Die Mitfahrverlegenheit Apg 8,26-40

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Die Begegnung des Philippus und des äthiopischen Hofbeamten ist eine „Mitfahrgelegenheit“ – auch für den Beamten. Denn der hat Fragen.

Die apostolische „Mitfahrgelegenheit“ ist für viele in der Kirche zu einer „Mitfahrverlegenheit“ geworden. Die einen finden, die Kirche müsse sich mit den Menschen auf den Weg begeben, ohne nach Ziel und Richtung zu fragen oder gar über sie Auskunft geben zu wollen. Die anderen finden, die Leute sollten sich am besten einfach in den Wagen der Kirche setzen, wenn sie sicher sein wollten, ans Ziel des Lebens zu kommen. Diese werfen jenen Mitläufertum vor. Jene klagen diese der Vereinnahmung an.

Philippus tut nichts von all dem. Er stellt die Frage, die den Kämmerer bereits umtreibt: „Verstehst du, was du liest?“ Der Gefragte ist ein „Gottesfürchtiger“, ein Heide, der – ohne zum Volk Gottes zu gehören – dennoch nach dem Gott Israels fragt: Von wem redet der Prophet? Von wem redet die Geschichte Israels? Von wem redet mein Leben?

Philippus fährt nicht mit um des Mitfahrens willen. Sondern um nach der Frage des Anderen zu fragen – und um die Schrift und das Leben als Offenbarung Gottes deuten zu helfen.

Die Gelegenheit der Wasserstelle wird für den Kämmerer zum Anlass, und er bittet um die Taufe. Hier wird die „Mitfahrgelegenheit“ zur „Mitabstiegsgelegenheit“ für Philippus. Hinab ins Wasser, in die Gemeinschaft mit Christus zu den Menschen hin. Wer nur mitfahren, aber nicht mitabsteigen will, muss sich nicht wundern, wenn er zum Mitläufer wird.

Mein Vater hat mich im Aufbruch einmal auf die alte Lutherübersetzung von Vers 39 hingewiesen: Der Kämmerer „zog aber seine Straße fröhlich.“
Fra‘ Georg Lengerke

Schott Tagesliturgie

Vom Ein- und Ausatmen der Kirche Apg 8,1b-8

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Ich bin in der Diaspora aufgewachsen. Für uns Kinder hieß das: wenige, vor allem ältere Katholiken unter vielen anderen Menschen. Es war nicht viel los. Irgendwie war schon damals etwas die Puste raus.

„Diaspora“ gab es schon in der frühen Kirche. Die Kirche wird verfolgt und soll zerstört werden. Die Gläubigen zerstreuen sich (diesparesan) in Judäa und Samarien. Diese Zerstreuung (Diaspora) ist leidvoll. Sie bedeutet Verlust der Lebensgrundlagen und unsicheres Leben in der Fremde.

Von den Zerstreuten wird jedoch gesagt, sie „zogen umher und verkündeten das Wort“. Diaspora bedeutet eigentlich die Ausstreuung der „Sporen“, also der Samenkörner, die auf die Erde fallen, um dort Wurzeln zu schlagen, zu keimen, zu wachsen und Frucht zu bringen. Wo die Auseinandergetriebenen Träger der Botschaft sind, wird die Aussaat zur Sendung. Wo sie nur überleben wollen, ist die Zerstreuung das Ende der Kirche.

Damit Menschen in der Diaspora Träger der Botschaft sind, muss zur Sendung die Sammlung kommen. So wie der Körper das Ein- und Ausatmen braucht.

Wo die Kirche gesammelt wird, wird sie zu jener Gemeinschaft aufgebaut, die den auferstandenen Herrn feiert und darstellt. Wo sie gesendet und ausgestreut wird unter die Leute, wird sein Wort und Wirken für die Menschen erkennbar und erfahrbar. Es braucht beides – wie beim Atmen. Wer nur ausatmet, dem geht die Puste aus.

Du bist
ein wenig kurzatmig geworden,
liebe Mutter.

Wo Du einatmest,
finden wir einander
und Sein Wort.

Wo Du ausatmest,
findet Sein Wort
mit uns die Menschen.

Immer schön weiteratmen,
tief ein- und ausatmen.
Solange Du atmest, Mutter,
lebt die Welt.
Fra‘ Georg Lengerke

Schott Tagesliturgie

Der seelenverwandte Feind Apg 7,51-8,1a

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Während des Martyriums des hl. Stephanus, des ersten Blutzeugen der Kirche, betritt – zunächst als Randfigur – ein geradezu fanatischer Christenverfolger die Bühne. Später sollte aus ihm einer der streitbarsten Verkündiger des Evangeliums werden: Saulus, später Paulus aus Tarsus.

Wir wissen nicht, welche Wirkung die Begegnung der beiden auf Saulus hatte. Beide waren jung, beide gebildet und begabt, beide begeistert und für Gott entbrannt – und beide auf das Erbittertste gegeneinander gestellt.

Welche Spuren mögen die letzten Worte des Sterbenden – die Schau des erhöhten Christus und das Gebet für seine Mörder – in Paulus hinterlassen haben? Noch viel später wird er sich an diese Szene erinnern (Apg 22,20)

Da behauptet einer, in einer Beziehung zu Jesus von Nazareth zu stehen, die bis vor das Angesicht Gottes reicht. Da erlebt einer seine letzten Minuten schon im Schauen und Angeschautwerden Gottes. Und da bittet einer sterbend darum, dass das auch mir geschenkt wird, obwohl mich der Hass gegen ihn schier verzehrt.

„Saulus war mit dem Mord einverstanden“, heißt es zum Schluss. Das war keine emotionale Aufwallung. Das war eine Haltung. Das Zeugnis des seelenverwandten Feindes sollte noch eine Inkubationszeit brauchen, bis Paulus selbst dem Auferstandenen begegnet und ihm glaubt.

Fulgentius von Ruspe (ca. 462-533) schreibt über Stephanus: „In der Kraft der Liebe besiegte er den grausam wütenden Saulus, und der ihn auf Erden verfolgte, durfte im Himmel sein Freund werden. […] Getötet durch die Steine des Paulus schritt Stephanus voraus, Paulus folgte. Sein Helfer war das Gebet des Stephanus.“
Fra‘ Georg Lengerke

Schott Tagesliturgie

Springen wir jetzt Joh 21,1–14

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Es ist, als wollten Petrus und die anderen nach der Auferstehung Jesu ihr gewohntes Leben wieder aufnehmen. Sie gehen fischen – und fangen nichts. Am Ufer der Fremde. Auf sein Wort ist das Netz voll. Wieder ist Johannes der schnellere: „Es ist der Herr!“

Was mag in den folgenden Sekunden in Petrus vorgegangen sein? Irgendwo hier hatte Jesus ihn am Anfang ja schon einmal das Netz auswerfen lassen. Die Netze waren voll und Petrus folgte ihm (Lk 5). Und irgendwo hier war er auf dem Wasser Jesus entgegengegangen, hatte den Mut verloren und war gesunken (Mt 14,30). Und sicher brannte ihm noch der letzte Blick Jesu in der Seele, nachdem Petrus geschworen hatte, ihn nicht zu kennen (Lk 22,61).

Jetzt noch einmal neu mit ihm beginnen können. Jetzt nichts mehr besser wissen. Jetzt mein ganzes gebrochenes Leben geben können, ohne mir was vorzumachen… Und Petrus springt.

Ich habe über diese Stelle meine erste Predigt als Diakon gehalten. Und seitdem kommt es mir vor, als wäre dieser Sprung der Akt des Glaubens schlechthin. Glauben heißt springen. Dem Anderen glauben, dass dort der göttliche Freund wartet. Ohne sicher sein zu können, dass er es ist. Ohne mich noch länger vorbereiten zu können. Ohne zu wissen, ob das andere Ufer nicht letztlich eine Täuschung ist.

Glauben heißt nicht, im sicheren Boot den Herrn am jenseitigen Ufer betrachten. Glauben heißt, mich ihm Tag für Tag entgegenwerfen in die Wasser des Lebens. Die sind gefährlich und wunderbar, und nicht viele trauen sich hinein. Es gibt keine Garantie für Schmerzfreiheit oder Gesundheit oder fürs Überleben. Aber dort drüben wartet der Herr, um mit uns zu leben. Springen wir jetzt.
Fra‘ Georg Lengerke

Schott Tagesliturgie

Die gute Nachricht Mk 16,15-20

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Eigentlich ist bei der heutigen Lesung das Markusevangelium schon vorbei. Bei den ältesten Textzeugen fehlt sie. Am ursprünglichen Schluss – vor der heutigen Lesung – wäre die Botschaft fast an ein Ende gekommen. Die Zeugen des leeren Grabes „flohen, denn Schrecken und Entsetzen hatte sie gepackt. Und sie sagten niemandem etwas davon, denn sie fürchteten sich.“ (Mk 16,8)

Markus, dessen Fest die Kirche heute feiert, verfasst das vermutlich älteste der Evangelien im Stil einer antiken Herrscherbiographie. Es ist jedoch die Geschichte eines unbekannten jungen Mannes aus einer Unruheprovinz, der am Ende als Aufrührer gekreuzigt wird. Als erster nennt Markus diese Geschichte „Evangelium“. „Eu-angelia“, „gute Nachrichten“, waren in dieser Zeit in der Regel Botschaften über weltpolitisch wichtige Ereignisse. So nennt Flavius Josephus z.B. die Nachrichten von der Ernennung Vespasians zum Kaiser „Evangelien“.

Vielleicht ahnen wir, was für ein Anspruch mit der Einführung des Begriffs „Evangelium“ für das Leben und die Botschaft Jesu einhergeht. Sie ist die „gute Nachricht“ schlechthin. Sie ist nicht harmlos. Sie erschrickt ihre ersten Zeugen und lässt sie verstummen. Doch sucht und findet und befähigt Gottes Geist jene, die sein Evangelium weitersagen.

Die gute Nachricht
ist Deine Geschichte mit uns.

Die gute Nachricht ist,
dass sie weitererzählt wird
von Menschen,
deren Gemüter Du bewegst,
deren Schuld Du vergibst,
deren Herzen Du erfüllst,
deren Denken Du inspirierst,
deren Blick Du erhellst
deren Verstehen Du erleuchtest,
und deren Taten auch die Deinen sind.

Die gute Nachricht ist,
dass Du uns meinst
und alle, die Du mit uns lieben willst.
Amen.
Fra‘ Georg Lengerke

Schott Tagesliturgie