Letzte Hilfe Hos 14,2-10

Analog zur „Ersten Hilfe“ gibt es in der Hospizbewegung den Begriff der „Letzten Hilfe“. Damit sind Maßnahmen zur Linderung von Leiden und Erhaltung von Lebensqualität für Sterbende gemeint. „Erste“ und „letzte Hilfe“ bezeichnen hier den Zeitpunkt, an dem sie geleistet werden.

Auch am Ende des Hoseabuches ist von letzter Hilfe die Rede. Allerdings ist damit hier nicht die zeitlich letzte Hilfe, sondern die verbleibende wirksame Hilfe gemeint, nachdem sich alle anderen Hilfen als wirkungslos erwiesen haben. Die Supermacht Assur rettet nicht. Militärische Macht rettet nicht. Die Anbetung menschlicher Machbarkeit und die Götzenbilder retten nicht.

Gott als „letzte Hilfe“ ist bei manchen verpönt. Man meinte, er würde so zum Lückenbüßer und der Verweis auf ihn sei bloße Vertröstung. Es käme allein auf menschlich leistbare Hilfe hier und jetzt an.

Viele von uns wurden in diesem Jahr an die Wirksamkeit und die Grenzen menschlicher Rettungsmacht erinnert. Wir dürfen die nicht klein reden. Jede Hilfe ist Gottes Hilfe, weil Gott immer auch durch Andere hilft und rettet. Aber es kommt der Moment, an dem keine menschliche Hilfe hinreicht, damit wir die nächste Wegstrecke gehen können.

Bei Hosea ist diese verbleibende Hilfe Gottes nicht das Ende, sondern der Beginn neuen, reichen, fruchtbaren Lebens, den der Prophet in den Bildern des paradiesischen Libanon beschreibt, der heute so schwer verwundet ist.

Du warst meine allererste Hilfe,
noch bevor Deine Ersthelfer
kamen.

Du bist meine letzte Hilfe,
wenn Deine Letzthelfer
die Hände sinken lassen.

Deine letzte Hilfe
ist meine erste Hilfe
in das neue Leben,
das hier beginnt –
so herrlich
wie der Libanon.
Amen.

Fra’ Georg Lengerke

Schott Tagesliturgie

Rebellische Vaterliebe Hos 11, 1-4.8a.c-9

Eine Mutter erzählt von der Erfahrung, ihr Kind empfangen, getragen und geboren zu haben. Ein Vater erinnert sich an die ersten Momente, Monate, Jahre mit seinem Kind. Alles steht lebendig vor Augen: Die Schwangerschaft, der erste Anblick, der immer mehr aus sich heraustretende kleine Mensch, der irgendwann zu krabbeln, zu laufen, zu sprechen beginnt.

Die Eltern erinnern sich an durchbangte Gefährdungen und durchgestandene Krankheiten. An Wege mit dem Kind an der Hand, im wörtlichen und im übertragenen Sinn…

So erzählt Hosea das Verhältnis Gottes zu seinem Volk. – Bis hinein in die Entfremdung. Die ist nicht dasselbe wie das Herauswachsen aus der Verantwortung der Eltern, das Reifen in die Verantwortung für das eigene Lebenshaus und später für die alten Eltern.

Die Entfremdung, von der Hosea spricht, ist eine Verleugnung der eigenen Herkunft und Geschichte. Sie beginnt mit Verwechslung und Tausch des Gebers aller Gaben mit anderen Mächten und Gewalten. Und sie mündet in den Hass auf die lästige Treue dessen, der zugleich frei gibt und liebt.

Die Vaterliebe Gottes ist nicht die des Psychopathen, der sein Kind schlägt und sagt, die Schläge schmerzten ihn selbst mehr als das Kind. Sie rebelliert gegen die Folgen seiner Selbstverdammung. Sie erträgt es nicht, nicht beim Kind zu sein. Sie wird selbst Kind, in allem den Kindern gleich – bis auf die Trennung von Ursprung und Ziel. Sie geht ihnen nach, bis in die äußerste Finsternis, in die sie sich verloren haben.

Du selbst erzählst uns
in Deiner Menschwerdung
Deine Liebesgeschichte mit uns.
Zu erzählst sie zu Ende
bis zu dem großen Anfang,
in dem wir eins sind
in Dir.
Amen.

Fra’ Georg Lengerke

Schott Tagesliturgie

Grüße aus Neuland Hos 10,1-3.7-8.12

Ich bin bei „Und-ab-jetzt-wird-alles-anders“-Parolen immer etwas skeptisch. Das gilt für Abnehm-Ratgeber genauso wie für „Kirche-neu-träumen“-Projekte. Oftmals ist hinterher der Beratene dicker und der Zustand der Gemeinde desolater als zuvor.

„Nehmt Neuland unter den Pflug!“, ruft der Prophet Hosea in einer sozial und religiös desolaten Situation aus. Heute ist auch dieser Satz ein sicherer Kandidat für die Liste kirchlicher „Ab-jetzt-wird-alles-anders“-Parolen.

Aber als ich ihn damals las, kam mir meine Entscheidung, Priester zu werden, genau so vor: Wie der Aufbruch in ein neues Land, das ich nicht kannte und in dem zu wohnen ich mir bis dahin nicht vorstellen konnte. Der entscheidende Schritt war vielleicht, es glaubend für möglich zu halten, dass Gott mir das schenken kann: um seinetwillen so leben zu wollen.

Wo es mir wirklich um Gott und mit Gott um den Menschen geht, da kommt „Neuland“ zum Vorschein. „Neuland“ ist nicht „Traumland“, nach dem man sich vergeblich sehnt. „Neuland“ ist auch nicht das, worum es Verbänden, Gewerkschaften und Parteien auch schon geht – und „neuerdings“ endlich auch der Kirche.

Denn Gerechtigkeit ist wichtig, aber sie ist nicht Gott. Identität ist wichtig, aber sie ist nicht Gott. Klima ist wichtig, aber es ist nicht Gott. Die Gesundheit ist wichtig, aber sie ist nicht Gott.

Alle diese Themen machen von Gott her und auf Gott hin neu Sinn. Und diese Perspektive aufs „Neuland“ schulden wir dem gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Diskurs.

Wenn wir Gottes Gerechtigkeit säen, werden wir seine Liebe ernten, sagt Hosea. Und wenn wir Gott suchen, werden wir mit ihm auch den Menschen wiederfinden.
Fra’ Georg Lengerke

Schott Tagesliturgie

Wir werden Sturm ernten Hos 8,4-7.11-13

Das Bild von Saat, Frucht und Ernte ist in der Heiligen Schrift oft positiv besetzt. Es handelt vom Weggeben und vom Wachsenlassen (auch während des Schlafs), von der Ernte und der vielfachen Frucht. Aber es gibt auch das Gegenbild davon, dass Zwietracht, Verleumdung und Unrecht gesät werden.

Ein solches Bild gibt uns der Prophet Hosea: „Sie säen Wind und ernten Sturm.“ Es richtet sich an das Volk Gottes, das zu ihm ruft, wie zu einem alten Bekannten, aber ihn selbst gar nicht mehr meint, das gegen Gottes Willen Könige einsetzt und sich Ersatzgötter macht, die doch zerstört werden.

Die Sturm-Ernte von all dem findet sich in den in der Lesung ausgelassenen Versen 8-10: Israel hat sich den Völkern bis zur Unkenntlichkeit angepasst und angedient – so sehr, dass es von den Völkern „verschlungen“ wird. Es kehrt zurück dorthin, von wo Gott es einmal befreit hat: „Sie müssen zurück nach Ägypten.“

Wir können das Bild von der Saat des Windes und der Ernte des Sturmes für uns selbst, unsere Familien und kleinen Gemeinschaften und für die Kirche als Volk Gottes hören:

Wir säen den Wind
einer schlechten Gewohnheit
und ernten den Sturm
dynamischer Schrulligkeit.

Wir säen den Wind
verächtlichen Geredes
und ernten den Sturm
von Ressentiment und Sprachlosigkeit.

Wir säen den Wind
eines Grundrauschens aus Worten
in unsere Echokammern,
und ernten den stillen Sturm
einer plaudernden Kirche ohne Gott.

Wir säen den Wind
eines behaupteten Konsenses
und ernten den Sturm
von Scheidung und Spaltung.

Du säst den Wind
Deines Geistes
in unser Empfinden und Verstehen,
in unser Entscheiden und Tun,
und erntest den Sturm
der Erneuerung der Welt.
Amen.

Fra’ Georg Lengerke

Schott Tagesliturgie

Selig die Blöden!? Mt 11,25–30

„Klingt, als wenn man ein wenig unbedarft und naiv sein müsse“, sagt die junge Freundin auf dem Beifahrersitz. „Ich mag nicht ‚Lass mich einfältig werden…‘ singen – auch wenn ich ‚Der Mond ist aufgegangen‘ eigentlich ganz gerne habe“ fügt sie noch schnell hinzu.

Eben hatte sie mir das Evangelium vorgelesen, damit wir über einen BetDenkzettel für heute nachdenken.

Jesus verachtet Klugheit, Weisheit und Bildung nicht. Er warnt uns aber vor jenem nutzlosen Vielwissen, das unseren Blick aufs Wesentliche verstellt, unser Gewissen korrumpiert und uns die Kriterien guten Entscheidens verlieren lässt.

Den Unterschied zwischen „den Weisen und Klugen“, denen der Sinn der Worte Jesu verborgen bleiben, und den „Unmündigen“, denen er offenbar wird, hat Matthias Claudius im Lied vom Mond schön beschrieben.

Für die Weisen und Klugen gibt es nur das, was sie selbst gesehen haben. Über das Unsichtbare lächeln sie. Aber auch der Mond ist „nur halb zu sehen und ist doch rund und schön“.

Spätestens Corona hat uns gelehrt, dass „Wissenschaft“ uns nicht Zwecke und Ziele, sondern nur die Wegbedingungen dorthin erkennen lässt. Wenn sie behauptet, zu wissen, worauf es ankommt, ist sie „Luftgespinst“, das uns nur „weiter von dem Ziel“ kommen lässt. Jürgen Habermas sagte neulich: „So viel Wissen über unser Nichtwissen gab es noch nie“.

Der Horizont der „Weisen und Klugen“ ist ihr Wissen. Sie „trauen Vergänglichem“. Der Horizont der Unmündigen ist „Gott“ und sein „Heil“ – ihr Horizont ist der Himmel, der hier beginnt.

Von ihnen sollten wir lernen, wenn wir nicht nur viel wissen, sondern auch „wie Kinder fromm und fröhlich sein“ wollen.

Fra’ Georg Lengerke

Zu den Varianten und der Geschichte des Abendliedes weiß Wikipedia mehr: https://de.wikipedia.org/wiki/Abendlied_(Matthias_Claudius)

Schott Tagesliturgie