Und wem gehört Ihr? 1 Kor 3,16-23

„All dies gehört Mia“, pflegte der alte Herr in Westfalen zu sagen, wenn er über das stattliche Klostergut schritt. Das klang, als wäre es seins. In Wirklichkeit hatte es seine Frau Mia geerbt, die diesen Kalauer regelmäßig geduldig ertrug.

„Alles gehört euch“, schreibt Paulus den Christen in Korinth, „Paulus, Apóllos, Kephas, Welt, Leben, Tod, Gegenwart und Zukunft: Alles gehört euch.“ Das ist zuerst gegen die Spaltungen in der Gemeinde gemeint, in der man sagt: „Ich gehöre zu Paulus – ich zu Apollos – ich zu Kephas“ (1 Kor 1,12). Paulus, Apollos und Kephas sind für Euch da, nicht Ihr für sie, will Paulus sagen.

Aber es geht hier nicht nur um Parteiungen, sondern um unser Verhältnis zur Welt überhaupt. Alles soll Euch zu Diensten sein. Oder wie Ignatius von Loyola sagt: Alles soll uns helfen, miteinander zu Gott zu kommen. Alles sollen wir wählen oder ablehnen, je nachdem, ob es uns dazu hilft oder daran hindert.

Als Kinder haben wir Geschwister um „meins“ und „deins“ gekämpft. Später dann habe ich mich gefragt: „Gehören die Dinge eigentlich mir? Oder gehöre ich den Dingen?“ Besonders in der Zeit der Klärung meiner Berufung war das eine entscheidende Frage: Besitze ich wirklich, was mir gehört? Oder gehöre ich eigentlich längst dem und werde von dem besessen, wovon ich behaupte, dass es mir gehört?

Irgendwann ging es dann nicht mehr bloß um Dinge, sondern auch um Gefühle und Launen, um Leidenschaften und Anhänglichkeiten, um Menschen und Meinungen. Gehe ich mit ihnen um? Verstehe ich sie? Verhalte ich mich zu ihnen? Oder agiere ich nur noch innerhalb ihrer, ohne mir ihrer bewusst zu sein? Helfen sie mir, oder haben sie mich?

In unserer Zeit hat sich das Problem noch verschärft, weil die Technik immer tiefer in unsere Lebensvollzüge hineinwirkt. Das ist gut, solange sie uns gehört und uns hilft. Das wird tödlich, sobald wir ihr gehören und sie uns hat. Und das geschieht dort, wo die Grenzen zwischen Mensch und Maschine, zwischen jemand und etwas, zwischen menschlicher und künstlicher Intelligenz immer mehr verwischt und anschließend verschoben werden.

Auch hier sind die Grenzen fließend, aber es gibt sie. Ich will mir helfen lassen. Aber ich bin nicht bereit, mir die Bewegung, den geographischen oder moralischen Orientierungssinn, das Ringen um Entscheidungen, die Sprachfähigkeit und irgendwann das Denken abgewöhnen und nehmen zu lassen – so anstrengend und mühsam all das sein mag. Die moderne Sklaverei ist bequem und gemütlich. Die Freiheit ist anstrengend und mühsam.

Donnerstagmorgen im Zug war das Telefon eine Weile im Flugmodus. Anschließend fand ich diese Nachricht von einer Freundin: „Ich freue mich immer, wenn Dein Handy aus ist […] Mir scheint die richtige Handynutzung zu den Grundlagen des religiösen Lebens zu gehören.“

„Ihr aber gehört Christus“, fährt Paulus fort. Es ist also nicht so, dass wir niemandem gehörten. Aber Christus ist nicht eine Macht unter vielen. Er ist die Macht, die uns gemacht hat und uns unbedingt liebt, von der her wir sind, wer wir in Wirklichkeit sind – und wer zu sein wir ein Leben lang suchen und verwirklichen sollen. Er ist die Macht, von der ich mich empfange, die mich mir gönnt und die allein wirkliche Freiheit schenkt. Freiheit von dem, was das Leben und die Liebe hindert, und Freiheit für das, was Leben und Liebe eigentlich sind.

Wer nicht den Dingen der Welt, sondern Christus gehört, der empfängt sich selbst und gehört sich selbst; der weiß, dass alles ihm zu Diensten ist, und lernt, in Freiheit zu dienen, wo Christus dient; der kann im Ernst sagen, worüber der Ehemann von Mia in Westfalen witzelte: All dies gehört mir.

Fra’ Georg Lengerke