Lasst Euch anhauchen! Joh 20,19-23

Neulich scherzte jemand: „Früher haben wir Kuchen gegessen, auf dem das Geburtstagskind die Kerzen ausgepustet hat. Wilde Zeiten!“

Mir war schon früher der Hauch fremder Menschen nicht unbedingt angenehm. Je fremder umso unangenehmer. Auch als der Atem anderer Menschen in der Regel noch ein harmlos miefiges Lüftchen war. Aber die Zeiten haben sich geändert.

Kaum einer denkt noch daran, dass die Atemspende des einen das Leben eines anderen retten kann. Vor allem kann der Atem eines Menschen tödlich sein. Wie in der Klimadiskussion wird gesagt: Der Mensch ist nicht nur in Gefahr. Er ist die Gefahr. Der Lebensatem des Einen wird zur Todesgefahr für den Anderen.

An Pfingsten hören wir, dass Jesus die Seinen als Zeichen der Mitteilung des Geistes ausgerechnet anhaucht. Wie der Schöpfer den Menschen verlebendigt, indem er ihm den Lebensatem einhaucht, so verlebendigt der Mensch Gewordene die schuldig Gewordenen durch den Geist und die Gabe der Vergebung, indem er sie anhaucht. Die verheißene Zeit des Aufatmens hat begonnen (Apg 3,20).

Sich anhauchen zu lassen hat noch nie so viel Mut gebraucht, wie jetzt. Und das gilt nicht nur für den Atem eines Menschen. Der Heilige Geist schenkt nicht nur Mut. Es braucht auch Mut, ihn sich schenken zu lassen. Er führt uns ins Neue, wo wir die Rechnungen offen lassen und aufatmen wie nie.

Gib mir Mut, o Gott,
mich anhauchen zu lassen
mit Deinem Geist,
der die Gabe der Vergebung
und des Vergebenkönnens
ist.

Lass Zeiten des Aufatmens kommen,
Herr,
und erleuchte unseren Geist,
damit wir
Deinen Lebenshauch
nicht für unseren Todeshauch
und unseren Todeshauch
nicht für Deinen Lebenshauch
halten.
Amen

Fra’ Georg Lengerke

Schott Tagesliturgie

Im Hausarrest ungehindert Apg 28,16-20.30-31

„Ungehindert“. Mit diesem Wort endet die Apostelgeschichte. Und das trotz hinderlicher Bedingungen. Paulus ist in Rom und steht unter Hausarrest (custodia libera). Andererseits kann er Gäste empfangen und mit ihnen sprechen.

„Ungehindert“ meint nicht, dass die äußeren Umstände oder Bedingungen ideal gewesen wären. Paulus steht unter leichtem Arrest. Er wartet auf seinen Prozess vor dem Kaiser. Aber abgesehen davon kann er ungehindert das Evangelium verkünden, indem er „von morgens bis abends das Reich Gottes „erklärte und bezeugte“ (V. 23)

„Ungehindert“ bedeutet erstens, dass ihm das Wort nicht verboten wurde. Er kann frei reden – ohne Zensur, ohne Denunziation, ohne Repressalien.

„Ungehindert“ wird zweitens auch im Sinne von „uneingeschränkt“ verstanden. Es geht nicht um Zweitwichtiges, nicht um Spezialfragen oder Sonderprobleme. Es geht um das Große und Ganze. Um die existentiellen Fragen, von denen gestern die Rede war.

„Ungehindert“ heißt schließlich drittens, dass Paulus sich nicht selbst im Weg stand. Er sprach „mit allem Freimut“ und ohne von Eitelkeit, Ängstlichkeit oder falschen Rücksichten gesteuert zu werden.

Die Apostelgeschichte endet nüchtern und realistisch. Die Kirche lebt unter den Bedingungen der wirklichen Welt. Aber innerhalb derer ist sie „ungehindert“.

Morgen ist Pfingsten. Wenn wir um die Gegenwart und das Wirken des Heiligen Geistes bitten, dann sollten wir nicht zuerst darum bitten, dass die Welt sich ändere. Sondern darum, dass wir „enthindert“ werden und uns „enthindern“ lassen, damit in der wirklichen Welt die Liebe Gottes aus dem Hausarrest ihren Weg zu den Menschen findet.
Fra’ Georg Lengerke

Schott Tagesliturgie

Streit um elementare Peanuts Apg 25,13-21

Die Anklage gegen Paulus beim römischen Statthalter ist für diesen enttäuschend: Die Streitfragen um „einen gewissen Jesus […], der gestorben ist, von dem Paulus aber behauptet, er lebe“, interessieren ihn nicht.

Für einen römischen Staatsbeamten ist das in Ordnung. Problematisch wird es, wenn Christen Grundfragen des Glaubens für Nebensächlichkeiten halten, andere  Fragen aber für überlebensrelevant. Das sind für die einen Fragen der Sexualmoral für andere sind es die Zulassungsbedingungen zur Ordination, für die einen der gesellschaftliche Einfluss der Kirche, für andere das wirtschaftliche Wachstum der kirchlichen Werke.

„Wollen sie sagen“, wird man in solchen Momenten von notorischen Bewahrern oder Erneuerern oft gefragt, „dass diese ‚anderen Fragen‘ nicht wichtig seien?“ Nein, das will ich nicht sagen.

Ich will sagen, dass die Existenzfrage der Kirche die ist: Wer und wie ist Gott in Christus für uns und wer und wie sind wir mit Christus für Gott? Das scheint mir auch die existentielle (und oft unbeantwortete) Frage der Menschen an die Kirche zu sein.

Mit Menschen, mit denen ich mir einig bin, wer Christus für uns ist, und mit denen zusammen ich zu ihm beten kann, kann ich glaubwürdig, versöhnlich und gelassen streiten und ertragen, dass wir selbst in wichtigen Fragen unterschiedlicher Meinung sind.

Wenn jedoch die Streitfragen um „einen gewissen Jesus […], der gestorben ist, von dem Paulus aber behauptet, er lebe“ uns Christen genauso wenig interessieren wie den Statthalter Festus, dann müssen wir uns auch nicht wundern, wenn die Leute uns Christen auch nur noch wegen unserer Skandale interessant finden.
Fra’ Georg Lengerke

Schott Tagesliturgie

Wegen Hoffnung vor Gericht Apg 22,30; 23,6-11

Hoffnung ist in Deutschland nicht strafbar. Wegen der jedoch ist Paulus angeklagt: „Wegen der Hoffnung und wegen der Auferstehung der Toten stehe ich vor Gericht.“ In Auseinandersetzungen um Glaubensinhalte hatte sich der römische Staat zunächst für unzuständig erklärt. Später jedoch wird ihn die Hoffnung der Christen „brennend“ interessieren: Von welchen Voraussetzungen, auf welchem Fundament und auf welches Ziel hin lebt der Mensch?

Paulus weiß, dass wie er auch ein Teil seiner Ankläger die Auferstehung der Toten erhofft. Es ist gut, nach denen zu suchen, die eine ähnliche Hoffnung haben wie wir. Mit ihnen kann es eine gemeinsame Perspektive geben. Und mitunter läuft im Streit um die Hoffnung die tiefere Bruchlinie gar nicht zwischen Klägern und Angeklagten, sondern mitten durch die Kläger hindurch.

Tiefer wird der „christliche Dissens“ bei der Frage, worauf wir unsere Hoffnung setzen und worauf nicht. Christen setzen ihre Hoffnung nicht auf menschliches Können, dem gegebenenfalls die göttliche Gnade nachhilft. Sie hoffen andersherum auf die Gnade Gottes, mit der der Mensch zusammenwirken darf.

Die christliche Hoffnung wartet auch nicht auf ein ausstehendes glückliches Schicksal. Sie gilt dem, was schon angefangen hat. Sie hofft auf den Auferstandenen, auf sein angebrochenes Reich und die begonnene Erlösung der Welt.

Bis heute schließlich werden Christen angeklagt, dass sie ihre Hoffnung nicht auf den römischen „göttlichen Kaiser“, den „von der Vorsehung gesandten Führer“ oder den allzuständigen Staat setzen, sondern auf die Macht jener Liebe, die im Sterben die Herrschaft des Todes bricht.

Fra’ Georg Lengerke

Schott Tagesliturgie

Gebunden durch den Geist Apg 20,17-27

Worum bittet Ihr, wenn Ihr um den Heiligen Geist bittet? Um Erkenntnis? Und wollt Ihr wirklich das ganze Ausmaß von Leid und Verwirrung in und um Euch sehen? Um Rat? Und seid Ihr wirklich bereit, zu gehen, wohin Euch die Macht Gottes führt? Um Fürsprache? Oder besteht Ihr nicht eigentlich darauf, für Euch selbst zu sprechen? 

Kann es sein, dass die meisten von uns weniger um den Heiligen Geist, als um seine Früchte beten: um „Liebe, Freude, Friede, Langmut, Freundlichkeit, Güte und Treue“ (Gal 5,22)? Und beten wir nicht darum, dass auch die Welt um uns herum so sei? Nun ist sie aber nicht so. Stattdessen ist sie (zumindest auch) geprägt von Hass, Traurigkeit, Krieg, Ungeduld, Garstigkeit, Geiz und Launenhaftigkeit. Und das zeigt sich besonders dort, wo die Liebe Gottes in die Welt kommt und auf die Welt trifft. 

Beim Abschied von den Ältesten von Ephesus spricht Paulus sehr nüchtern vom Heiligen Geist. Paulus wird vom Geist nicht in Freude und Trost geführt, sondern er zieht, „gebunden durch den Geist, nach Jerusalem“. Und was ihm der Geist auf dem Weg immer wieder sagt, ist, „dass Fesseln und Drangsale auf [ihn] warten“. 

Paulus wird vom Heiligen Geist auf einen Weg des Leidens geführt. „Ich will“, sagt Paulus, „mit keinem Wort mein Leben wichtig nehmen.“ Denn Leben oder Gesundheit sind nicht ihr eigener Zweck. Zweck und Ziel sind der Auftrag Jesu, „das Evangelium von der Gnade Gottes zu bezeugen.“ 

Wo diese neue Ordnung hergestellt ist, wo jemand – empfänglich für das Wirken des Hl. Geistes – den Zweck seines Lebens erkennt und erfüllt, dort werden – auch im Leiden – die Früchte des Geistes überreich sein. 

Fra’ Georg Lengerke

Schott Tagesliturgie