BDZ vom 19. Januar 2025
„Hast du uns was mitgebracht?“ Die arme Tante. Immer, wenn sie kam, war das unsere erste Frage. Den Eltern war das jedes Mal etwas arg. Der Tante nicht. Sie hatte uns eigentlich immer etwas mitgebracht. Mal was Größeres, mal was Kleineres. Noch heute besitze ich einige wenige schlichte Kostbarkeiten, die ich täglich im Gebrauch habe und die mich an Annemie erinnern. Nicht bloß an ihre Großzügigkeit. Sondern an einen Menschen,...
„Hast du uns was mitgebracht?“ Die arme Tante. Immer, wenn sie kam, war das unsere erste Frage. Den Eltern war das jedes Mal etwas arg. Der Tante nicht. Sie hatte uns eigentlich immer etwas mitgebracht. Mal was Größeres, mal was Kleineres. Noch heute besitze ich einige wenige schlichte Kostbarkeiten, die ich täglich im Gebrauch habe und die mich an Annemie erinnern. Nicht bloß an ihre Großzügigkeit. Sondern an einen Menschen, der etwas für mich hat.
Darin liegt eine Spannung. Dass einer etwas für mich hat, bedeutet, er ist mir gut. Es heißt aber auch, dass ich noch nicht habe, was er für mich hat. Etwas steht noch aus. Gerade das macht die Kostbarkeit und Schönheit und Zukünftigkeit unserer Beziehung aus. Aber zugleich besteht darin auch ihre Not. Denn es kann ja sein, dass auch Notwendendes noch fehlt und aussteht.
Diese Schwelle von schon und noch nicht ist der beglückende und schmerzliche Ort unserer Begegnung mit Gott. Von ihr erzählt der Evangelist Johannes am Anfang des öffentlichen Wirkens Jesu.
Das erste „Zeichen“, das Jesus tut und das über sein irdisches Menschsein hinausweist, geschieht auf einer Hochzeit. Diese droht auf einen Tiefpunkt zu kommen. Der Wein geht aus. Maria, die Mutter Jesu, bemerkt die Not und sagt ihm: „Sie haben keinen Wein mehr.“
Maria bringt vor Jesus die existentielle Not der Menschen, deren Lebensfest zum Fiasko zu werden und denen der Geschmack und die Freude am Leben verloren zu gehen droht.
Die Antwort Jesu klingt zunächst brüsk: „Was willst du von mir, Frau? Meine Stunde ist noch nicht gekommen.“ Das klingt wie eine flegelhafte Ungezogenheit eines jungen Mannes gegenüber seiner Mutter. In Wirklichkeit ist es der Hinweis auf die Schwelle von schon und noch nicht.
„Meine Stunde ist noch nicht gekommen.“ Ich möchte zurückfragen: „Wann kommt denn deine Stunde?“ Wenn doch die Not so groß ist. Wenn so viel gelitten wird. Wenn die Gefahr immer noch wächst und das Leben und die Liebe bedroht sind. Wie lange willst du noch warten?
All das fragt Maria nicht. Sie kennt die Kostbarkeit der jetzigen Stunde. Sie vertraut auf die kommende Stunde. Und sie weiß, was zu tun ist.
Die „Stunde“ Jesu kommt im Johannesevangelium 17mal vor. Sie ist zum einen der noch ausstehende Moment, in dem er das Entscheidende tut. Zum anderen verweist sie auf die Stunde seines Leidens, die Stunde, in der er nicht nur etwas von sich, sondern sich selbst ganz gibt; die Stunde, in der er nicht nur für Brot und Wein sorgt, sondern sich selbst in Brot und Wein gibt; die Stunde, in der er unseren Tod zu seinem Tod macht, damit seine Auferstehung unsere Auferstehung sei.
An dieser Schwelle von schon und noch nicht leben wir immer jeweils jetzt. „Immerfort empfange ich mich aus Deiner Hand“, heißt es in einem Gebet von Romano Guardini. Von Moment zu Moment empfange ich jeweils jetzt, was ist, werde ich, der ich bin, und gewinnt mein Leben seine Gestalt.
Im Kommen Christi in die Welt geschieht nun etwas Erstaunliches: In ihm überschreitet Gott die Schwelle vom ausstehenden Noch-nicht in das gegenwärtige Schon. Er ist schon da als der, der alles für uns hat. Er verwandelt das Wasser in Wein. Normalerweise in einem Jahr, und ausnahmsweise (wie in Kana) in einem Augenblick.
An der Schwelle gilt Marias Wort: „Was er euch sagt, das tut.“ Das ist unser Anteil am Kommen der Stunde Jesu: das jeweils Anstehende gleich, ganz und gerne zu tun. Und in dem Maße, in dem wir an seinem Leben Anteil nehmen (im Hören seines Wortes, in der Feier der Sakramente, in der Mitliebe mit ihm zu unseren Nächsten), in dem Maße haben wir bereits einen Fuß über die Schwelle in die kommende Stunde gesetzt, in der Gott das Entscheidende tut.
„Hast du uns was mitgebracht?“ „Ja“, war die Antwort von Annemie. Sie erinnert mich bis heute daran, dass Gott in Jesus da ist, diesseits der Schwelle von schon und noch nicht. Und das er der ist, der für uns hat, was unser Leben schon hier und jetzt zu verwandeln beginnt.
Fra’ Georg Lengerke
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