Liebe deinen Nächsten – nur nicht wie dich selbst Mk 12,28b–34

Der kleine Matteo wird neulich von seinem Vater gefragt, wer im Kindergarten sein Freund sei. Sagt er: „Emil und Ferdinand. Und ich!“ Der Vater erstaunt: „Du?“ Darauf das Kind: „Ja, ich habe mich sehr gern!“

Viele Erwachsene können das nicht von sich sagen. „Die Annahme seiner selbst“, so der Titel eines Buches von Romano Guardini, ist für viele Menschen ein Problem.

„Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“, zitiert Jesus das Buch Levitikus (19,18). Doch wenn ich sehe, wie manche Menschen mit sich selbst umgehen, möchte ich ihnen sagen: Liebe deinen Nächsten – nur bitte nicht wie dich selbst. „Wer mit sich schlecht umgeht,“ sagt Bernhard von Clairvaux, „wem kann der gut sein?“

Das Gebot der Nächstenliebe ist ein „zweites“ in einem Doppelpack. Jesus stellt ihm ein „erstes“ voran: das Gebot der Liebe zu Gott. Warum geht die Gottesliebe der Nächstenliebe voraus? Weil die Liebe Gottes unserer Liebe vorausgeht. Wir sind als erstes Geliebte und erst danach Liebende. In unseren menschlichen Beziehungen wie in unserer Beziehung zu Gott.

Wir können uns nicht genau so lieben, wie einen anderen, weil wir kein anderer sind als wir selbst. Aber wir dürfen bejahen, dass wir geliebt werden. Von Menschen und von Gott. Sich lieben lassen – das ist der Weg, auf dem wir Liebende werden.

Von Franz von Assisi wird erzählt, er habe weinend gerufen: „Die Liebe wird nicht geliebt!“ Die Liebe, die Gott ist und für uns hat, wird nicht geliebt. Wo wir ihr aber mit Liebe antworten, dort werden wir mehr und mehr einverstanden sein mit seiner Liebe zu uns – und hineingenommen werden in seine Liebe zu unseren Nächsten.

„Nur nicht wie dich selbst“ ist vielleicht etwas unfreundlich. Eher so: Liebe mit Gott, der aus Liebe zu Dir und Deinem Nächsten Mensch wird. Liebe deinen Nächsten wie Gott dich selbst.

Fra‘ Georg Lengerke

Schott Tagesliturgie