An Gottes Leben teilnehmen – Dreifaltigkeitssonntag

Die sogenannte „Prärie“ ist eine Parklandschaft am französischen Fluss Gave im Wallfahrtsort Lourdes am Fuße der Pyrenäen. Gegenüber liegt die Grotte von Massabielle, von der das Mädchen Bernadette Soubirous 1858 berichtete, eine Dame von außergewöhnlicher Schönheit sei ihr dort begegnet, die sich später als die Gottesmutter Maria erwies.

Auf einer der Bänke auf der Prärie führe ich in der vergangenen Woche ein langes Gespräch mit A., einem Mann von vielleicht Mitte vierzig, über dessen Leben sich ein Buch schreiben ließe: Eine Kindheit als belächelter oder malträtierter Außenseiter, ein schulisches Martyrium, Gelegenheitsarbeiten, der Versuch, das Abitur zu machen und Theologie zu studieren. Mit 30 der erste Schlaganfall. Nach der Reha wird aus einem dreiwöchigen Asien-Urlaub ein siebenjähriger Aufenthalt, nach der Rückkehr ein zweiter Schlaganfall, seitdem sitzt er im Rollstuhl…

Er erzählt nüchtern von seinem Weg, von viel Leid und etwas Glück, von seiner Ferne und seiner Nähe zu Gott, von seiner Sehnsucht und von konkreten Misslichkeiten dieser Tage. Und er spricht gut von den Menschen – auch von denen, die ihm weh getan haben. An dieses Gespräch denke ich am heutigen Dreifaltigkeitssonntag.

In der Oration dieses Tages heißt es, Gott habe Sein Wort und Seinen Geist „in die Welt gesandt, um uns das Geheimnis des Göttlichen Lebens zu offenbaren“.

Diese Offenbarung ist mehr als eine Information zwecks Weitergabe. Sie ist eine Gabe, die das Leben derer, die sie annehmen, grundlegend verändern kann. Sie ist nicht nur Information, sondern Formation (Benedikt XVI.).

Was heißt das, ein Christ zu sein? Wenn ich zurückschaue, vertieft sich die Antwort von einer Lebensphase zur nächsten – wie übrigens auch im Jahreskreis der Liturgie.

Christsein heißt Annahme und Angenommenwerden, sagt mir das Weihnachtsfest. Gott wird Mensch, in dem der Vater den Sohn sendet, der sich mit unserem Leib und Leben verbindet – „in allem uns gleich außer der Sünde“ (IV. Hochgebet).

Christsein heißt Nachfolge, sagt der Alltag der Jünger Jesu bis heute. Dabei werden wir mit Ihm immer vertrauter und Seine Freunde werden und so Anteil an Seinem Leben, an Seinem Willen und an Seiner Liebe zu den Menschen bekommen.

Christsein heißt Leben mit dem Auferstandenen, heißt es an Ostern. Er lässt sich alles antun, was wir einander antun, um die Welt von innen her zu erlösen. Im Hass bleibt Er die personifizierte Liebe Gottes bis in den Tod – und führt die todverfallene Welt durch den Tod ins Leben.

Christsein heißt Sendung, haben wir an Pfingsten gefeiert. Das Volk Gottes wird in der Kraft, Vollmacht und Verstehbarkeit des Heiligen Geistes in die ganze Welt gesandt als ein Volk aus allen Völkern, das allen Menschen die Liebe Christi erweist und bezeugt.

Im Vergleich dazu ist der Dreifaltigkeitssonntag ein eher leises Fest. Im Gespräch mit A. auf der Prärie werde ich daran erinnert, dass Christsein auch bedeutet, sich hineinnehmen zu lassen in die dreifaltige Liebe, die in die Welt gekommen ist.

A. und ich sind zwei, die im Namen Jesu versammelt sind. Von denen sagt Jesus, Er sei unter ihnen gegenwärtig. A. ist mein Nächster, für den Christus gestorben ist und mit dem Er sich unwiderruflich und „auf Verderb und Gedeih“ (!) verbunden hat. Die Schrift sagt mir, dass ich diese Erkenntnis nicht aus mir habe, sondern durch den Heiligen Geist, der in mir wohnt und mich Christus und den Bruder erkennen und lieben lässt.

Gegenüber, am anderen Ufer des Gave, hat eine „schöne Dame“ einem Mädchen gesagt, dass sie die „unbefleckte Empfängnis“ sei, in der der Sohn Gottes ein Mensch geworden ist. Hier auf der Prärie sitzen zwei versehrte und von Gott gewürdigte Männer, denen der Heilige Geist die Gegenwart des Menschgewordenen im jeweils Anderen offenbart, damit wir miteinander den Weg finden zu Gott dem Vater, der der Ursprung, der Erhalter und das Ziel von allem ist.

Fra' Georg Lengerke

Lass uns bei Dir sein (Mk 10,32-45)
Predigt an der Grotte von Massabielle, Lourdes, am 31. Mai 2023

Liebe Schwestern, liebe Brüder,

so hatten wir uns das nicht gedacht! Gerade noch haben wir an Pfingsten mit den zwölf Aposteln und Maria einmütig im Obergemach auf das Kommen des Geistes gewartet. Gerade noch haben wir gefeiert, dass der Geist Gottes auf die Jünger herabkommt, sodass sie in der Kraft Gottes in alle Welt gehen, um von ihm zu erzählen und in seinem Namen zu wirken. Und heute, nur drei Tage später, wird uns gesagt: Die Jünger waren „sehr ärgerlich“ übereinander. Willkommen im Alltag!

Wir wollen über den Ärger der Jünger nicht einfach hinweggehen. Vielleicht – wer weiß? – ist es ja auch unser Ärger.

„Lass in Deiner Herrlichkeit einen von uns rechts und den anderen links neben Dir sitzen!“, hatten die beiden Söhne des Zebedäus Jesus gebeten. Was mag die Jünger daran bloß geärgert haben? Was ist falsch daran, darum zu bitten bei Jesus zu sein?

Vielleicht hat sie geärgert, dass Jakobus und Johannes sie überholen wollten und einem Platz vor ihnen beanspruchten, vielleicht sogar auf ihre Kosten. Vielleicht hat sie auch geärgert, dass es den beiden Brüdern möglicherweise um irdische Macht an der Seite Jesu geht – vielleicht sogar um Macht über die anderen Apostel. Vielleicht hat sie auch einfach nur geärgert, dass sie nicht selbst auf den Gedanken gekommen sind, früh genug um einen Platz an der Seite Jesu in seiner Herrlichkeit zu bitten …

Jesus weist die beiden Brüder nicht einfach zurecht. Und als die zehn übrigen Apostel sich über die beiden ärgern, geht Jesus darüber nicht einfach hinweg. Er ruft die Jünger zusammen. Dass sie sich ärgern, ist eine gute Gelegenheit, etwas Entscheidendes zu lernen.

Und ich schlage vor, liebe Brüder und Schwestern, dass wir mit ihnen lernen.

„Lass uns in Deiner Herrlichkeit bei Dir sein!“, bitten die beiden Jünger. Was ist falsch an dieser Bitte? Sollen wir denn nicht darum bitten, bei Jesus zu sein? Doch. Unbedingt. Gerade hier in Lourdes tun wir das ja auch. Nicht die Bitte ist falsch. Falsch ist die Vorstellung der Jünger davon, was es bedeutet, bei Jesus in seiner Herrlichkeit zu sein. Und diese Vorstellung wird von Jesus korrigiert.

1. Die erste Korrektur besteht darin, dass wir über das Ziel den Weg nicht vergessen sollen und über den Weg das Ziel nicht aus dem Auge verlieren dürfen.

    Jakobus und Johannes wollen bei Jesus in seiner Herrlichkeit sein. Aber sie vergessen darüber den Weg dahin. Sie wollen im Himmel sein und vergessen darüber die Erde. Dabei hatte Jesus gerade noch von seinem Leidensweg gesprochen. Davon, dass er eingetaucht wird in den Streit und den Hass der Welt und dass er den Kelch des Leidens der Welt trinken wird. „Könnt auch Ihr eingetaucht werden und den Kelch trinken?“, fragt Jesus die Jünger.

    Hier in Lourdes lernen wir voneinander, den mühsamen Weg des Alltags geduldig und tapfer zu gehen. Schritt um Schritt. Vor Jahren sagte mir hier ein Mann, der wegen einer schweren Nervenkrankheit nur sehr schwer gehen konnte: „Jeder Schritt ist ein kleiner Sieg!“

    Und auch in das andere Extrem sollen wir nicht verfallen: dass wir über den Weg das Ziel aus dem Auge verlieren und über die Erde den Himmel vergessen. Das geschieht in der Kirche gerade häufig, dass wir über die Geschäftigkeit des Alltags, über die Lebenswirklichkeit der Menschen und die gesellschaftliche Bedeutung der Kirche vergessen, worum es im letzten eigentlich geht, nämlich dass wir schon hier und jetzt bei Jesus sind und durch ihn einmal miteinander in den Himmel kommen.

    2. Die zweite Korrektur betrifft die Vorstellung der Jünger, bei Jesus zu sein bedeute, von ihm weltliche Macht verliehen zu bekommen.

    Damals dachten die Jünger, Jesus würde in Jerusalem ein neues irdisches Reich der Gerechtigkeit und der Liebe errichten. Und sie würden in diesem Reich als Minister des Königs Anteil an seiner Regierung bekommen.

    Ähnliche Vorstellungen gibt es seitdem in der Kirche bis heute: wenn wir zu Jesus gehören, so glauben viele, dann müssen wir möglichst viel Einfluss und Macht haben, um die Werte Jesu auch gesellschaftlich und politisch verwirklichen zu können. Wir Christen und die Kirche müssten mächtig sein, um das Reich Gottes auf Erden zu verwirklichen.

    Jesus hat das kommen sehen. Schaut Euch an, wie es läuft, sagt Jesus den Aposteln: „Ihr wisst, dass die, die als Herrscher gelten, ihre Völker unterdrücken und die Mächtigen ihre Macht über die Menschen missbrauchen.“ Seit Jahrhunderten machen wir die Erfahrung: Sobald wir uns in der Kirche den Methoden irdischer Macht bedienen, läuft es bei uns genau so schief wie bei den Mächtigen dieser Welt.

    „Bei Euch aber soll es nicht so sein“, sagt Jesus, „sondern wer bei Euch groß sein will, der soll Euer Diener sein, und wer bei Euch der Erste sein will, soll der Sklave aller sein.“

    Viele von uns – auch ich – haben das hier in Lourdes wie sonst nirgends gelernt: füreinander da zu sein und einander zu dienen. In der tätigen Hilfe und Pflege, im guten Rat, im Aushalten des Unabänderlichen, im Zeugnis eines tapferen Lebens, in der Bereitschaft, sich helfen zu lassen, und auch im Ertragen derer, die sich beim Helfen noch etwas dumm anstellen…

    Wo wir einander dienen, werden alle groß – die Bedienten und die Diener. Die, die wir im Dienst groß sein lassen und die, die im Dienen wachsen.

    3. Und die dritte Korrektur schließlich besteht darin, dass wir erkennen: Wir kommen nicht als erstes zu Jesus; als erstes kommt Jesus zu uns. Zuerst sind nicht wir bei Jesus; zuerst ist Jesus bei uns.

    „Auch der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele“, sagt Jesus den Jüngern. Als der Sohn Gottes in Maria Mensch geworden ist, da ist er in das Leben eines jeden Menschen eingetreten. Noch bevor wir von ihm gehört und an ihn geglaubt haben.

    Gerade hier in Lourdes dürfen wir dieses Geschenk erkennen und annehmen. „Du bist ja schon da bei mir. Du sendest mir Menschen, die mir helfen und mir raten und mir bezeugen, dass Deine Liebe größer ist als alles, was wir einander tun können. Du bist ja schon da und hast mein Leben zu Deinem Leben, meinen Leib zu Deinem Leib, meinen Schmerz und meine Mühe zu Deinen gemacht. Du bist ja schon da bei mir. Nun lass mich auch da sein bei Dir.“

    Im Leben und im Zeugnis Mariens ist das vielleicht am deutlichsten geworden: Zuerst jubelt sie, dass Gott auf ihre Niedrigkeit geschaut und Großes an ihr getan hat. Erst so ist sie fähig und bereit, sich aufzumachen für Ihn und sich aufzumachen zu den anderen, um ihnen Jesus und die Freude über sein Kommen zu bringen „Siehe, ich bin die Magd des Herrn. Mir geschehe nach Deinem Wort!“

    „Lass uns in Deinem Reich bei Dir sein!“, beten die Apostel. Wir wollen mit ihnen lernen, über das Ziel den Weg nicht zu vergessen, mit Jesus einander zu dienen und ihn einzulassen in unser Leben, weil er uns zuvorgekommen ist. Und wir wollen Jesus zusammen mit den Aposteln bitten:

    Du bist in Maria Mensch geworden, um bei mir zu sein.
    Ich bitte Dich: Lass mich in Deiner Herrlichkeit auch bei Dir sein.
    Schon heute, weil Du in mein Leben eingetreten bist.
    Schon heute, weil wir zusammen mit Dir füreinander da sein können.
    Schon heute, weil wir uns Deiner Liebe anvertrauen dürfen,
    die uns über uns selbst hinausführt
    in die Freude, die Du schenkst,
    und in Deine Herrlichkeit, die hier beginnt
    und niemals endet.

    Amen.

    Fra’ Georg Lengerke

    Eines Geistes sein. Predigt in St. Georg, München-Bogenhausen, Apg 2,1-11

    Die Aufnahme (8 Min.) ist diesmal die Predigt am Vorabend aus dem Georgskirchlein in München Bogenhausen.

    Seit einiger Zeit schaue ich in der Münchener U-Bahn nicht mehr aufs Handy. Stattdessen lese ich in einem kleinen Buch, mache mir Notizen oder schaue mich einfach um. Neulich traf sich dabei mein Blick mit dem einer jungen Frau, die das gleiche tat. Es war, als wären wir beiden die einzigen. Alle anderen waren von ihren kleinen Bildschirmen in Anspruch genommen. Sie lächelte und ich lächelte zurück, und für einen Augenblick waren wir eine kleine konspirative „Widerstandsgruppe“ inmitten der Weltvergessenen um uns herum. Wir kannten uns nicht, aber in diesem Punkt verstanden wir einander.
    Das Pfingstfest handelt von tödlicher Sprachverwirrung und rettender Verständigung.
    An Pfingsten wird die Geschichte der Stadt Babel erzählt, deren Bewohner einen Turm bis zu Gott bauen und wie Gott sein wollen und darüber die gemeinsame Sprache und die Fähigkeit, einander zu verstehen verlieren (Gen 11,1-9).
    Und es wird von Jerusalem erzählt, wo am jüdischen Fest des Bundesschlusses 50 Tage nach dem Paschafest und der Auferstehung Jesu eine Kraft wie Feuer von oben kommt. Die ergreift die versammelten zwölf Beauftragten Jesu und lässt sie so von Gottes Taten und Wundern sprechen, dass die Menschen aller dort versammelten Sprachen sie verstehen können.
    In einem Pfingsthymnus der Ostkirche wird heute gesungen:
    „Als Er herabkam, die Sprachen zu verwirren,
    schied der Höchste die Völker;
    als Er des Feuers Zungen verteilte,
    rief Er alle zur Einheit:
    und einstimmig verherrlichen wir
    den Allheiligen Geist!“
    Ich muss in letzter Zeit oft an die Geschichte vom Verlust der gemeinsamen Sprache in Babel denken. Dass wir einander verstehen, wird selbst innerhalb einer gemeinsamen Sprache immer schwieriger. Auf der einen Seite gibt es eine immer größere sprachliche Sensibilität und das Bemühen um „sprachliche Gerechtigkeit“. Und das ist gut so. Auf der anderen Seite wachsen Misstrauen und Verdacht, weil ein Wort und seine Bedeutung zweierlei und nicht einfach identisch sind. Und weil die Deutung eines Wortes Wohlwollen braucht. „Der Mensch“ kann eine Frau sein. Und „die Person“ ein Mann. Wer heute noch so spricht, wie er gestern sprach, ist für manche bereits ein Menschenverächter.
    Kann es sein, dass unser Turmbau zu Babel heute darin besteht, dass wir versuchen, die perfekte und gerechteste, berechenbarste und beherrschbarste aller Gesellschaften zu schaffen, die keines Gottes mehr bedarf? Und kann es sein, dass wir – gleich den Unglücklichen von Babel – dabei sind, die gemeinsame Sprache zu verlieren?
    Pfingsten ist nicht ein autoritativer Aufruf zu Verständnis. An Pfingsten geht eine Kraft von Gott aus, die dem einen Verständlichkeit und dem anderen Verstehen schenkt. Eine Kraft, die die einen für das Wort und Wirken Gottes öffnet und die anderen befähigt, ihnen dieses zu offenbaren.
    Pfingsten ist da, wo wir den Geist des Verstehens empfangen und ihn bei anderen finden. Dass wir jemanden verstehen, heißt nicht, dass wir mit ihm einverstanden sind. Aber wir erkennen, worum es ihm geht. Auch wenn er noch so Befremdliches für wahr hält, einfordert oder bewahren will. Auch nach Pfingsten ist noch einiges auszuhalten und zu ertragen. (Diese Alltagsmühe nennt man Toleranz.) Die Kraft auch dazu schenkt uns der Heilige Geist.
    Denen, die den Geist Gottes empfangen, geht es – bei allen schmerzlichen Unterschieden auf dem Weg – im Letzten um Dasselbe: dass Gott bei den Menschen ankommt und wir Menschen miteinander bei Gott ankommen.
    Ich denke an meine konspirativen Gefährten aus der U-Bahn. Wir schauen einander an, lächeln kurz, aber reden nicht. Und ich denke mir: In Dir und in mir wirkt derselbe Geist, dieselbe Kraft, dieselbe Gabe Gottes. Einmal werden wir uns wiedersehen vor Seinem Angesicht – und Gott und einander verstehen, spätestens dann. Das wird ein munteres, ein pfingstliches Zusammentreffen werden…
    Fra’ Georg Lengerke

    Lohnendes Leiden 1 Petr 4,13-16

    Auf der Brust eines Olympioniken war neulich tätowiert: Pain is temporary, pride is forever – Schmerz geht vorbei, Stolz ist für immer. Das mit dem Stolz stimmt natürlich nicht, der vergeht nämlich auch. Aber ich verstehe, was der Sportler meint: Der Schmerz des Trainings geht vorbei, der Sieg bleibt. Woanders fand ich dann die Version: Pain is temporary, glory is forever – Leiden geht vorbei, Herrlichkeit bleibt.
    Das Neue Testament unterscheidet verschiedene Gründe für Leid. Es gibt Leid, an dem wir unschuldig sind. Und es gibt Leid, an dem wir schuld sind. Dabei wird nirgends gesagt, das Leiden selbst sei gut. Aber die Gründe, weshalb Menschen leiden, die können moralisch neutral oder schlecht oder gut sein.
    Wenn jemand leidet, sagt die heutige Lesung aus dem Ersten Petrusbrief, dann „soll es nicht deswegen sein, weil er ein Mörder oder ein Dieb ist, weil er Böses tut oder sich in fremde Angelegenheiten einmischt“. Leiden, an dem wir selbst schuld sind, ist nicht nur leidvoll, sondern auch noch peinlich und beschämend.
    Aber es gibt eben auch unverschuldetes Leiden und ein Leiden, dem sich jemand um eines Gutes willen stellt. Leiden, das sich lohnt. Zum Beispiel da, wo jemand leidet, weil er zu Christus gehört. Entweder deshalb, weil er sich ausdrücklich zu Christus bekennt und aufgrund dieser Identifikation geschnitten, verfolgt, eingesperrt oder misshandelt wird. Oder deshalb, weil er – auch ohne Christ zu sein – um eines Gutes willen leidet. Zum Beispiel, wo er gegen Widerstände bei der Wahrheit oder in der Liebe geblieben ist – und also verborgen zu Christus gehört.
    Von guten Gründen zu leiden, vom Leiden, das sich lohnt, sprach vor Jesus übrigens auch schon Sokrates, als er lehrte, es sei besser Unrecht zu erleiden, als Unrecht zu tun.
    Aber im christlichen Glauben geht der Gedanke noch weiter: Wo immer ein Mensch leidet und aus welchen Gründen auch immer (selbst dann, wenn er selbst schuld an seinem Leid ist), dort leidet Jesus Christus mit diesem Menschen. Wo aber Menschen um Christi willen leiden, dort geschieht auch das genau Umgekehrte: dort leiden sie mit Christus.
    „Freut euch, dass ihr Anteil an den Leiden Christi habt“, sagt der Erste Petrusbrief. Er sagt nicht: Freut euch am Leiden. Er sagt: Wenn ihr Anteil an den Leiden Christi habt – also wenn ihr mit Christus leidet – dann ist das Leiden an sich noch immer nichts Gutes. Aber es ist ein Anzeichen dafür, dass ihr in Seiner Nähe seid und in Gemeinschaft mit Ihm steht – auch und gerade in diesem Augenblick der Bedrängnis. Der Preis, den ihr zahlt, ist es wert. Es ist Leiden, das sich lohnt.
    Ich habe mich gefragt, warum diese Lesung ausgerechnet zwischen Christi Himmelfahrt und Pfingsten gelesen wird. Es ist ja doch die Zeit, in der wir – wie Maria und die Apostel – das Kommen des Heiligen Geistes erbitten und erwarten. Und der schenkt Freude, Kraft und Lebendigkeit, eine Dynamik neuer Mitteilungs- und Begeisterungsfähigkeit. Und in der Tat, alles das gehört zum Wirken des Heiligen Geistes dazu.
    Aber zu diesem Wirken des Heiligen Geistes gehört eben offenbar auch, dass Menschen sich trauen und aushalten, „wegen des Namens Christi beschimpft“ zu werden. In dem Fall, sagt unsere Lesung, „seid ihr seligzupreisen; denn der Geist der Herrlichkeit, der Geist Gottes, ruht auf euch“. Wer um den Geist bittet, der zum Zeugnis befähigt, muss sich auch darauf einstellen, dass er um dieses Zeugnisses willen leiden muss.
    Beim Leiden für einen Menschen, für die Liebe und für den Gott, der selbst die Liebe ist, ist es so ähnlich wie beim Sport: Pain is temporary, glory is forever. Das Leiden lohnt sich, und es geht vorbei – die Herrlichkeit bleibt.
    Fra’ Georg Lengerke

    Ungefragt? 1 Petr 3,15-18

    In der Bibliothek einer Hochschule, in der ich studierte, gab es einen, der hatte an seinen Schnürsenkel ein kleines Glöckchen gebunden. Bei jedem Schritt klingelte es. In der Stille der Bibliothek war das umso störender. Und das war offenbar beabsichtigt.

    Als ich den jungen Mann ansprach, meinte er, er „läute für den Frieden“. Ich sagte ihm, dass er genau den hier gerade massiv gefährde. Darauf zitierte er die heutige Lesung aus dem Ersten Petrusbrief: „Seid stets bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen, der von euch Rechenschaft fordert über die Hoffnung, die euch erfüllt.“ Worauf ich ihm sagte, dass die Rechenschaft, die ihm die Studenten von ihrer Hoffnung gleich geben würden, möglicherweise nicht mit Rede und Antwort getan sei, sondern zu seiner Entfernung führte.

    Ich war und bin mir sicher, dass Petrus das nicht gemeint hat: Dass die Christen den Leuten mit kindischen Provokationen so lange auf die Nerven gehen sollten, bis die danach fragen, ob die Christen eigentlich noch ganz bei Trost seien.

    Von Paul Claudel stammt das Wort, wir Christen sollten nur reden, wenn wir gefragt würden, aber so leben, dass wir gefragt werden. Daran ist richtig, dass Christen nicht irrelevante Antworten auf ungestellte Fragen geben sollen. Und sicher werden Menschen besser durch einen bestimmten Lebensstil zum Nachfragen provoziert, als durch steile Thesen oder irgendeine Besserwisserei.

    Aber es gibt auch Sachverhalte, wo ungefragt zu reden ist. Nämlich überall dort, wo die Liebe nicht schweigen darf, und von dem, wovon die Liebe nicht schweigen darf. Bei Ungerechtigkeit, Unangemessenheit oder Unwahrheit, wo es um die Würde des Menschen oder die Bewahrung der Schöpfung geht, und dort, wo das Heilige in den Dreck gezogen wird.

    Ich habe allerdings auch immer häufiger den Eindruck, dass viele Menschen der Glaube der Christen schlicht nicht mehr interessiert. Sei es, weil sie nichts mehr von den Christen oder der Kirche erwarten. Sei es, weil die dingliche Welt, das Sichtbare, Messbare und angeblich Machbare in ihrem Leben derart bestimmend geworden ist, dass die Transzendenz, also die Frage nach dem Unsichtbaren über das unmittelbar Vorhandene hinaus, einfach keine Option mehr ist. So dass viele Menschen es angesichts der Christen mit dem Münchner Karl Valentin halten: „Net amoi ignoriern“.

    Es könnte sein, dass das Desinteresse der Menschen am Leben und Glauben der Christen eines Tages wiederum umschlägt. Für die von Gott Berührten in ein neues Fragen nach Ihm. Für die vom Leben und Glauben der Christen Gestörten in Ablehnung oder Hass.

    Vielleicht wird man das Wort von Claudel eines Tages dann wieder so lesen, wie es zu Verfolgungszeiten zu lesen ist: Dass wir die Wahrheit sagen sollen, wenn wir verhört werden, und so leben, dass wir verhört werden.

    Aber bevor es so weit ist, scheint mir noch etwas anderes wichtig zu sein: Wir sollten nicht bloß warten, bis wir nach unserer Hoffnung gefragt werden. Wir sollten vielmehr auch ernst damit machen, dass wir selbst ja vorher schon von dem gefragt wurden, der der Grund unserer Hoffnung ist und auf den wir unsere Hoffnung gesetzt haben. Gott antwortet dem Menschen nicht nur. Zuvor fragt Gott nach dem Menschen: „Wo bist du?“ (Genesis 3,9) „Was willst du?“ (Markus 10,51) „Was suchst du?“ (vgl. Johannes 1,38)

    Gott fragt nicht nur nach denen, die schon an ihn glauben, sondern nach jedem Menschen. Also sollten auch die von Gott Gefragten mit Ihm und wie Er nach den Menschen fragen. Nach ihrer Hoffnung und ihrer Not. Nach ihrer Freude und ihrem Schmerz. Auch dann, wenn wir selbst noch nicht alle Antworten auf Seine Fragen haben.

    Dann stellen wir vielleicht fest, dass auch einige von ihnen eine Antwort haben auf die Frage nach der Hoffnung –

    die nach uns Menschen fragt.

    Fra' Georg Lengerke