09.06.2024 2 Kor 4,13-5,1
Wenn ich erschöpft bin, kann das sehr unterschiedliche Gründe haben. Sehr vereinfacht gesagt, zum Beispiel die vier folgenden: Entweder ich mache das Falsche. Oder ich mache das Richtige, aber ich mache es falsch. Oder ich mache das Richtige richtig, aber zu viel davon. Oder ich mache das Richtige richtig und im rechten Maß, aber sorge nicht für die weiteren Bedingungen, um halbwegs im Lot zu bleiben.
Die christliche Spiritualität hält viele Hilfen bereit, um diese vier Fragen (Was? Wie? Wie viel? Was noch?) angemessen zu beantworten: die Weisheit der Bibel und der Überlieferung, die Kunst der Unterscheidung und Entscheidung, eine Gemeinschaft, heilswirksame Zeichen und ein Leben aus dem Gebet.
Aber der christliche Glaube ist kein Selbstoptimierungsprogramm. Auch wenn es manchmal so klingt. Zum Beispiel, wenn Paulus der Gemeinde in Korinth schreibt „Darum werden wir nicht müde; wenn auch unser äußerer Mensch aufgerieben wird, der innere wird Tag für Tag erneuert.“ Nur nicht müde werden. Das ist was für Selbstoptimierer.
Aber im Glauben der Christen geht es nicht um Selbstoptimierung, sondern um Erlösung. Um die Erlösung des Menschen von der versklavenden Entfremdung von seinem göttlichen Ursprung, von der Verstrickung in Schuld und allen ihren lebensfeindlichen Folgen. Und das, indem wir Anteil am Leben Gottes bekommen: Gott nimmt als Mensch teil an unserem menschlichen Leben, damit wir Menschen schon auf Erden am göttlichen Leben teilnehmen.
Für Paulus besteht diese Teilnahme am göttlichen Leben in der Nachfolge Christi. Er lebt und arbeitet, denkt und redet aus der Verbundenheit mit Jesus Christus. Er baut Gemeinden auf und erzählt von ihm. Er führt Streitgespräche und nimmt Missverständnisse, Beleidigungen, Anfeindungen und Verfolgung in Kauf. Er wird bedrängt und bangt, wird verfolgt und unterdrückt – und er spürt, dass er so am Leiden und Sterben Christi teilnimmt.
Aber unser Eifer im Dienst erlahmt nicht; wir werden nicht müde, schreibt Paulus (2 Kor 4,1.16). Obwohl er die Grenzen seiner natürlichen Kräfte und seine Schwachheit sehr gut kannte. Es geht hier nicht um Erholung, sondern darum, woher und woraufhin er lebt.
„Wenn auch unser äußerer Mensch aufgerieben wird, der innere wird Tag für Tag erneuert.“ Die Unterscheidung von innerem und äußerem Menschen übernimmt Paulus aus der griechischen Philosophie. Die hatte die Tendenz, den Menschen dualistisch aufzuteilen: in sein inneres, unsichtbares, ewiges Wesen und seine äußere, sichtbare und vergängliche Hülle.
Für Paulus jedoch ist der Mensch eine Einheit verschiedener Dimensionen: Leib und Seele, außen und innen, sichtbar und unsichtbar, vergänglich und ewig. Gott nimmt in Jesus den ganzen Menschen an.
Und nun beschreibt Paulus eine gegenläufige Entwicklung: Der äußere Mensch wird aufgerieben. Durch Arbeit und Einsatz, Kampf und Mühe. Der innere Mensch dagegen wird von Tag zu Tag erneuert, wächst in der Verbundenheit mit Gott, im Geführtwerden vom Heiligen Geist, in der Freundschaft mit Christus und der Weite und Weisheit seines Herzens.
Ich habe das bei Menschen erlebt. Zum Beispiel bei einem Priester, dessen Freund ich seine letzten zehn Jahre sein durfte, bevor er fast hundertjährig starb. Während sein Radius, seine Beweglichkeit und sein Gehör abnahmen, wurde er innerlich immer weiser und weiter, kindlicher und neugieriger – über seinen absehbaren Tod hinaus.
Paulus macht nicht die gegenwärtige Not kleiner. Aber er ahnt, dass sie eingeholt, überstrahlt und erlöst wird von jenem Unvorstellbaren, das von Gott kommt, das in unserem Inneren bereits begonnen hat und das er „Herrlichkeit“ nennt.
Ich möchte lernen, das Richtige richtig und im rechten Maß zu tun und aus den Quellen zu leben, die mir der Glauben erschließt. Und ich möchte ein innerlicher und betender Mensch werden, der mutig gestaltet und liebt.
Und wenn ich die Herrlichkeit ahne, werde ich auch meine unvermeidliche Erschöpfung und meine Vergänglichkeit zu nehmen wissen.
Fra’ Georg Lengerke
BetDenkzettel