Die Antwort ist dieses Kind Lk 1,39-56

Die Begegnung Marias mit ihrer Verwandten Elisabeth rührt mich an. Aber sie ist keine Idylle. Das wissen die Mütter unter Euch am besten. Es ist der Anfang eines Dramas von größter Freude und größtem Schmerz.

Dieses Jahr denke ich bei dieser Szene an die jungen Mütter um mich. Und an die, die gerne Mütter würden. An die, die ein Kind erwarten und nicht wissen, wie es gehen soll. An die, deren Kind schon im Sterben liegt, bevor es geboren ist. An die, die vor Entscheidungen stehen, die keiner treffen kann und vor die sie keiner stellen darf. Und ich denke an die, die auch in Schmerzen guter Hoffnung sind.

Die beiden Mütter sind Trägerinnen von Frage und Antwort. Johannes ist die Frage. Jesus ist die Antwort. Es ist Johannes, der hüpft. Nicht Jesus. Von ihm hören wir nur, dass er da ist. Da für Johannes. Da für uns – „von Kindesbeinen an“.

Dieses Kind ist derselbe, der auf Golgatha sterben wird und an den Platz aller Leidenden und Sterbenden aller Zeiten und Orte geht. Er schreit unseren Schrei nach Gott und bekommt zu Lebzeiten keine Antwort. Die Antwort, die ergeht, ist der fragende Sohn selbst. Schon als Leidender – dann als Auferstandener.

„Wo ist Gott, wenn man ihn braucht?“, schreibt mir dieser Tage eine Mutter und Großmutter, der gerade ihr lebenslanges Beten vergeht. „Er ist dort, im Bauch der Mutter. Er ist ein Kind geworden, um eins zu sein mit dem Kind, das sterben wird“, überlege ich zu sagen.

Aber die Wahrheit klingt hohl, wenn ihre Stunde noch nicht da ist. „Die, die noch beten können, sollen es stellvertretend tun“, schreibt sie mir. Ich denke an Johannes. Und ich verspreche, es zu tun.

Fra’ Georg Lengerke

Schott Tagesliturgie

„Mir stinkt’s!“, sagt Gott Am 5,14-15.21-24

„Ich hasse eure Feste, ich verabscheue sie und kann eure Feiern nicht riechen!“, lässt der Prophet Amos Gott sagen.

Auf der einen Seite wird eine überästhetisierte, pathetische Liturgie gefeiert. Auf der anderen Seite leben die Reichen unbekümmert auf Kosten der Armen und die Ungerechtigkeit im Volk Gottes stinkt zum Himmel.

Die Tendenz gibt es unter Christen bis heute. Viele wollen noch emotional, ästhetisch oder intellektuell berührt werden. Doch möglichst ohne Folgen für eine Gott gemäße Beziehung zu den Armen.

Andere meinen deshalb, wir wären auf einem guten Weg. Schon in meiner Kindheit sangen wir in der Kirche vor allem politische Lieder über soziale Gerechtigkeit. Und während seitdem die Zahl der gemeinsam Betenden ständig abnimmt, wächst die Zahl derer, die als Arbeitnehmer der Kirche der sozialen Gerechtigkeit dienen.

Hier wie da ist der Wurm drin. Und ich stelle mir vor, was uns ein Prophet wie Amos wohl heute im Namen Gottes sagen würde:

„Die einen hören sich noch immer selbstverliebt singen, aber mit mir den Armen dienen wollen sie nicht. Die anderen wollen den Armen dienen, aber nach meinem Weg mit ihnen fragen sie nicht.

Ihr betet, ohne Euch senden lassen zu wollen. Ihr lasst Euch senden, aber nicht von mir.

Ihr habt den Dienst an den Armen delegiert. Ihr bezahlt andere für das, was ich mit Euch tun will.

Ihr schämt Euch, das arme Volk Gottes und das Volk der Armen Gottes zu sein, und lasst Euch als Dienstleister des Gemeinwohls loben.

Aber ich selbst
bin der Ärmste
unter den Menschen geworden,
damit ihr
mit mir die Armen findet
und mit den Armen schon hier
die Herrlichkeit Gottes.“

Fra’ Georg Lengerke

Schott Tagesliturgie

Beim Putzen: Mach Dich bereit Am 3,1-8; 4,11-12

Derzeit fällt die Hilfe aus, die sonst mein Appartement putzt. Also putze ich am Montagmorgen selbst. Statt den BetDenkzettel zu schreiben. Also nicht so ganz stattdessen. Ich putze und muss an das Wort des Propheten Amos denken: „Mach dich bereit, deinem Gott gegenüberzutreten.“

Das es darauf ankommt, ist mir seit einigen Jahren täglich bewusst. Selber putzen übrigens ist dafür eine gute geistliche Übung. Mein Empfinden in der Brust danach ist dem nach der Beichte nicht unähnlich. Die Dinge sind wieder an ihrem Platz. Einiges kann weg. Es können wieder Gäste kommen. Alles eine Vorübung auf mein Treten vor Gott.

Doch bei Amos geht es um mehr. Der Prophet aus dem Süden klagt im Nordreich Israel die Vornehmen des Volkes an. Sie gehören zum von Gott zum Zeugnis „erwählten“ Volk. Sie bilden sich auf ihre Erwählung auch etwas ein, wollen aber von dem Zeugnis nichts wissen. Dafür werden sie zur Rechenschaft gezogen.

Alles hat seinen Grund, sagt der Prophet. Auch das Leiden des Volkes. Das erklärt nicht alles Leid. Ist aber der Kontext, in dem das von Gott erwählte Volk sich zu dem Zeugnis bekehren soll, zu dem es erwählt ist.

Manchmal weiß ich, warum oder wozu ich leide. Meistens weiß ich es nicht. Manche Krankheiten und viel Leid kommen aus meiner Verweigerung des von Gott „erwählten“ Lebens. Andere haben andere Gründe. „Gottes Liebe verantwortet alles, was uns begegnet.“, sagt Heinrich Spaemann. Ich muss verantworten, ob ich mich – wo nötig – zu meiner Erwählung bekehrt habe.

Manche Bekehrung beginnt damit, dass einer seine Wohnung putzt und weiß, dass er vor das Angesicht Gottes treten muss.
Fra’ Georg Lengerke

Schott Tagesliturgie

Wen mehr lieben? Mt 10,37–42

Ein Abendessen bei meinen Eltern nach dem Jura-Examen. Ich hatte ihnen schon gesagt, dass ich Priester werden wollte. In einer launigen Rede hatte mein Vater meinem Freund und Lerngenossen Thomas gedankt, dass ich dank seiner wenigstens das Erste Examen geschafft hatte. Dann redete ich. Nur kurz. Über „Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, ist meiner nicht wert…“

Es spricht für meine Eltern, dass das die Stimmung des Abends nicht verdarb. Sie waren gar nicht grundsätzlich gegen meine Entscheidung, so dass ich mit ihnen irgendwie hätte „brechen“ müssen. Es war eher das Pathos des Frischverliebten, der zuhause einen etwas markigen Abgang machen wollte.

Vielleicht wollte ich mir mit dem Satz auch einfach nur nochmal selbst Mut machen.

Ich wusste, dass Jesus nicht gesagt hatte: „Wer Vater oder Mutter weniger liebt als mich, ist meiner wert.“ Er hatte nur gesagt, dass die Allernächsten nicht die Allerersten sein dürfen.

Selbst wenn meine Eltern ganz dagegen gewesen wären, weil z.B. ein Unternehmen gefährdet, eine Tradition zuende oder eine Familie ausgestorben wäre – ich hätte nicht einlenken dürfen.

Genauso wenig wie Väter ihren Söhnen ihre Spielschulden bezahlen oder Mütter sich von der Selbstmorddrohung ihrer Töchter erpressen lassen dürfen.

Wenn wir unsere Nächsten mehr lieben, als den, der die Wahrheit und Liebe selbst ist, dann ist das das tödliche Gegenteil von Liebe.

Lass nicht zu,
dass ich meine Nächsten
mehr liebe als Dich.
Damit meine endliche von Deiner unendlichen,
meine zerbrechliche von Deiner unzerstörbaren,
meine zögerliche von Deiner zuvorkommenden Liebe zu ihnen
lernt und geformt wird.
Amen.

Fra’ Georg Lengerke

Schott Tagesliturgie

Herr, ich bin nicht würdig Mt 8,5-17

Glaubensgespräch in Ehreshoven. Ein Teilnehmer sagt: „Wenn ich in der Heiligen Messe sagen soll: ‚Herr, ich bin nicht würdig, dass Du eingehst unter mein Dach…‘, dann kann ich nicht mitbeten. Muss das denn sein, dass ich mich da selbst derartig runter mache?“

Das Gebet der Gemeinde vor der Kommunion ist ein Zitat aus dem heutigen Evangelium. Der Hauptmann von Kafarnaum bittet Jesus um die Heilung seines gelähmten Dieners. Doch das Haus eines Heiden konnte Jesus nicht betreten, ohne rituell unrein zu werden.

Der Hauptmann weiß darum. Er bittet Jesus aus der Ferne. Er weiß, wie es in seinem Lebenshaus aussieht. Er tut nicht so, als wäre es das Normalste von der Welt, dass Gott in Person in das Haus seines Lebens eintritt. Er weiß, dass sein unaufgeräumtes Leben und Gott nicht ohne weiteres zusammenpassen. Ich muss dabei an den Chor im Weihnachtsoratorium denken: „Zwar ist solche Herzensstube / Wohl kein schöner Fürstensaal, / Sondern eine finstre Grube…“

Der Hauptmann steht für die vielen Menschen, die sich nur aus der Ferne trauen, Gott um etwas zu bitten. Sein Glaube geht dem Herrn von weitem entgegen. Von weitem glaubt er dem bereits Nahegekommenen.

„Sprich nur ein Wort, dann wird mein Diener gesund“, bittet der Hauptmann. Genau das erbitten wir für die gelähmte Seele, für unser tiefstes Wesen, für das in uns, dem das unsterbliche Ja Gottes gilt und das ihm antworten kann.

Der fern scheinende Gott ist uns in seinem Wort „näher als wir uns selbst sind“ (Augustinus). Und im Sakrament tritt er bei uns ein, löst unsere Lähmung und würdigt uns, zu einem Ort und Zeugen seiner Liebe für die Anderen zu werden.

Fra’ Georg Lengerke

Schott Tagesliturgie