Vor fast sechs Jahren bin ich von Ehreshoven nach München gezogen, wo wir die Kommende junger Malteser gegründet haben. Ich habe mir dort bald einen neuen Beichtvater gesucht. Mit dem alten Jesuiten sprach ich anfangs oft über den Wechsel von einer klar beschriebenen in eine ungewisse Aufgabe. Dann sagte er jedesmal: „Säen Sie! Säen Sie! Und dann schauen Sie, wo was wächst. Und da bleiben Sie dran.“
Daran musste ich auch an diesem Wochenende denken. Denn die Generalversammlung einer Gemeinschaft ist eine Gelegenheit zum Rückblick und Dank, Zeit für Planungen und Entscheidungen, für Ausblicke und Ermutigungen.
Gestern haben wir 18 neue Mitglieder aufgenommen. Wir haben unseren Präsidenten gebührend verabschiedet und einen neuen Präsidenten gewählt. Und heute feiern wir das Versprechen von 12 Damen und Herren, in einer größeren Verbindlichkeit ihrer Berufung im Malteserorden zu folgen.
1. Machen und Fruchtbringen
Nun gibt es verschiedene Perspektiven, auf die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu schauen. Zwei will ich nennen: die des Machens und Vollbringens und die des Säens und Fruchtbringens. Beide Perspektiven sind wichtig, sie ergänzen und erklären einander. Eine macht ohne die andere keinen Sinn.
Die eine Sichtweise besteht darin, dankbar zu sehen, was wir mit Gottes Hilfe verwirklicht, aufgebaut und umgesetzt haben. Wir schauen darauf, wie wir so bis zu diesem Tag gekommen sind: an die Schwelle zum Malteserorden, an das Ende oder an den Anfang einer Präsidentschaft, zu der Entscheidung, uns im Hören enger an den Orden und seine Sendung zu binden. Und wir fragen danach, was als nächstes zu tun sei.
Eine zweite Betrachtungsweise legen uns die Texte des heutigen Sonntags nahe. Sie fragen danach, wie und was wir gesät haben, welche Bedingungen wir für das Keimen und Wachsen geschaffen haben und welche Früchte daraus bereits entstanden oder in Zukunft noch zu erwarten sind.
Die erste Perspektive fragt nach der Machbarkeit, die zweite nach der Fruchtbarkeit; die erste fragt nach dem Umsatz, die zweite nach dem Einsatz; die erste fragt nach der Bilanz, die zweite nach der Ernte.
Die Fortsetzung erfolgt in Kürze auf https://www.betdenkzettel.de/
2. Zeit der Ernte
Bleiben wir mal bei der Ernte: Ernte ist, was wir einholen, nachdem wir es gesät haben und nachdem es ohne unser Zutun gewachsen ist.
Ein Präsident z.B. ist ja nicht nur ein Macher. Er ist auch Sämann, Hüter des Wachstums und Empfänger der Ernte. Von einer Entscheidung (z.B. für eine Gemeinschaft) sagen wir, dass sie reift und irgendwann so weit ist, um sie zu verwirklichen. Und auch wir selber wachsen und reifen. Auch wir selbst gehören zur Ernte. Heute in dem, was wir füreinander geworden sind. Am Ende in dem, was von uns bei Gott ankommt, wenn die Welt geerntet wird.
Und das Bild von Saat und Ernte korrigiert auch ein wenig unsere Vorstellungen von Größe. Gott stellt sich mit seiner Liebe zum Kleinsten unserer Großartigkeit in den Weg. Weil sein Größtes mit dem Kleinsten beginnt. Sein Reich beginnt wie mit einem Senfkorn. Aus dem stecknadelgroßen Senfkorn weiß Gott mehr zu machen, als aus der viel größeren Ackerbohne. Und aus dem Scherflein der Witwe mehr, als aus den Millionen der Reichen. Aus einer Bemerkung, die das Leben verändert, mehr als aus einem ganzen Buch folgenloser Worte.
Und das Bild von Saat und Ernte veranschaulicht uns auch, wo wir in unseren Herzen, Haltungen und Absichten umkehren müssen. Manchmal gehören wir ja auch zu denen, von denen der Prophet Hosea sagt, dass sie „Wind sehen und Sturm ernten“. Gerade auch nach den Diskussionen und Auseinandersetzungen im Orden in den vergangenen Jahren muss ich mich doch fragen, wo ich Misstrauen gesät und Hass geerntet habe. Oder wo ich Besserwisserei gesät und Verachtung geerntet habe – und damit mitverantwortlich bin für die Lage, wie sie ist, und die mir und anderen jetzt das Leben schwer macht.
3. Zeiten der Verunsicherung
Das Bild von der Saat und der Ernte ist vor allem wichtig in Zeiten der Verunsicherung. Wir sind in einem beispiellosen Veränderungsprozess in Politik und Gesellschaft. In der Kirche erleben wir eine ähnliche Moralisierung, Politisierung und Polarisierung wie in der Gesellschaft. Einerseits gibt es Gemeinschaften mit einer neuen Lebendigkeit im Glauben. Andererseits einen breiten Abbruch in der Glaubensweitergabe, der uns der Kirche vor der Konstantinischen Wende immer ähnlicher zu machen scheint.
Und auch in unserer Gemeinschaft sind viele unsicher, wie es weitergeht. Wie geht es weiter mit den Berufungen zu einem Leben in den Gelübden der evangelischen Räte? Wie geht es weiter mit dem Verhältnis der Berufungen und Stände zueinander und ihrer Bedeutung und Wertschätzung füreinander? Wie geht es weiter mit unseren Gemeinschaften und unseren Werken bei Umsetzung unseres neuen Gesetzeswerkes auf nationaler Ebene?
4. Zeit zum Säen
In all diesen Unsicherheiten gehen wir weiter. Wir ernten im Dank für das, was Gott hat wachsen lassen, und wir säen im Vertrauen, dass Gott treu ist und auch künftig wachsen lässt, was zu seinem Reich gehört.
Wenn Ihr heute Euer Versprechen gebt und es verwirklicht, dann ist das Ernte und Saat.
Ihr erntet die Saat eines Zeugnisses, das in Euer Herz gesät wurde. Ihr erntet die Frucht Eures Entscheidungsprozesses. Und Ihr erntet die Früchte der Freundschaft einer Gemeinschaft, in die ihr hineingewachsen seid.
Aber ihr gebt und sät auch Euer Wort, Eure Entscheidung, Euren guten Willen. Und zugleich sät Ihr damit auch das Wort Gottes und das Versprechen seiner Treue in Euer eigenes Herz und in die Herzen Eurer Brüder und Schwestern. Und schließlich sät Ihr den Samen der Güte Gottes in das Leben und die Herzen der Armen und Kranken.
In Palästina erfolgte die Saat gewöhnlich als Wintersaat. Wie bei uns das Wintergetreide, das den Frost braucht, um im Frühjahr zu schossen. Wenn es Euch also so vorkommt, als wäre das Wetter rau und der Boden gefroren und Eure Saat nicht willkommen, dann habt keine Angst.
Denkt an das, was Ihr bereits habt ernten dürfen. Denkt an die Wintersaat, die unter dem Eis und der Verhärtung keimt. Denkt daran, dass Eure Saat von Gott kommt. Denkt daran, dass Gott der Sämann ist, der mit Euch sät. Und denkt daran, dass Gott es ist, der wachsen lässt.
Rainer Kunze beschreibt in einem Gedicht die Angst, das kostbare Saatkorn der Erde anzuvertrauen. Die Freunde ermutigen ihn, das Korn zu riskieren, weil daraus neues Leben wächst. Aber er kann es nicht glauben. Wieder und wieder wendet er ein: „Ich habe nie Frühling erlebt.“ Bis es am Ende heißt:
„Mein Geliebter sagt:
Es gibt Frühling!
Ich lege mein Korn in die Erde.“
Habt keine Angst. Gottes Saat geht nicht verloren. Wenn wir darauf vertrauen, können wir die Saat in die Erde werfen. Sie wird aufgehen. Und die Ernte wird groß sein. Gott hat es versprochen.
Wenn ich erschöpft bin, kann das sehr unterschiedliche Gründe haben. Sehr vereinfacht gesagt, zum Beispiel die vier folgenden: Entweder ich mache das Falsche. Oder ich mache das Richtige, aber ich mache es falsch. Oder ich mache das Richtige richtig, aber zu viel davon. Oder ich mache das Richtige richtig und im rechten Maß, aber sorge nicht für die weiteren Bedingungen, um halbwegs im Lot zu bleiben.
Die christliche Spiritualität hält viele Hilfen bereit, um diese vier Fragen (Was? Wie? Wie viel? Was noch?) angemessen zu beantworten: die Weisheit der Bibel und der Überlieferung, die Kunst der Unterscheidung und Entscheidung, eine Gemeinschaft, heilswirksame Zeichen und ein Leben aus dem Gebet.
Aber der christliche Glaube ist kein Selbstoptimierungsprogramm. Auch wenn es manchmal so klingt. Zum Beispiel, wenn Paulus der Gemeinde in Korinth schreibt „Darum werden wir nicht müde; wenn auch unser äußerer Mensch aufgerieben wird, der innere wird Tag für Tag erneuert.“ Nur nicht müde werden. Das ist was für Selbstoptimierer.
Aber im Glauben der Christen geht es nicht um Selbstoptimierung, sondern um Erlösung. Um die Erlösung des Menschen von der versklavenden Entfremdung von seinem göttlichen Ursprung, von der Verstrickung in Schuld und allen ihren lebensfeindlichen Folgen. Und das, indem wir Anteil am Leben Gottes bekommen: Gott nimmt als Mensch teil an unserem menschlichen Leben, damit wir Menschen schon auf Erden am göttlichen Leben teilnehmen.
Für Paulus besteht diese Teilnahme am göttlichen Leben in der Nachfolge Christi. Er lebt und arbeitet, denkt und redet aus der Verbundenheit mit Jesus Christus. Er baut Gemeinden auf und erzählt von ihm. Er führt Streitgespräche und nimmt Missverständnisse, Beleidigungen, Anfeindungen und Verfolgung in Kauf. Er wird bedrängt und bangt, wird verfolgt und unterdrückt – und er spürt, dass er so am Leiden und Sterben Christi teilnimmt.
Aber unser Eifer im Dienst erlahmt nicht; wir werden nicht müde, schreibt Paulus (2 Kor 4,1.16). Obwohl er die Grenzen seiner natürlichen Kräfte und seine Schwachheit sehr gut kannte. Es geht hier nicht um Erholung, sondern darum, woher und woraufhin er lebt.
„Wenn auch unser äußerer Mensch aufgerieben wird, der innere wird Tag für Tag erneuert.“ Die Unterscheidung von innerem und äußerem Menschen übernimmt Paulus aus der griechischen Philosophie. Die hatte die Tendenz, den Menschen dualistisch aufzuteilen: in sein inneres, unsichtbares, ewiges Wesen und seine äußere, sichtbare und vergängliche Hülle.
Für Paulus jedoch ist der Mensch eine Einheit verschiedener Dimensionen: Leib und Seele, außen und innen, sichtbar und unsichtbar, vergänglich und ewig. Gott nimmt in Jesus den ganzen Menschen an.
Und nun beschreibt Paulus eine gegenläufige Entwicklung: Der äußere Mensch wird aufgerieben. Durch Arbeit und Einsatz, Kampf und Mühe. Der innere Mensch dagegen wird von Tag zu Tag erneuert, wächst in der Verbundenheit mit Gott, im Geführtwerden vom Heiligen Geist, in der Freundschaft mit Christus und der Weite und Weisheit seines Herzens.
Ich habe das bei Menschen erlebt. Zum Beispiel bei einem Priester, dessen Freund ich seine letzten zehn Jahre sein durfte, bevor er fast hundertjährig starb. Während sein Radius, seine Beweglichkeit und sein Gehör abnahmen, wurde er innerlich immer weiser und weiter, kindlicher und neugieriger – über seinen absehbaren Tod hinaus.
Paulus macht nicht die gegenwärtige Not kleiner. Aber er ahnt, dass sie eingeholt, überstrahlt und erlöst wird von jenem Unvorstellbaren, das von Gott kommt, das in unserem Inneren bereits begonnen hat und das er „Herrlichkeit“ nennt.
Ich möchte lernen, das Richtige richtig und im rechten Maß zu tun und aus den Quellen zu leben, die mir der Glauben erschließt. Und ich möchte ein innerlicher und betender Mensch werden, der mutig gestaltet und liebt.
Und wenn ich die Herrlichkeit ahne, werde ich auch meine unvermeidliche Erschöpfung und meine Vergänglichkeit zu nehmen wissen.
„Lass Dir was einfallen“, sagte mir ein Freund neulich. Das klang nicht wie der unfreundliche Hinweis eines Vorgesetzten, wenn ein Mitarbeiter vor einem kaum lösbaren Problem steht: „Dann lassen Sie sich was einfallen!“ Er meinte vielmehr, ich sollte mir die Zeit geben, die es braucht, mich von dem erreichen zu lassen, was ich aus mir nicht erreichen kann, und mich von dem finden zu lassen, was ich aus mir nicht finden kann.
Solche Zeiten brauchen wir. Täglich, wöchentlich, jährlich. Und unter den Anforderungen und Erwartungen, den Ablenkungen und Inanspruchnahmen unserer Zeit wird es immer schwerer, sie zu finden – oder eher noch: sich für sie zu entscheiden.
Es gibt eine Zeit, die dafür seit Urzeiten vorgesehen ist. Das ist der Sonntag. Ursprünglich steht der in der Tradition des Sabbats, des siebten Tages der Schöpfungswoche. Am sechsten Tag war die Schöpfung vollendet und von Gott für „sehr gut“ befunden. Doch auch der folgende Tag der Ruhe gehört zur Schöpfung dazu. Ohne das Ausruhen ist das Werk unvollständig – selbst wenn es sehr gut hergestellt ist. Es braucht eine Zeit, in der Gott die Dinge „gut sein lässt“, damit sie es wirklich sind.
An diesem siebten Tag soll der Mensch wie Gott und mit Gott ruhen. Und er soll Ruhe geben. Auch den anderen. Selbst dem Sklaven und der Sklavin. Zur Sabbatruhe gehört der Serviceverzicht und die Erinnerung an die eigene Sklaverei, an die Befreiung aus dem Sklavenhaus Ägypten und alles, was ihm heute ähnlich ist.
Für die Christen war das vor allem die Sklaverei durch (eigene und fremde) Schuld, die das Leben zerstört. Deshalb haben die Christen den Ruhetag einen Tag später gefeiert, am achten der alten, am ersten der neuen Woche.
Am achten, weil die gefallene Schöpfung nicht durch die Ruhe Gottes, sondern durch die Auferstehung Jesu Christi vollendet wird.
Am ersten, weil der Tag der Auferstehung der erste Tag der neuen Schöpfung ist, die mit der Erlösung aus der Verstrickung von Sünde und Tod beginnt.
Den Sonntag zu halten ist leichter, wo der Sonntag eine gesamtgesellschaftliche heilige Selbstverständlichkeit ohne gegenteilige Erwartungen ist. Dafür besteht dann eher die Gefahr, dass eine Fixierung auf die Gebotserfüllung zu Lieblosigkeiten und Verengungen führt, die dem Sinn des Sonntags widersprechen.
Auch ich muss jedoch um die rechte Sonntagsgestaltung immer wieder ringen. Weil der Arbeitsdruck hoch ist, oder weil am Wochenende Veranstaltungen und Rückreisen anstehen. Nicht zuletzt aber auch deshalb, weil wir Kirchenleute (wie andere Menschen im Dienst am Nächsten) schnell dabei sind, unsere Arbeit für heilsrelevant oder zumindest für menschenfreundlich und deshalb für sonntagskompatibel zu halten.
Mir fällt am schwersten, was zugleich am wichtigsten ist: anzunehmen, dass es heilige Zeiten gibt, die unverfügbar sind und nicht verzweckt werden dürfen. Der Sonntag ist Beziehungszeit. Und zwar für jene Beziehung, die im Alltag als erstes hinter allen anderen zu verschwinden droht.
Der Sonntag ist dazu da, dass die Christen auf Christus schauen und, dabei wie Paulus schreibt, den „göttlichen Glanz auf dem Antlitz Christi“ erkennen (2 Kor 4,6). Das heißt erstens, dass sie in ihm Gott erkennen und zweitens, dass im Schauen auf Christus der göttliche Glanz auch auf ihr Antlitz und das ihrer Nächsten fällt. Wer auf Christus schaut, darf und soll sich auch gefallen lassen, von Christus angeschaut zu werden. Dieses Schauen und Angeschautwerden, sagt Paulus, erinnert uns daran, „dass das Übermaß der Kraft von Gott und nicht von uns kommt.“
Ich denke an den Rat des Freundes, Bedingungen zu schaffen, mir etwas einfallen zu lassen. Dazu gehört auch die Erfahrung der Natur, das neue Sehen und Hören von Freunden und Verwandten, die Offenheit für Ungewohntes, die Beschäftigung mit Ungeschäftlichem, die Beschenkbarkeit mit Unverdientem.
Heute ist Sonntag. Ich lasse mir was einfallen. Davon erzähle ich dann, wenn mich jemand fragt, was mir eigentlich einfällt.
Eine der Rollen, die für mich als Kind bestimmend waren, war die des Erben. Ich bin das älteste von vier Geschwistern. Und um Streit, Konkurrenz und ein Wetteifern um die väterliche Gunst zu vermeiden, hatten unsere Eltern entschieden, es solle mit dem Erben nach der Reihenfolge der Geburt gehen. Wenn der Älteste nicht will oder kann, kommt der nächste an die Reihe. Ich weiß, wie es sich anfühlt, ein Erbe zu sein.
Es ging dabei nicht um ein großes Vermögen, sondern um einen kleinen Landbesitz, der nicht aufgeteilt werden konnte. Er trug sich selbst. Wer erbte, musste einem Broterwerb auswärts nachgehen.
Wer erbt, übernimmt das Vermögen, das Lebenswerk oder den Nachlass eines anderen. Oft ist das Ausdruck seines Vertrauens, seines Wohlwollens und seiner Wertschätzung. Ich war nicht ungerne Erbe.
Allerdings gehen mit jeder Erbschaft auch Erwartungen einher. Manche erben ja nicht nur die Güter, sondern auch die Aufgaben und Rollen, ja gewissermaßen das Leben eines anderen. Und die fragen sich früher oder später, was denn eigentlich aus ihrem eigenen Leben geworden ist, das sie ohne dieses Erbe hätten leben können.
Und schließlich kann eine Erbschaft zu schrecklichen Verwerfungen führen. Wie viele Geschwister entzweien sich und wie viele Familien zerbrechen im Streit um ein Erbe?
Im Brief an die Römer bezeichnet Paulus das Verhältnis der Christen zu Gott als „Kinder“ und „Erben“. Damit meint er nicht nur, dass wir von Gott geschaffen und gewollt sind. In diesem Sinn ist jeder Mensch Sohn oder Tochter Gottes.
Paulus grenzt die Kindschaft von der Knechtschaft ab, die bloß Hervorbringung und Abhängigkeit und von Furcht geprägt ist. Er meint eine „Kindschaft“, um die die Kinder wissen, die sie bejahen und die ihr Leben ausmacht. Eine Beziehung, die mit Vertrauen, Bevollmächtigung und einer Erbschaft einhergeht.
Von diesem Erbe-Sein hören wir am Dreifaltigkeitssonntag. Gott offenbart sich als ein Gott in drei Personen, als ein „Was“ und drei „Wer“. Gott ist in sich bereits Beziehung und Liebe, sagt die Schrift. Und zur vollkommenen Liebe gehören immer drei: einer, der liebt, einer der geliebt wird und wiederliebt, und einer, der mitliebt, damit keiner den anderen alleine lieben muss.
Dieser dreifaltige Gott offenbart seine Liebe dem Menschen. Er nimmt zu uns Beziehung auf. Aber in dieser Beziehung ist Gott nicht einfach nur unser Gegenüber. Vielmehr will er uns in die Beziehung der Liebe von Vater, Sohn und Heiligem Geist einbeziehen.
Es gibt unendlich viele Weisen, diese Einbeziehung zu beschreiben. Paulus tut das hier folgenermaßen: Alles, was wir sind und haben, kommt vom Vater und geht zum Vater, der der Ursprung, der Schöpfer und das Ziel von allem ist. Das offenbart der Heilige Geist unserem Geist. Er betet mit uns und in uns und lässt uns zum unsichtbaren, unbegreiflichen Gott „Abba – Vater“ sagen. Das können wir, weil Gott der Sohn den unendlichen Abstand zwischen Gott und unserer Gottferne überwunden hat. In Jesus von Nazareth wird er einer von uns, damit wir von ihm, dem Sohn, lernen, dass wir Töchter und Söhne Gottes sind.
Wir sind Erben Gottes und „Miterben“ Christi, sagt Paulus. Mit ihm empfangen wir alles von Gott dem Vater: uns selbst, die Welt, das Leben mit Gott. Ja, man kann sogar sagen: Wir erben das Leben und die Lebensform Gottes in der Welt: die Weise, wie Gott die Menschen und die Welt sieht und liebt, wie er sich an ihr freut und an ihr leidet, und wie er sie nach Hause bringt in das Fest der dreifaltigen Liebe.
Ich bin dann doch nicht Erbe meines Vaters geworden, sondern einer meiner Brüder. Es ging bei uns friedlich zu. In der Komplet vom Donnerstag heißt es: „Auf schönem Land fiel mir mein Erbteil zu, ja mein Erbe gefällt mir gut.“ (Ps 16,6) Früher dachte ich dabei immer an mein Elternhaus. Heute denke ich an jenes Erbe, das Gott uns mit Christus schenkt – uns miteinander und uns für die Welt, nach der Gott sich sehnt und die er zur Erbin machen will.