21.09.2020
Als ich vor Jahren am Fest des Apostels Matthäus in der Heiligen Messe das Evangelium gerade gelesen, das Buch verehrt und auf den Ambo zurückgelegt hatte, sah ich, dass mein damals vielleicht zehnjähriger Neffe mit seiner Mutter flüsterte. Sie sagte ihm, er solle sich mit seiner Frage nach der Messe an mich wenden: „Onkel Georg, warum ruft Jesus die Sünder und nicht die Gerechten?“, fragt er mich später vor der Sakristei.
„Tja, was meinst Du?”, frage ich ihn, um etwas Zeit zu gewinnen. Er denkt kurz nach.
„Vielleicht, weil die Gerechten ja schon bei ihm sind und die Sünder nicht?“ Hätten wir es dabei belassen, wäre es ein kurzes Gespräch gewesen. Also frage ich zurück: „Und, meinst Du, dass es viele gibt, die so gerecht sind, dass sie von Jesus gar nicht mehr gerufen werden müssen?“ „Nee“, meint er, und grinst verschmitzt, „irgendwann muss jeder gerufen werden.“
Einige Jahre später spricht mich an genau derselben Stelle vor der Sakristei eine Frau an. „Also ich kenne einige, die gerade in der Messe waren, für die das sehr, sehr wichtig war, was Sie heute gesagt haben!“ Da fällt mir das erste Gespräch wieder ein und dass es eben doch Menschen gibt, die sich für so gerecht halten, dass sie meinen, das Wort Jesu ginge vor allem die Anderen an.
Caravaggio stellt auf dem Bild der Berufung des Matthäus (in der Kirche San Luigi dei Francesi in Rom) den Moment dar, in dem Matthäus sich fragt, ob der Ruf Jesu eigentlich ihm gilt. Er zeigt mit dem Finger auf sich selbst, und das Gesicht mit den weit offenen Augen scheint zu fragen: Meinst Du mich?
Es muss sein ganzes Leben geprägt haben, von diesem Wort unbegreiflicherweise gemeint zu sein: „Folge mir nach!“
Fra’ Georg Lengerke
BetDenkzettel