23.10.2022
„Gott, ich danke dir, dass ich nicht wie die anderen Menschen bin,“ sagt der Pharisäer im Gleichnis (Lk 18,11). „Die anderen Menschen“, das sind Räuber, Betrüger, Ehebrecher
oder auch „dieser Zöllner dort“, der ganz hinten im Tempel vor sich auf den Boden schaut.
Es ist das eine, dankbar dafür zu sein, wie ich bin. Es ist etwas anderes, dankbar dafür zu sein, wie ich nichtbin.
Das Problem mit dem Pharisäer ist nicht, dass er sich für anders hält als die anderen, sondern, dass er sich für besser hält.
Das Problem ist nicht, dass er kein Sünder sein will, sondern, dass er meint, keiner zu sein.
Das Problem ist nicht, dass er fromm ist und betet, sondern, dass er „bei sich“ betet und zu sich selbst, letztlich sich selbst anbetet und mit Gott verwechselt
Es kann ja durchaus richtig sein, nicht so sein zu wollen wie die anderen: Eine der größten Versuchungen des Volkes Gottes von den frühen Tagen der biblischen Offenbarung bis in die Kirche unserer Tage ist die, so sein zu wollen „wie alle anderen Völker“ (1Sam 8,20). Der Apostel Paulus mahnt die Christen, „nicht wie die anderen“ zu sein, „die keine Hoffnung haben“ (1 Thess 4,13).
Heute würde er uns vermutlich daran erinnern, dass wir nicht so sein oder werden sollen, wie jene, die sich – von ihren unverstandenen und übermächtigen Gefühlen hingerissen – von totalitären Ideen und ihren Denkern ideologisch verführen lassen.
Aber es gibt auch ein verzweifeltes, törichtes „Anders-sein-Wollen“ als alle anderen. Und das ist leider nicht auf die Pubertät beschränkt. Es gibt Menschen, die sind so sehr mit ihrer eigenen Identität beschäftigt, dass andere Menschen in ihrer Wahrnehmung nur noch als Hilfen oder Hindernisse bei ihrer Identitätsfindung vorkommen.
Viele meinen genau zu wissen, wie sie nicht sind, wissen aber keineswegs, wie sie sind. Wer den ganzen Tag mit seinem Anders-Sein beschäftigt ist, der verpasst das Sein, das Miteinander-Sein und das Füreinander-Sein.
Ob als Stadtbewohner oder Wohnungsnachbar, als Kunde oder Besucher, als Freund oder Verwandter, als Seelsorger oder als Priester: Je näher ich Menschen an mich heranlasse, umso häufiger und unausweichlicher werde ich daran erinnert, dass ich mitten unter Sündern lebe – und einer von ihnen bin.
Unter Heuchlern und Lügnern,
unter Dieben und Betrügern,
unter Ehebrechern und Pornosüchtigen,
unter Selbstmitleidern und Mitläufern,
unter Zeittotschlägern und Lebensmüden.
Und ich frage mich täglich, wie das in diesem Dschungel denn bitte gehen soll mit der Heiligkeit Gottes, zu der wir berufen sind.
Vielleicht so:
Guter Gott,
vor vielem im Leben der anderen
bin ich bewahrt worden.
Ich danke Dir.
Ansonsten bin ich wie sie – nur anders.
DU wirst ein Mensch wie ich – nur anders.
Damit ich werde wie DU – nur anders.
Gott, sei uns Sündern gnädig.
Amen.
Fra‘ Georg Lengerke
BetDenkzettel