Allen alles recht machen? 1 Kor 9, 16–19.22–23

„Allen bin ich alles geworden“ (1 Kor 9,22) schreibt Paulus nach Korinth. Entsprechend disponierte Leser könnten daraufhin meinen, sie müssten allen alles recht machen, durchgehen lassen oder sogar gutheißen und allen in allem zu Willen sein. So geht ihnen ihr inneres Helferlein fröhlich voran in die sichere Erschöpfungsdepression.

Zweierlei hilft mir heute, das Wort des Paulus besser zu verstehen:

Das eine ist der frühmorgendliche Abschied Jesu in die Einsamkeit des Gebets. Und das obwohl jeder in Kafarnaum etwas von ihm wollte und ihn zu brauchen meinte. „Alle suchen dich!“ (Mk 1,37) sagen ihm die nachsetzenden Jünger. Aber Jesus wird den Menschen nur dann gerecht, wenn er aus der betenden Vertrautheit mit dem Vater zu ihnen – und zur rechten Zeit auch weiter geht, auch wenn nicht alle Wünsche erfüllt sind.

Den anderen Hinweis finde ich in dem seltsamen Wort vom „Zwang“ des hl. Paulus, das Evangelium zu verkünden. Sein ganzes Leben muss ja von der grundstürzenden Kraft der spät gefundenen Gemeinschaft mit Christus durch und durch geprägt gewesen sein. So konnte er gar nicht anders, als schon mit seiner Lebensform, seiner Botschaft und seiner Weise, den Menschen zu begegnen, das Evangelium Christi zu verkünden.

„Allen alles werden“ heißt dann für mich, mich mit Christus für den Einzelnen vor mir so zu interessieren, als gäbe es nur ihn. Und zwar auch dann, wenn er mir religiös, gesellschaftlich oder politisch fremd ist. Es heißt, an seinem Leben Anteil zu nehmen, indem ich zu verstehen suche, woher er kommt und wie er so geworden ist, wie er ist. Es heißt schließlich, die Liebe Gottes zu ihm zu sehen, sie mitzuvollziehen – und ihn für diese Liebe zu gewinnen.

Fra’ Georg Lengerke

Schott Tagesliturgie