den Schatz wieder. Für diesen Acker und den vergessenen Schatz war mir damals kein Preis zu hoch. Den Schatz hebe ich noch heute. Täglich.
Fra’ Georg Lengerke

Schott Tagesliturgie

Wie ausgewechselt Gal 2,19-20

„Wie ausgewechselt“ nennen wir jemanden, in dem eine uns unerklärliche Veränderung stattgefunden hat. Er ist noch derselbe. Doch die Veränderung ist so, dass wir sie nicht aus dem ableiten können, was wir von ihm kennen.

Der heilige Paulus ringt um die Worte für das, was mit ihm geschehen ist, seit er an Christus als den verheißenen Gesalbten Gottes glaubt. Es ist eine Veränderung seines Selbstverständnisses, der Begründung und des Sinns seines Lebens. Er ist nicht mehr der Alte.

„Nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir“, so beschreibt Paulus diesen Wandel. Damit ist nun nicht gemeint, das Paulus seine Identität oder Personalität aufgegeben hätte und nun – gewissermaßen ausgekernt – nur noch die Hülle für Leben und Gegenwart Jesu Christi wäre.

Ich bin öfters dem Missverständnis begegnet, wir müssten uns beim Beten des eigenen Willens irgendwie entledigen, damit Christus in uns wollen kann, was wahr und gut und richtig ist. Aber wozu hätte Gott mir dann einen Willen gegeben? Doch dazu, dass ich vereint mit ihm will, was wahr und gut und richtig ist. Und zwar mutig, stark und widerständig.

Paulus sagt: „Ich bin dem Gesetz gestorben, damit ich für Gott lebe.“ Mich gibt es nicht mehr als den, für den Sinn und Ziel die Einhaltung von Vorschriften und das eigene Gutsein ist. Dieses Wollen in mir ist (zusammen mit dem Gekreuzigten) gestorben. Mir geht es (zusammen mit dem Auferstandenen) um das Bleiben in der Zuwendung Gottes und um seine Güte.

Darin ist Paulus mit Christus eins. Das ist das Leben Christi in Paulus. Und so wird aus einer Karikatur des Paulus wirklich Paulus selbst.

Wie ausgewechselt.
Fra’ Georg Lengerke

Schott Tagesliturgie

Maria Magdalena – Suchen und Gefundenwerden Hld 3,1-4a

Vor einigen Tagen schickte mir eine Bekannte einen Text von Pablo Picasso: „Ich suche nicht – ich finde“ lautet die erste Zeile. Darin plädiert er dafür, „sich vom Ziele ziehen [zu] lassen und nicht – menschlich beschränkt und eingeengt – das Ziel [zu] bestimmen“.

Ich ahne, was Picasso meint. Es gibt eine ideologische Überhöhung des Suchens, für die das Finden gar kein Thema mehr ist. Als ginge es um das Suchen an sich, um ein ewiges Sehnen, in dem der Mensch sich tragisch verzehrt, ohne je an ein Ziel zu kommen.

Und es kann sein, dass mit meiner Suche eine Fixierung auf Erwartbares einhergeht, das mich den verpassen lässt, der eigentlich von mir zu finden wäre. Denn wer Gott sucht, sucht nicht etwas, sondern jemandem.

So geht es Maria Magdalena am Grab. Sie sucht den Toten und erkennt den Lebendigen nicht. Was sie dann erlebt, übertrifft die Erwartung an den Gesuchten: Sie wird gefunden. Im Hohenlied von den Wächtern. Im Evangelium von dem, den sie für den Gärtner hält, der aber in Wirklichkeit der von ihr Gesuchte ist, den sie bei den Toten nicht finden kann.

Dennoch glaube ich, dass wir Gott suchen sollen – über das bekannte Erwartbare hinaus. Doch das erste ist nicht, dass Maria Magdalena Jesus sucht, sondern das Jesus Maria Magdalena sucht. Das heißt Menschwerdung: Gott sucht und findet den verlorenen Menschen.

Der Moment, in dem sie gefunden, erkannt und gemeint ist, ist zugleich der Augenblick, in dem die Suchende den findet, den sie gesucht hat – und der nun alle ihre Erwartungen übertrifft.

Ich suche Dich
in allen Dingen
und will mich
von Dir finden lassen.
Ich suche Dich.
Und Du findest mich.
Amen.

Fra’ Georg Lengerke

Schott Tagesliturgie