Ohrenschmeichler 2 Tim 4,1-8

Anfangs hat mich gefreut, wenn jemand sagte, eine Predigt sei „sehr schön“ gewesen. Heute frage ich manchmal nach: „Was war denn das Wichtigste für Sie?“ Nach überwundenem Schreck kommt dann oft so was wie: „Ach das war irgendwie alles sehr schön!“ Dann bin ich es, der erschrickt.

Und zwar über mich selbst: Du hast eine gefällige und gefühlige, wortschöne und harmlose, garantiert angriffsflächenfreie Wohlfühlpredigt gehalten. Und es hat ihnen gefallen. Sehr sogar.

Warum? Weil ich mich offenbar als „Ohrenschmeichler“ betätigt hatte. So nennt Paulus Leute, die, anstatt das Evangelium zu verkünden, zu hofierten Lehrern von „Fabeleien“ nach Geschmack und Lust der Leute werden.

Zu den „Ohrenschmeichlern“ gehören die Kirchenvolkstribune der sozialen Medien, deren Lebensqualität mit der Zahl ihrer Follower oder Klicks steht und fällt. Die Salonkleriker sind dabei, die eine geradezu erotische Affinität zu alter und neuer Macht haben. Und jeder von uns zählt dazu, der mit Worten schon mal gefallen wollte.

Solange wir der Versuchung zum Schmeicheln und zum Geschmeicheltwerden nicht widerstehen, müssen wir uns nicht wundern, wenn kaum jemand mehr mit einer ernsthaften Erschütterung Gottes zu rechnen hat.

Suchen wir nach den verborgenen kernigen Männern und Frauen, die so sind, wie Paulus sich den Timotheus wünscht: „Du aber sei in allem nüchtern,“ schreibt Paulus ihm zum Schluss, „ertrage das Leiden, verrichte dein Werk als Verkünder des Evangeliums, erfülle treu deinen Dienst.“

Wo wir von denen lernen, da wird das Evangelium nicht mehr gefällig sein, sondern eine machtvolle Schule zum Leben mit Gott.
Fra’ Georg Lengerke

Schott Tagesliturgie

Mitgehasst werden Joh 15,14-16a.18-20

Der Tod des Heiligen Bonifatius im Jahre 754 oder 755 muss spektakulär gewesen sein: Der Bischof wird auf einer Reise überfallen und mit dem Schwert erschlagen. Dabei schützt er sich mit der Bibel über seinem Kopf. Die wird vom Schwert zuerst getroffen, bevor der Missionar unter den Schlägen niedergeht.

Der tödliche Hass gilt nicht nur dem Missionar. Er gilt auch dem, der ihn sendet, und dem Wort, das sein Leben prägt. „Wenn die Welt euch hasst,“ sagt Jesus, „dann wisst, dass sie mich schon vor euch gehasst hat.“

Wenn einer mal Christ geworden ist, dann geht es nicht mehr allein darum, dass Christus etwas für ihn tut. Es geht darum, dass er Anteil am Leben des Freundes bekommt. Und zwar in der Freude und im Schmerz. Wir bekommen Anteil an seinem Leben, an seiner Beziehung zum Vater, an seiner Liebe zu den Menschen – und eben auch an seinem Geschick in der Welt.

Nicht jeder Hass auf Christen ist auch Hass auf Christus. Manch einer hasst die Christen, weil sie zu wenig Christen sind, oder die Kirche, weil er in ihr schlimme Erfahrungen gemacht hat. Wir dürfen den Hass um unserer Unglaubwürdigkeit Willen nicht mit dem Hass um Christi Willen verwechseln.

Wir sollen die Ablehnung der Menschen weder fürchten noch suchen. „Viel Feind‘“ ist genauso wenig „viel Ehr“, wie es „viel Freund“ ist. Wundern wir uns nur nicht, wenn mit der Freundschaft Jesu auch mal der Hass von Menschen einhergeht. Und bitten wir darum, mit Christus die Menschen wider den Hass zu lieben.

Am Anfang des Dritten Reiches (1934) haben Christen deshalb gesungen:

Lass uns den Hass, das bittre Leid
fortlieben aus der dunklen Zeit;
lass uns dein Reich erscheinen!

Fra’ Georg Lengerke

Schott Tagesliturgie

Den Untreuen treu 2 Tim 2,8-15

Wenn zwei einander treu sind, zueinander aufmerksam, aneinander interessiert, füreinander hingebungsvoll und miteinander für andere, dann ist das der Idealfall von Liebe.

Wenn es zwischen Liebenden zu einem Auseinanderdriften von Interessen,
zu einer Ungleichzeitigkeit des Alterns oder der leibseelischen Kondition, zu einem Verlust der gemeinsamen Perspektive und zur Entfremdung kommt, dann ist das der Ernstfall von Liebe.

Letzteres ist der Fall im Leben von unzähligen Paaren. Und es ist zugleich die Grundgegebenheit zwischen Gott und den Menschen. Für viele Paare ist oft das einzige, was noch möglich scheint, einfach jeweils ihrer Wege zu gehen. Bei den meisten bleiben Wunden lebenslänglich unverheilt.

Im 2. Brief an Timotheus deutet Paulus in einem kleinen Satz die ganze Dramatik der Heilsgeschichte an: „Wenn wir untreu sind, bleibt er [Christus] doch treu.“ Damit ist die Logik der Aufrechnung, des „Wie Du mir, so ich Dir“ aufgebrochen. Gott begibt sich als Mensch zu den Menschen, um den Entfremdeten die Gemeinschaft mit Gott neu zu schenken. Gott bleibt dem untreuen Menschen treu, der ihn aus seinem Leben, aus der Welt, aus der Erinnerung wegschaffen will. Es ist die Treue Jesu Christi durch den Tod hindurch, die uns rettet.

Wenn ich untreu bin,
bleibst Du treu.
Wenn ich vergesse,
erinnerst Du.
Wenn ich wegschaue,
schaust Du hin.
Wenn ich hinschmeiße,
hältst Du fest.
Wenn ich fliehe,
bleibst Du da.
Wenn ich fluche,
segnest Du.

Hilf mir auszuhalten,
dass Du mich aushältst.
Erinnere mich Deiner,
damit ich Dich nicht verleugne.
Gewinne mich
für Dich,
damit ich treu werde,
erinnere,
hinschaue,
dableibe,
festhalte
und segne
mit Dir.
Amen.

Fra’ Georg Lengerke

Schott Tagesliturgie

Heiliger Kater 2 Tim 1,1-3.6-12

Wenn es gut geht, kommt nach Pfingsten der Kater.

Wieso „wenn es gut geht“?

Weil zum Vorschein kommen soll, wo wir unsere Vorstellungen, wie Leben und Welt eigentlich sein sollten, für den Heiligen Geist hielten. Manche fühlen sich so ganz wohl. „Leben im Heiligen Geist“ ist für sie ein Leben im Konjunktiv…

Aber der Heilige Geist ist eben auch „heiliger Kater“, ist heilige Enttäuschung, Ernüchterung und Klärung. Er will uns eben nicht in Wünschen, sondern „in der ganzen Wahrheit leiten“ (Joh 16,13). Es ist ein Werk des Heiligen Geistes, wenn sich falsche Vorstellungen als leere Versprechungen erweisen.

Zu Pfingsten gehört, dass zum Vorschein kommt, was übrig bleibt. Dass das, woran wir festgehalten, worauf wir bestanden, wofür wir verbissen gekämpft haben und was die Kirche mittlerweile zutiefst prägt, vor allem eines ist: der „Geist der Verzagtheit“.

Aber „Gott hat uns nicht einen Geist der Verzagtheit gegeben, sondern den Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit“, schreibt Paulus seinem Freund und Mitarbeiter Timotheus.

Der „Geist der Kraft“ geht den jeweils nächsten Schritt mit uns, der ein Nanomoment in Gottes großer Verwandlung der Welt ist.

Der „Geist der Liebe“ liebt nicht, wie die Welt ist, sondern er liebt die Welt, wie sie ist. Wo sie so angenommen wird, hat er durch alle Mitliebenden schon begonnen, sie zu heilen.

Der „Geist der Besonnenheit“ vermittelt den Fragenden die Antwort, den Unterscheidenden das Licht und den Entscheidenden die Entschiedenheit Gottes für die Welt und den Nächsten.

So wird es wahr: „Du sendest Deinen Geist aus und erneuerst das Antlitz der Erde.“ (Ps 104,30)

Fra’ Georg Lengerke

Schott Tagesliturgie

Angenommen, Corona wäre vorbei 2 Petr 3,12-15a.17-18

Angenommen, in einigen Wochen wäre Corona vorüber. Und angenommen, es wäre nicht nur Corona vorüber, sondern überhaupt die Zeit der Krankheiten, der gegenseitigen Verletzungen, des Bangens um die eigene und die Zukunft unserer Lieben. Angenommen, die Zeit der Überforderung an Verantwortung und Lebenslast wäre vorüber, die Zeit des Sterbenmüssens und der Trauer über die Toten.

Und angenommen, es wäre nicht nur die Zeit vorüber, sondern die Welt verginge, in der all‘ das zum Leben dazugehört. Und angenommen, es stünde die Begegnung an mit Einem, der uns diese alte Welt von den Schultern und Herzen nimmt und uns ein neues Leben schenkt.

Ein Leben, in dem das erste nicht vergeblich war. Ein Leben, in dem unsere Wunden geheilt, und unsere Schulden von diesem Einem bezahlt und vergeben sind. Ein Leben, in dem uns die Angst genommen, die Saat unserer Mühen aufgegangen und alle Vergeblichkeit vergessen ist. Ein Leben, in dem wir einander, uns selbst und den Schenker dieses Lebens so erkennen würden, wie wir und Er sind.

Und schließlich angenommen, Er würde uns fragen, was wir mit unserem Leben gemacht, einander angetan oder vorenthalten haben, und was von dem, worunter wir gelitten und worüber wir uns beklagt haben, unsere eigene Schuld war. Und wie das jetzt werden soll mit uns, den Anderen und Ihm…

Nur mal angenommen, so käme es. Ungefähr, dann, wenn Corona vorbei ist.

Für den Fall hat der 2. Petrusbrief heute drei wichtige Ratschläge:

Hofft und helft, dass das bald passiert.

Seht zu, dass Ihr unbescholten und im Frieden gefunden werdet.

Und denkt dran, dass die Zeit der Geduld des Vollenders und Bringers Eures Lebens Eure Rettung war.

Fra’ Georg Lengerke

Schott Tagesliturgie