Lange rätselte man über die Darstellung des Gekreuzigten auf dem Isenheimer Altar von Matthias Grünewald (1516). Erst in neuerer Zeit erkannte man, dass die gemalten Wunden nicht Geiselspuren, sondern die Symptome der Mutterkornvergiftung darstellen.
Die daran erkrankten Patienten des Isenheimer Spitals sollten im 16. Jh. im Gekreuzigten den erkennen, von dem Jesaja sagt: „Er hat unsere Krankheit getragen und unsere Schmerzen auf sich geladen“. Der Gekreuzigte geht an die Stelle eines jeden leidenden und sterbenden Menschen in der Welt – bis heute.
Wie müsste eine Darstellung des Gekreuzigten aussehen, der die Wundmale der Pandemie trägt? Bei einem unsichtbaren Virus ist das schwierig. Aber es gibt doch ein Zeichen, das mich an die Krankheit erinnert. Der Virus hat seinen Namen von seiner Kranzform. Daher „corona“, was lateinisch „Kranz“ oder „Krone“ heißt.
Jesus wird von den Soldaten eine „corona spinea“, eine Dornenkrone aufgesetzt (Joh 19,5). Der Gefolterte als Witzfigur, als Karikatur eines Königs. Ohne es zu bemerken sagt Pilatus über ihn ein prophetisches Wort: „Ecce homo – Seht der Mensch“. Das ist auch vom Menschen schlechthin gesagt: So steht es um Euch. So geht ihr miteinander und Euch selbst um. So steht es um Eure Souveränität. Feine Könige seid Ihr!
Heute ist es der Virus mit dem Namen Corona, der unserer Souveränität, unserer Selbstsicherheit, unserem Glauben, alles in der Hand zu haben, spottet. Der Dornengekrönte trägt unsere Krankheiten bis vor den Thron dessen, von dem die königliche Würde eines jeden Menschen kommt. Einmal wird der uns die „corona vitae“, die „Krone des Lebens“ verleihen (Offb 2,10).
Fra‘ Georg Lengerke