Vergangenen Samstag habe ich eine meiner Tanten beerdigt. Kurz nach ihrem Tod hat mir meine Schwester ein Bild von ihr gezeigt.
Ich habe schon viele Verstorbene gesehen. Oft sahen sie ein wenig blass aber sonst noch ganz proper aus. Man hätte denken können: Ja, wenn nur der Herzfehler nicht gewesen wäre…, oder: wenn nur das Virus nicht gewesen wäre…, oder: wenn nur die Ampel nicht rot gewesen wäre…, dann könnte dieser Mensch eigentlich noch leben.
Bei meiner Tante Annemarie war das anders. Ihr Bild hat mich verstört. Ich habe sie nicht gleich erkannt. Sie war buchstäblich nur noch Haut und Knochen. Sie sah aus, als wäre nichts mehr übrig, was noch hätte leben können.
Ich sah die Tante und musste an das letzte Wort Jesu im Johannesevangelium denken: „Es ist vollbracht!“. Genaugenommen fiel mir der lateinische Satz ein: „Consummatum est!“ Das ist mehr als bloß „beenden“, „abschließen“ oder „fertig werden“. Es heißt soviel wie „zusammenbringen“, „verzehren“, „vollenden“. Im griechischen Urtext steht da „tetelestai“ und das hat mit dem „Telos“, dem Ziel zu tun: Es bedeutet: „erfüllt“, „bezahlt“, „angekommen sein“.
Alles ist gegeben, alles angekommen, alles erfüllt. Das sagt Jesus am Ende seines Lebens. Und das sagt mir das Leben meiner Tante Annemarie: Alles ist gegeben. Nichts ist zurückgehalten.
Und nun steigt eine Frage in mir auf. Erst leise, dann lauter und bald brennend. Wenn Jesus alles und auch sich selbst gegeben hat (und mit ihm Menschen wie meine Tante Annemarie), was ist dann bei mir angekommen und von mir angenommen?
Und was will und kann, darf und soll ich geben, wenn ich am Ende mit Jesus möchte sagen können „Consummatum est!“
Das letzte Wort Jesu markiert nicht ein Ende. Es bezeichnet einen Anfang. Es schließt nicht ab, sondern auf.
Fra‘ Georg Lengerke