Wetter hilft beten Jes 63,16b-17.19b; 64,3-7

Ein warmer, klarer Tag im Frühling. Von unseren Fenstern aus kann man die Alpen sehen. Ich spaziere durch die Stadt, die am Werktagmittag so leer ist wie sonst nur am Sonntagmorgen. Ich finde, dass das Wetter nicht zu unserer Lage passt.

Letzte Woche wieder Spaziergang. Es ist kalt und nebelig. Man sieht nicht weit. Den ganzen Tag will es nicht recht hell werden. Und ich denke: Genauso sieht es in und um uns gerade aus.

„Reiß doch den Himmel auf“, betet der Prophet Jesaja, „und komm herab.“ Nach der Rückkehr aus dem Exil ist für ihn „Himmel“ kein Bild für das selige Ziel des Lebens. Er ist verhangen. Die Sehnsucht geht nach dem Himmel hinter dem Himmel, nach dem Licht, das nicht durch die Wolkendecke dringt, nach der Wirklichkeit und Wirksamkeit Gottes, die fern und verborgen ist.

Friedrich von Spee dichtet mit diesem Vers 1622 ein Lied. Angesichts des Hexenwahns und der Verwüstungen des Dreißigjährigen Krieges betet er: „O Heiland, reiß die Himmel auf, / herab, herab vom Himmel lauf, / reiß ab vom Himmel Tor und Tür, / reiß ab, wo Schloss und Riegel für.“

Da betet einer mal nicht: „Mach, dass wir…“ – so als könnten wir uns selbst retten, wenn wir uns nur genug anstrengten. Spee ruft nach Christus, dem „Trost der ganzen Welt“, dass er uns „hier im Jammertal“ tröste; nach Christus, der Sonne, ohne deren Schein „in Finsternis wir alle sein“; nach Christus, der uns angesichts des ewigen Todes wie Mose „mit starker Hand / vom Elend zu dem Vaterland“ führen soll.

An Weihnachten tut sich der Himmel auf, weil der Ersehnte kommt. Wenn das Herbstwetter Bild unserer Bedrängnis wird, mag es uns adventlich beten lehren: „Reiß doch den Himmel auf, und komm!“

Fra’ Georg Lengerke

Schott Tagesliturgie

Weil Du es bist Mt 25, 31-46

„Er hat in mir immer seine gestorbene Jugendliebe gesehen,“ erzählte mir eine wieder alleinstehende Frau. „Wenn er mich ansah, sah er sie; wenn er mich berührt hat, galt die Zärtlichkeit ihr. Was er auch tat, nie meinte er mich.“

Ähnliches erlebte ich mal in Lourdes: „Warum bist Du so gut zu mir?“ fragte eine alte Dame einen Helfer. Und der antwortete etwas überrumpelt: „Weil ich Jesus in Dir sehe.“ Als ich sie später fragte, warum sie traurig sei, antwortete sie: „Und ich dachte, er meinte mich…!“

Er meinte sie auch. Und er war sehr gut zu ihr, wenn er sie pflegte oder im Wagen schob oder ihr das Essen reichte; obwohl sie eine nicht immer einfache alte Dame war. Und er wollte etwas Schönes über sie und Jesus sagen. Und das ging schief.

Was wäre die richtige Antwort gewesen? Er hätte schlicht sagen können. „Warum ich zu Dir gut bin? Weil Du es bist!“ Die Liebe „kennt kein Warum“, sagt Angelus Silesius.

Oder er hätte sagen können:

Ich will für Dich da sein – und für den, der Dich sieht und lieb hat, und der mich lehrt, Dich so zu sehen, wie er Dich sieht.

Ich will für Dich da sein – und für den, der schon vor mir bei Dir war und noch da sein wird, wenn ich nicht mehr da sein kann.

Ich will für Dich da sein – und für den, der Dein Leben mit Dir lebt, Deine Krankheiten mit Dir trägt und Deinen Tod mit Dir stirbt.

„Das habt Ihr mir getan!“, sagt Christus am Ende zu denen, die für die Notleidenden da waren. Nicht: „Das habt Ihr mir statt ihnengetan!“, und nicht „Das habt Ihr getan, als ob Ihr es mir getan hättet!“ Je mehr wir sie selbst meinen, für die wir mit Christus da sind – umso näher sind wir auch ihm, der sich mit ihnen bis in den Himmel verbunden hat.

Fra’ Georg Lengerke

Schott Tagesliturgie

Die Gaben ausgraben! Mt 25,14-30

Ob Flötenspiel, Mathematik oder soziale Kompetenz. Mach was aus Deinen Begabungen! Darüber wird an diesem Sonntag viel gepredigt werden. Schön. Aber das wussten wir schon. Dafür braucht es das Evangelium nicht.

Das Wort „Talent“ hat Karriere gemacht. Was in der Antike eine Währung war, ist heute ein Synonym für Begabung schlechthin.

Aber im Gleichnis werden Talente und Fähigkeiten unterschieden: Jeder bekam Talente je nach seinen Fähigkeiten.

Die Talente sind also nicht einfach nur natürliche Begabungen. Sie sind das „Vermögen“ Gottes. Und das ist im Doppelsinn des Wortes das, was Gott hat und kann.

Was ist das für ein Vermögen, das uns je nach unserer natürlichen Begabung anvertraut wird?

Folgendes fällt mir ein: das Zeugnis von der Gegenwart Gottes und sein wirksames Wort; Vergebung und Versöhnung und die Macht über die bösen Mächte; ein Dasein für die Leidenden, das von der Liebe Gottes erzählt, und heilige Zeichen, in denen Gottes Liebe über die unsrige hinausgeht.

Diese Gaben Gottes sind Einzelnen und der Kirche als ganzer anvertraut. Warum kommen sie nur so spärlich zum Vorschein?

Haben wir sie für unbedeutend gehalten, sie verachtet und vergessen? Oder haben wir andersherum versucht, ihren Wert zu bewahren, indem wir sie vergraben haben?

Irgendwann werden wir vom Geber der Gaben nach ihnen gefragt. Vorher ist es noch nicht zu spät, sie wieder auszugraben und den Menschen anzubieten.

Wir müssen sie der Gefahr des Spiels der Kräfte aussetzen. Denn sie ins Spiel zu bringen heißt sie aufs Spiel zu setzen. Wo wir das tun und im Kleinen treu bleiben, dort werden die Gaben und die Begabten um ein Vielfaches wachsen – weil Gott es mit uns will.

Fra’ Georg Lengerke

Schott Tagesliturgie

Was wir nicht teilen können Mt 25,1-13

„Wenn’s mal wieder länger dauert…“ warb man in den 90er Jahren für einen Schokoriegel, „schnapp‘ dir ‘n Snickers.“ Auch im Gleichnis von den klugen und den törichten Jungfrauen dauert‘s länger. Als der Bräutigam in der Nacht verspätet kommt, haben die einen Öl, die anderen nicht. Auf die Bitte der Letzteren, ihnen von ihrem Öl abzugeben, sagen die Gefragten, es reiche dann weder für die einen noch für die anderen.

Der Snack ist ein Zeitvertreib für die verlängerte Pause. Das Öl jedoch ist notwendig für die entscheidende Begegnung mit dem Bräutigam. Dann muss es da sein. Es kann nicht geteilt werden, und zum Besorgen ist es zu spät.

Was bedeutet dieses Öl, für das die einen gesorgt und das die anderen vergessen hatten? Im Gleichnis geht es um die Begegnung mit Gott, der zu den Menschen kommt, damit die Menschen zu ihm kommen. Der Mensch weiß nicht, wann. Aber er kann und soll bereit sein.

Es gibt verschiedene Deutungen für das Öl: es ist die Freude an Gott und seiner Güte; oder das Öl ist die Bereitschaft aufzubrechen, um für immer bei ihm zu sein; oder das Öl ist die tätige Liebe, die zur Lampe des Glaubens dazu kommen muss, damit der Glaube ausstrahlt und einleuchtend wird. Jedenfalls ist das Öl das, was Licht schenkt und die Jungfrauen sehend und sichtbar macht.

Egal, ob es länger dauert oder kürzer, dass wir gerufen werden, um ganz bei Gott zu sein. – Jetzt ist die Zeit, dass wir uns um den richtigen Vorrat sorgen: die Freude, die Bereitschaft zum Aufbruch und die tätige Liebe. Damit wir nicht eines Tages als unwillige Fremde vor einem Fremden, sondern als Freunde vor einem Freund stehen und nichts mehr wünschen, als ganz bei ihm zu sein.

Fra’ Georg Lengerke

Schott Tagesliturgie

Festherzigkeit (Morgenandacht im DLF am 7.11.2020)

Quelle: Katholische Hörfunkarbeit

Tagtäglich sehe ich Bilder des Grauens. In Zeitungen, Nachrichten und im Netz. Und ich frage mich: Was machen diese Bilder mit mir? Und was mache ich mit ihnen?

Eine befreundete Journalistin sagte mir neulich: Die Bilder sollen uns erschüttern, damit sich etwas tut. Aber was, wenn ich gar nichts tun kann? Eine folgenlose Erschütterung ist auf die Dauer gefährlich. Sie kann Menschen verhärten. Auch ich spüre täglich die Gefahr der Gleichgültigkeit. Nicht nur gegenüber der fernen Not, sondern auch angesichts der Not in mir und unmittelbar um mich herum.

Aber welche Not soll ich an mich heranlassen und welche nicht? Mir hilft folgendes Unterscheidungskriterium: Ich will mich von dem erreichen und erschüttern lassen, was entweder ich ändern kann oder was mich ändern soll.

Die Haltung, mit der ein Mensch die Not, den Schmerz und die Schuld seiner Nächsten an sich heran lässt, nennt die Bibel „Barmherzigkeit“. Barmherzig ist dem Wortsinne nach, wer beim armen Herzen ist. Sei es verletzt, verlassen oder schuldig geworden.

In der Bibel ist Barmherzigkeit zunächst die Weise, wie Gott dem Menschen begegnet. Und sie soll die Weise werden, wie der mit Gott verbundene Menschen seinem Nächsten begegnet.

Als Papst Franziskus für 2016 ein Heiliges Jahr der Barmherzigkeit ausgerufen hat, hat mich zunächst beschäftigt, wie ich ein barmherziger Mensch werden kann. Später kam mir immer mehr zu Bewusstsein, wie sehr ich selbst auf Barmherzigkeit angewiesen bin, und wie schwer es mir fällt, sie anzunehmen – von meinen Mitmenschen und von Gott.

In der Bergpredigt verknüpft Jesus die beiden Anliegen. Die Barmherzigen sind glücklich zu schätzen, sagt er, weil sie Erbarmen finden werden (Mt 5,7). Kurz gesagt: Barmherzigkeit erfährt, wer barmherzig ist.

Aber es gibt bei der Rede von der Barmherzigkeit auch eine Gefahr: Wir dürfen nämlich die Barmherzigkeit nicht gegen die Gerechtigkeit ausspielen. Barmherzigkeit ist nicht die freundliche Alternative zu einer unfreundlichen Gerechtigkeit. Opfer haben selten Interesse an Barmherzigkeit gegenüber den Tätern. Barmherzigkeit und Gerechtigkeit gehören zusammen und gewährleisten einander. „Gerechtigkeit ohne Barmherzigkeit ist Grausamkeit; Barmherzigkeit ohne Gerechtigkeit ist die Mutter der Auflösung“, so formulierte es der mittelalterliche Theologe Thomas von Aquin.

Wer barmherzig ist, hält sich nicht nur an die „guten Armen“. Ihm geht es auch um die schuldig Gewordenen, um die sogenannten „armen Sünder“. Er hat ein Herz für die Opfer um der Heilung Willen. Und er hat ein Herz für die Täter um der Umkehr Willen. Das macht die Barmherzigkeit manchmal anstrengend.

Denn die Barmherzigkeit ist nicht einfach nur eine Art spirituelle Nettigkeit. Sie nennt das Böse nicht gut, aber sie hält es aus. Die Barmherzigkeit erträgt die Spannung und den Konflikt zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Sie widersteht zwei Versuchungen: Sie versucht nicht, die ungerechte Wirklichkeit in den Anspruch der Gerechtigkeit hineinzupressen. Und sie weigert sich, den Anspruch der Gerechtigkeit in der Wirklichkeit aufzulösen.

Barmherzigkeit ist schließlich nicht einfach Weichherzigkeit. „Wer barmherzig sein will, braucht ein starkes, ein festes Herz“, schreibt Papst Franziskus. Ein hartes Herz kann nicht barmherzig sein, weil es sich von nichts bewegen lässt. Ein weiches Herz kann nicht barmherzig sein, weil es sich von allem bewegen lässt. Die Barmherzigkeit braucht ein festes, entschiedenes und mutiges Herz, das weiß, was es soll und will.

Die Zeugen des Lebens Jesu von Nazareth haben angegeben, sie seien bei ihm dem Angesicht der Barmherzigkeit Gottes begegnet. Sie haben Barmherzigkeit gefunden und Barmherzigkeit gelernt. Nach dieser Begegnung sehne ich mich.