Geistliche Übung im Advent 2 Petr 3,8-14

Geistliche Übung im Advent 2 Petr 3,8-14

Am Freitag sind meine jährlichen Exerzitien zu Ende gegangen. Acht Tage im Schweigen, täglich eine Heilige Messe, Meditationszeiten, ein Begleitungsgespräch.

Der hl. Ignatius von Loyola schreibt, diese Tage „geistlicher Übungen“ seien dazu da, „sein Leben zu ordnen“. Dabei stellen sich Fragen wie: Worauf kommt es in meinem Leben an? Was begegnet mir und was folgt daraus für mich? Wofür bin ich dankbar? Wie steht es um mein Gebetsleben, um die Beziehung zu meinen Nächsten und zu Gott, wie um Arbeit und Erholung, Ernährung und Bewegung? Was setze ich fort? Was beende ich? Was fange ich neu an? Was werde ich künftig anders machen?

Dieses Jahr lagen die Exerzitien genau in der ersten Adventswoche. Der Advent ist ja – wie die österliche Bußzeit auch – als eine Art Exerzitienzeit gedacht. Eine Zeit, in der wir unsere Haltungen, unser Verhalten und unsere Verhältnisse überprüfen oder neu einüben – in Vorbereitung auf die Begegnung mit dem Kind in der Krippe.

„Das Leben zu ordnen“ ist dann eine besondere Herausforderung, wenn die Welt in Unordnung ist – sei es in mir oder um mich – und ich daran gerade nichts ändern kann.

Im Ersten Petrusbrief wird eine solche Unordnung beschrieben, und zwar in einem geradezu apokalyptischen Ausmaß: „Dann werden die Himmel mit Geprassel vergehen, die Elemente sich in Feuer auflösen und die Erde und die Werke auf ihr wird man nicht mehr finden.“ (1 Petr 3,10)

Was heißt das jetzt, mein Leben zu ordnen in der Unordnung der Welt? Vielleicht können drei Gedanken in der zweiten Adventwoche hilfreich sein:

Erstens geht es in Exerzitien und in der christlichen Spiritualität überhaupt zuerst um das, was ich mit Gottes Hilfe ändern kann, und um die Voraussetzungen, die ich schaffen kann, damit Gott mich und die Welt um mich herum verwandeln kann. Es geht nicht zuerst um die Unordnung der Anderen oder die der ganzen Welt. Die Verwandlung der Welt beginnt jetzt und hier, in diesem Augenblick und da, wo ich eben gerade bin.

Und zweitens soll es uns um die Begegnung mit Gott in allen Dingen gehen. Mit jenem ganz anderen, ewigen und unbegreiflichen Ursprung und Ziel und Erhalter von Allem, der die Liebe ist. Dieser Gott offenbart sich als Mensch und kommt in die Welt. Und das auf dreifache Weise, sagen die frühen Theologen der Kirche:

Er kommt „im Fleisch“, indem Er in der Geschichte Mensch wird und unser Leben lebt und liebt.

Er kommt „in Herrlichkeit“, wenn die Welt und das Leben eines jeden Menschen ans Ziel kommt und wir Ihn „schauen von Angesicht zu Angesicht“ (1Kor 13,12).

Und dieser selbe Menschgewordene (das Kind und der Herr der Geschichte) kommt „im Geist“, wo Menschen sich hier und heute für Sein Wort und Wirken öffnen und als Liebende und Geliebte füreinander da sind.

Die Zeichen des Zerfalls, von denen die Heilige Schrift spricht, sind mehr als nur ökologische Phänomene, Veränderungen des Klimas oder die Folgen der grauenhaften Vergewaltigung der Schöpfung durch den Menschen.

Sie sind Zeichen der Verwandlung in und um uns. Wir können sie nicht verändern. Sie verändern uns. Wir sollen uns ihnen stellen. In ihnen beginnt die Begegnung mit Jesus Christus „in Herrlichkeit“.

Und das Dritte schließlich ist eine Veränderung der Perspektive, an die ich in der letzten Woche häufig gedacht habe. Oft habe ich nach Exerzitien Klarheit darüber, was ich tun soll. Dieses Mal habe ich vor allem Klarheit darüber, dass ich Gott in allen Dingen auf mich zukommen lassen soll.

Das mag auch mit meiner jetzigen Lebensphase zu tun haben. Aber eigentlich soll es uns ja in jeder Lebensphase und in all unseren Plänen und Unternehmungen immer auch darum gehen:

dass wir in allem mit der „Ankunft Gottes“ rechnen („im Fleisch“, „im Geist“ und „in Herrlichkeit“), mit dem Anbruch der Verwandlung hin zu einem „neuen Himmel und einer neuen Erde“, und dass wir von Ihm bereit und „in Frieden … angetroffen werden“, wann immer Er kommt.

Fra' Georg Lengerke

Ana malaki – Ich bin eine Königin (Christkönig, Mt 25,31-46)

König, Ralf Knoblauch 2023, Chabrouh Faraya Lebanon

Die erste Oktoberwoche verbrachten wir eine Ferienwoche in den Bergen über Beirut mit psychisch kranken Frauen. Da wussten wir noch nicht, dass es einstweilen die letzte sein wird.

Viele der Frauen sprechen Französisch oder Englisch oder beides, einige haben studiert. Eine hat ein Buch geschrieben. Bei entsprechender medizinischer und freundschaftlicher Unterstützung würde eine Reihe von ihnen auch alleine oder in Wohngruppen leben können. Hier in Libanon jedoch sind sie alle in einer großen Einrichtung, deren Träger große Mühe haben, einen medizinischen und humanitären Mindeststandard aufrechtzuerhalten. Ihre Situation ist prekär. Sie schlafen in Neunerzimmern, es gibt praktisch keine Privatsphäre. Eine Frau erzählt, die wohlhabende Familie ihrer Schwester habe sie einweisen lassen, weil sie dort nicht tragbar sei. „Aber sie lieben ihre Hunde“, erzählt sie, „für die würden sie alles tun.“ Und nach einer Pause: „Ich wünschte, ich wäre ein Hund. Dann würden sie mich auch lieben und ich hätte ein Zuhause.“

In der Kapelle des dortigen Hauses der Malteser steht seit diesem Sommer eine Holzfigur des Bonner Künstlers und Diakons Ralf Knoblauch. Knoblauchs Skulpturen sind sehr einfache Figuren. Als hätte ein Kind sie gemacht. Vielen sieht man die kantige Form des Holzscheits noch an, aus dem sie geschnitzt wurden. Unsere hat eine Jeans und ein weißes T-Shirt an – und eine goldene Krone auf dem Kopf. Es ist ein König in Alltagskleidung. Ralf Knoblauch hat mittlerweile hunderte von Figuren geschaffen – Königinnen und Könige. Jeden Morgen eine. Sie stehen an Orten, an denen die Würde des Menschen verletzt oder vergessen oder ausdrücklich in den Fokus ihrer Mitmenschen genommen wird.

In der Heiligen Messe am letzten Morgen der Ferienwoche lesen wir die Lesungen und beten die Gebete vom Christkönigsfest, das wir heute feiern. Es handelt von jenem König, der in die Welt kommt und von der Welt nicht erkannt, sondern verkannt, nicht geehrt, sondern verworfen wird. Von jenem König, der sein Königtum nicht von Menschen hat, sondern ganz „von Gottes Gnaden“ ist. Von jenem König, der seine Königswürde nicht für sich behält, sondern allen mitteilt und in allen zum Vorschein bringt – auch in den Verkannten, Verworfenen und Weggesperrten. Dort wohnt er, als König eines Volkes von Königen und Königinnen. Dort will er sich finden lassen, wenn er sagt, was wir einem der Geringsten seiner Schwestern und Brüdern getan haben, das haben wir ihm getan.

Nach der Predigt nimmt jede Frau, die das will, den hölzernen König in die Hand und sagt: „Ana malaki! – Ich bin eine Königin!“ Manchen kommt das Wort nur schwer über die Lippen. Den einen ist das Wort zu groß. Den anderen scheint es zu einfach dahergesagt. Eine sagt: „Christus ist König…“ und nach einer Pause: „…und ich bin eine Königin!“ Eine andere schweigt eine Weile und sagt leise: „Mit Bescheidenheit und Stolz: Ich bin eine Königin!“ Eine andere strahlt und wartet darauf, aufstehen und sagen zu dürfen: „Wegen der Liebe Gottes zu mir bin ich eine Königin!“

Dann kommt die Frau an die Reihe, die sich vorgestellt hat, wie es wäre, ein Hund zu sein, um bei ihrer Schwester wohnen zu dürfen und geliebt zu werden. „Ich selbst kann es noch nicht glauben, aber Gott sagt mir: Ana malaki – Ich bin eine Königin."

Am folgenden Tag, dem 7. Oktober, beginnt von neuem ein Krieg im Heiligen Land. Hunderte Kinder, Frauen und Männer sterben schon in den ersten Stunden. Jeder Tod ist ein Königsmord und eine Selbstentwürdigung der Mörder.

Nun werden wir einander eine Weile nicht sehen können. Aber uns verbindet, dass wir miteinander Anteil haben an der Würde, die von Gott kommt. Und wir wollen Tag für Tag so leben, dass wir Gott und einander glauben, dass wir alle königliche Menschen sind.

Fra' Georg Lengerke

Hab dich. Nicht so (Predigt 25 Jahre Libanonprojekt, 11 Min.) Mt 25,14-30

An diesem Wochenende feiern wir in München ein Dankfest. Seit 25 Jahren gibt es das Libanonprojekt, in dem deutsche und libanesische Volontäre mit behinderten und psychisch kranken Menschen in den libanesischen Bergen Ferien machen.

Da scheint das Gleichnis von den Talenten, die im Geben gemehrt und im Verbergen verloren werden, gerade richtig zu kommen. Wir danken für Menschen und ihre Talente, dafür, dass sie sie gegeben und gemehrt haben. Dafür, dass andere so ermutigt wurden, auch sich und das Ihre einzubringen. Dafür, dass wir miteinander reich geworden sind an Freundschaft und Liebe, an Glaube und Hoffnung…

Aber irgendwas fehlt. Dafür hätten wir das Evangelium nicht gebraucht. Und die Sache mit der Mehrung der Talente hat etwas Fragwürdiges. Oft wird gesagt: „Man bekommt so viel mehr zurück, als man gibt!“ Kann sein. Aber geht es darum? Sind wir dafür gekommen? Das ist ja einer der Vorwürfe gegen Projekte wie unseres: es sei Voluntärstourismus und eine Instrumentalisierung der Armen, um etwas wiederzubekommen, eine narzisstische Selbstbefriedigung unter dem Deckmantel des Altruismus.

Aber das Resümee im Evangelium ist ja gar nicht: Wer gibt, dem wird gegeben. Das wäre zwar langweilig aber wenigstens gerecht. Das Resümee Jesu jedoch klingt empörend ungerecht:

Wer hat, dem wird gegeben werden und er wird im Überfluss haben; wer aber nicht hat, dem wird auch noch weggenommen, was er hat.

Berthold Brecht hat dieses Gleichnis das „Kapitalistenevangelium“ genannt: Die Reichen werden immer reicher und die Armen immer ärmer. Ist das gemeint?

Während der Pandemie war ich in einer seelsorglichen Einsatzgruppe, deren Mitglieder Covid-19-Patienten besuchten, um ihnen die Krankenkommunion, die Krankensalbung oder die Beichte zu spenden, oder für ein Gespräch da zu sein.

Eine freundliche alte Dame mit Humor wollte mir am Ende des Besuchs eine alte Geldbörse mit einer Spende mitgeben. Ich meinte, die dürfte ich leider nicht annehmen wegen der Infektionslage. Darauf Sie energisch: „Pater Georg, jetzt haben Sie sich mal nicht so! Wenn Sie sich vor dem Besuch so gehabt hätten, wären Sie gar nicht erst zu mir gekommen.“

Dieses Wort beschäftigt mich seitdem. „Sich nicht so haben“ bedeutet ja, nicht allzu empfindlich zu sein. Anders gesagt: Sei keine Heulsuse, und stell Dich nicht so an.

Hab Dich nicht so! Aber ich soll mich doch haben! Ich bin mir ja auch gegeben: mein Leben, mein Leib, meine natürlichen und erlernten Fähigkeiten – meine Talente.

Hab Dich nicht so! Ich denke über diesen Satz seitdem viel nach. Denn er sagt mir ja: Ich soll mich haben. – Aber nicht so.

Ich soll mich nicht so haben, dass ich den Geber vergesse und undankbar werde. Nicht so, dass ich mich ängstlich an mich und meine Gaben klammere oder sie verdränge und vergrabe.

Ich soll mich so haben, dass ich die Gabe, die ich bin und habe, die Talente, die mir gegeben sind, annehme und wirklich zu meinen mache. Ich soll sie so haben, dass ich sie in Besitz nehme und mit ihnen umgehe. Denn nur, was ich angenommen habe, kann ich auch geben. Und nur, was ich gebe, kann auch wachsen.

Aber was ich verleugne, vergrabe und verdränge, das wird mir genommen, weil es verdirbt. Und woran ich mich klammere, das zerfällt mir in den Händen.

So verstanden, würde das Wort Jesu lauten:

Wer [angenommen hat, was er] hat, dem wird gegeben werden und er wird im Überfluss haben; wer aber nicht [angenommen hat, was er] hat, dem wird auch noch weggenommen, was er [nicht angenommen] hat.

Wenn wir heute ein Dankfest feiern, dann nicht zuerst dafür, dass wir mehr bekommen als wir gegeben haben. Sondern dafür, dass da Menschen waren, die sich nicht so gehabt haben. Dafür, dass wir mit ihnen zusammen haben geben dürfen, was wir empfangen haben. Dafür, dass andere von uns und wir von anderen mehr bekommen haben, als wir gaben.

Und jetzt gibt es immer wieder Leute, die sagen: Das könnte ich nicht! Ich möchte Euch bitten: Sagt das nicht. Nicht deshalb, weil es nicht sein kann. Wir kommen alle an Grenzen, an denen nichts mehr geht. Sondern deshalb, weil wir das nicht wissen. Weil wir mitunter erst an Grenzen kommen müssen, an denen wir entweder sagen. Bis hier geht’s und nicht weiter. Oder uns einer an der Hand nimmt und sagt: Hab Dich nicht so. Komm, denn jetzt geht es erst richtig los…

Jesus ist der Mensch, der sich ganz hat. Der Mensch, der sich ganz empfangen und ganz angenommen hat. So ist er auch der, der sich ganz geben kann und sich uns ganz gibt, weil er uns ganz liebt.

Wenn wir mehr voneinander empfangen als wir gegeben haben, dann deshalb, weil Er sich gibt, wo wir uns geben. Und wo das geschieht, da entdecken wir die Größe der Kleinen, die Schönheit der Entstellten und die Liebenswürdigkeit der Ungeliebten.

Ich stelle mir vor, wie die Stimme Christi sich mit der Stimme unserer Gäste, mit der Stimme der Armen und Kranken auf der ganzen Welt vereint, und sie uns zurufen:

Seid dankbar, für das, was euch gegeben wurde. Seid dankbar für das, was ihr angenommen habt. Seid dankbar für das, was ihr geben durftet. Seid dankbar für das, was wir euch sind und geben. Und seid dankbar, dass Gott uns miteinander reich gemacht hat. Macht euer Herz stark und weit „und habt euch nicht so. Wenn Ihr euch früher so gehabt hättet, dann wäret ihr gar nicht erst zu uns gekommen!“

Fra’ Georg Lengerke

Verzögerung als Chance Mt 25,1-13

Verzögerungen können eine nervliche Herausforderung sein. Beim Bahnfahren, bei Geschäften oder Verabredungen. Vor allem dann, wenn folgende, wichtigere Anliegen oder Zusagen dadurch gefährdet werden.

Manchmal sind Verzögerungen aber auch Chance oder Erleichterung. Ich erwische gerade noch einen verspäteten Anschlusszug. Das Essen ist noch nicht fertig und der Gast verspätet sich. Ein Spielende verzögert sich um die Nachspielzeit, in der das entscheidende Tor fällt.

Nun sind die genannten Beispiele alle nicht letztentscheidend. Aber was ist, wenn es einmal wirklich um die letzten Dinge, um die entscheidenden Fragen unseres Lebens geht?

Von einer Verzögerung erzählt das Gleichnis von den fünf klugen und den fünf törichten Jungfrauen, die bei einer Hochzeit den Bräutigam erwarten. Als der verspätet eintrifft, gibt es für die törichten ein böses Erwachen. Sie haben leere Lampen mitgenommen und kein Öl, während die klugen auch Öl mit sich trugen.

Es geht hier nicht um irgendeine Begegnung. Es geht um die endzeitliche Begegnung mit Jesus Christus, um den Moment, an dem es ans Sterben und also um alles geht.

Das Öl in der Lampe, das die einen haben und die anderen nicht, ist offenbar entscheidend für die Begegnung und Gemeinschaft mit Gott. Es bedeutet die Freude an Gott, sagt Augustinus.

Ich würde allgemeiner sagen, es ist unsere Erreichbarkeit für Gott. Es ist das, was bleibt, wenn wir alles lassen müssen. Es gehört so uns, dass es unvertretbar ist und nicht eben nochmal mitgeteilt oder organisiert werden kann.

Das Öl bedeutet die Entflammbarkeit für Gott und seine Sache in der Welt. Für das Licht, das von Gott kommt und in dem ich sehend und sichtbar werde.

Angenommen, es ginge mit mir zu Ende und meine Begegnung mit Christus stünde unmittelbar bevor. Angenommen, es ginge heute um alles. – Bin ich erreichbar für ihn? Oder will ich es wenigstens sein? Habe ich das Öl in meiner Lebenslampe für den letzten Schritt in das, was jetzt noch dunkel scheint?

Auch wenn es um die letzten Dinge und um das Ganze unseres Lebens geht, kann eine Verzögerung ein Leid sein oder ein Segen.

Ein Leid ist sie für die vielen, die Gott darum bitten, er möge sie doch aus dem Streit oder dem unerträglich scheinenden Schmerz ihres Lebens zu sich nehmen. Aus diesem Leid der Welt bittet die Kirche in der Liturgie des Advents flehentlich darum, Gott möge doch kommen und nicht länger zögern und die Welt vollends erlösen und zu sich nach Hause an ihr Ziel bringen: „O komm und errette uns,… säume nicht länger!“ (O Antiphon vom 19. Dezember)

Ein Segen jedoch bedeutet die Verzögerung dieses letzten Schrittes für die Menschen, deren Leben sich dem Ende neigt und die sich fragen, worum sie sich eigentlich jahrelang gesorgt und wovor sie eigentlich Angst hatten, wenn all das nun gegenstandslos ist. Für die, die mir sagen, sie würden gern anders gelebt haben und würden auch künftig anders leben, wenn ihr Ende sich noch einmal verzögerte.

Ein Segen ist die Verzögerung auch für mich. Als ich krank war, kam der Tod näher in Sichtweite als sonst. Seither lebe ich mit ihm, und immer wieder kommt es mir vor, als sei ich in der Nachspielzeit meines Lebens. Es ist eine kostbare Zeit. Eine Zeit, die ich nicht vertun oder verschlafen will. Eine Zeit, in der ich noch einmal neu das Öl meiner Erreichbarkeit für Gott entdecke und einsammle, es läutere und dafür dankbar bin. Weil es das ist, was bleibt, wenn ich alles lassen muss. Eine Zeit, in der ich mich – zusammen mit denen, die Gott mir gibt – einlassen will auf die vielen Begegnungen mit Ihm und vorbereite auf die eine, bleibende Begegnung mit Ihm.

Heute hatte mein Zug wieder Verspätung. Ich nutze die Zeit und kaufe mir ein Käsebrot. Und dabei frage ich mich, was es braucht, dass wir unser Öl wiederfinden – und ob die törichten Jungfrauen zu ihrem Öl und zu Seinem Licht wohl noch gekommen sind.

Fra' Georg Lengerke