BDZ vom 8. Dezember 2024
„Ich möchte Bauarbeiter werden! Da muss man nicht schreiben können“, sagt der Erstklässler, während er seufzend vor seinen Hausaufgaben sitzt. Auf die Einwände des Vaters, auch der Bauarbeiter müsse lesen und berechnen können, was wie zu tun sei, erwidert der Junge: „Ich bin doch nicht der Bauchef, ich fahr doch nur `nen Bagger!“ Das kurze Video war in den entsprechenden Netzwerken schnell rum. Ich erinnere mich an meine Vorstellung als...
„Ich möchte Bauarbeiter werden! Da muss man nicht schreiben können“, sagt der Erstklässler, während er seufzend vor seinen Hausaufgaben sitzt. Auf die Einwände des Vaters, auch der Bauarbeiter müsse lesen und berechnen können, was wie zu tun sei, erwidert der Junge: „Ich bin doch nicht der Bauchef, ich fahr doch nur `nen Bagger!“ Das kurze Video war in den entsprechenden Netzwerken schnell rum.
Ich erinnere mich an meine Vorstellung als Kind, dass der Inbegriff eines mächtigen Menschen der Baggerfahrer sein muss. Er ist der, der die Erde bewegt, der ganze Landschaften verändern, der einreißen und bauen, Berge abtragen und Täler füllen kann.
Darum geht es im heutigen Evangelium: „Jede Schlucht soll aufgefüllt und jeder Berg und Hügel abgetragen werden. Was krumm ist, soll gerade, was uneben ist, soll zum ebenen Weg werden.“
Johannes der Täufer zitiert in der Wüste dieses Wort aus dem Propheten Jesaja. Wie jemand beim Bau einer Straße Täler füllt und Berge abträgt, so sollen die, die den Täufer hören, Gott und seinem Gesandten „den Weg bereiten“ und die Hindernisse wegräumen, die sein Kommen hindern.
Was mögen das für Hindernisse sein? Was hindert mich daran, erreichbar zu werden für jene Macht, jenen Urgrund des Seins, jene schöpferischen Kraft, jene unbedingt treue Liebe, die die gläubigen Menschen Gott nennen?
Kann es sein, dass ich Angst habe, nach Gott zu fragen, enttäuscht oder für kindisch gehalten zu werden? Oder ist meine Vorstellung von einem geistlich geprägten Leben mit der Zeit vielleicht umständlich oder kompliziert, abgehoben oder lebensfremd und steil geworden?
Vielleicht hilft es, wenn wir zunächst ein paar Dinge unterscheiden: Es geht an dieser Stelle nicht um unser Kommen zu ihm, sondern um sein Kommen zu uns. Nicht um seine Erreichbarkeit für uns, sondern unsere Erreichbarkeit für ihn. Und darum, die Hindernisse zu beseitigen, die diesem Kommen und dieser Begegnung im Wege stehen.
Wie im zwischenmenschlichen Bereich gibt es verschiedene Hindernisse. Es gibt Hindernisse bei mir, die ich ändern kann (z.B. eine bestimmte Haltung oder Gewohnheit oder die Umsetzung einer bestimmten Erkenntnis), und es gibt solche die ich nicht ändern kann.
Täglich muss ich mich entscheiden, mich der hinderlichen Schluchten und Berge in meinem Leben zu stellen. Und täglich versuche ich zu unterscheiden, welche beseitigt, welche überwunden, welche umgangen werden können, und mit welchen ich auch einfach auskommen muss.
Was braucht es für eine solche Unterscheidung und Entscheidung?
In der Lesung des Apostels Paulus an die Christen in Philippi schreibt er ihnen, er bete darum, „dass eure Liebe immer noch reicher an Einsicht und jedem Verständnis wird, damit ihr beurteilen könnt, worauf es ankommt.“ (Phil 1,9-10)
Paulus betet hier nicht darum, dass die Liebe der Philipper leidenschaftlicher, empfindsamer, wirksamer, glaubhafter oder ähnliches werde (so sehr auch das sinnvolle Anliegen wären). Es geht ihm auch nicht um kalte Intelligenz oder berechnende Abwägung. Paulus betet darum, dass ihre Liebe reicher an Einsicht und Verständnis wird. Er bittet um eine kluge Liebe, die „beurteilen kann, worauf es ankommt“, und das liebt, worum es geht.
Und worum geht es? Um das Kommen Gottes, die Gemeinschaft mit ihm, um die Liebe zu ihm und mit ihm zu den Menschen.
Ich bete in diesem Advent um eine kluge Liebe. Und um die Wiedergewinnung der Freiheit, meinen Lebensraum so zu gestalten und umzuräumen, dass ich erreichbar werde für Gott und das, was er mir in allen Dingen sagen, tun und sein will.
Vielleicht hat das ein wenig von einer geistlichen und kindlichen Bauarbeit, die von einer klugen Liebe gelenkt wird. Insofern kann ich dann mit unserem kleinen Freund auch sagen: Ich möchte Bauarbeiter werden. Fra’ Georg Lengerke
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