Schaf im Wolfspelz Lk 10,1-12.17-20

Es gibt Worte im Evangelium, die machen mir Angst. Oder sagen wir eher: Unbehagen. So wenn Jesus im heutigen Evangelium 72 Jünger in die Städte voraussendet, in die er selbst gehen wollte. „Geht“, sagt er, „ich sende euch wie Schafe mitten unter die Wölfe.“ Das ist es, was mir Unbehagen macht.

Vielleicht hat auch diese Angst dazu geführt, dass Christen den Spieß lieber umgedreht und sich benommen haben, als seien sie wie Wölfe unter die Schafe gesandt worden. Bis hin zu der Karikatur, den Christen und der Kirche ginge es letztlich überhaupt nur darum: als „Wolf im Schafspelz“ die Welt im Namen Jesu mit Furcht und Schrecken zu überziehen und sie sich einzuverleiben wie der Wolf das Schaf.

Der Vergleich mit den Schafen unter den Wölfen sagt uns nicht: die Welt ist böse und aggressiv, ihr aber seid arglos und harmlos. Wir wissen nicht erst seit kurzem, dass es genau andersherum kommen kann.

Mitunter frage ich mich sogar, ob ich nicht vielleicht Angst vor dem Verzicht auf meine Wolfsmethoden habe, vor dem Verlust meines Ansehens unter den Wölfen oder meiner Zugehörigkeit zu ihnen.

Was Jesus sagen will, ist: Ihr müsst damit rechnen, dass man Euch wie mich nicht willkommen heißt, nicht versteht, nicht wertschätzt, dass man Euch wie mich lieber anpassen, einverleiben oder weghaben will.

Und mit dieser Situation sollen wir gerade entgegengesetzt zu dem umgehen, wie es uns intuitiv naheläge. Wir sollen uns weder einfach unterwerfen oder anpassen, noch sollen wir weglaufen, uns in Sicherheit bringen und abschotten. – Wenngleich es immer auch Zeiten und Orte des Rückzugs braucht, in denen nicht jeder was verloren hat.

Wenn ich mich mit anderen „wie Schafe unter die Wölfe“ senden lasse, dann kann und soll ich etwas wagen und mich meinem Unbehagen und der Gefahr von Ablehnung stellen. Ich kann und soll Beziehungen aufbauen und in die Beziehung zu Jesus einladen oder für sie werben. Ich kann und soll Frieden haben und schenken. Ich kann und soll mich den Menschen anvertrauen und mich angewiesen machen, wie es jede Gemeinschaft mit sich bringt.

Und all das wehrlos wie ein Schaf. Das heißt nicht, dass ich nicht auch ringen und streiten soll, wie es die Liebe manchmal verlangt. Jesus verbietet den „geistlichen Kampf“ nicht, sondern fordert und lehrt ihn.

Aber es bedeutet doch, dass ich mir den dauernden Verteidigungsreflex und die aggressive Wehrhaftigkeit gegen wahre und falsche Vorwürfe und das latente Beleidigtsein bei ungerechter Behandlung nehmen lasse.

Die Jünger gehen, wohin Jesus gehen will. Aber nicht bloß nach ihnen. Wohin die Jünger gehen, dahin geht ihr Herr – in und mit ihnen. Diese wehrlose Verbundenheit mit Jesus Christus verleiht „Vollmacht […] über die ganze Macht des Feindes. Nichts wird euch schaden können.“

Doch nicht der Blick nach unten zum Unterlegenen nimmt mir meine Angst und gibt mir die Freude, sondern der Blick zu dem, der mich von Ewigkeit her kennt und nennt und nicht vergisst.

Fra’ Georg Lengerke

Schott Tagesliturgie