Gerade komme ich aus Exerzitien. Jedes Jahr nehme ich diese Zeit, um mein Leben zu ordnen und die schnell zuwuchernden Quellen wieder frei zu legen, aus denen ich täglich lebe. In der Regel sind das 8 bis 10 Tage, in denen ich alle Türen zu und mich unerreichbar mache. Schweigen, vier Gebetszeiten am Tag, tägliches Gespräch mit dem Begleiter, Hl. Messe. Kein Telefon, keine Emails, keine Kurznachrichten. Für Notfälle hat jemand die Nummer vom Haus.
Dann las ich gestern auf dem Rückweg das Evangelium vom reichen Prasser. Der macht ja etwas Ähnliches: Alle Türen fest zu. Und was draußen ist, geht ihn nichts an. Aber das war’s auch schon mit der Ähnlichkeit: Vor der Tür des Reichen hungert und stirbt Lazarus, während der reiche Mann „sich in Purpur und feines Leinen kleidete und Tag für Tag glanzvolle Feste feierte“.
Meine Exerzitien und das Leben des Reichen im Gleichnis sind nicht vergleichbar. Aber dennoch ist mir ist die Haltung des reichen Prassers weniger fremd, als es mir lieb ist.
Jesus stellt uns einen Menschen vor, der sich scheinbar bedürfnislos in seiner behaglichen Welt des Überflusses vollkommen eingerichtet hat. Er hat sich seine kleine Welt zum „Himmel auf Erden“ gemacht. Freilich, mehr geht immer. Aber sein Leben lässt im Allgemeinen nichts zu wünschen übrig.
So hat der reiche Mann die leidende Welt in Gestalt des armen Lazarus ausgesperrt. Aber mit ihr bleibt auch seine eigene Sehnsucht nach Erlösung und Heil vor der Tür. Der Mann hinter seiner verschlossenen Tür hat nicht bloß Lazarus ausgesperrt. Sondern auch sich selbst in seiner verdrängten Armut und Gebrochenheit, seiner uneingestandenen Sehnsucht nach dem Himmel.
Im Tod erfährt der reiche Mann, dass zwischen ihm und Lazarus ein „unüberwindlicher Abgrund“ liegt. Dazu ist nämlich die zu Lebzeiten verschlossene Tür einstweilen geworden. Sie hat nicht nur der Not des Lazarus, sondern auch seiner Rettung und seinem Heil den Zutritt zu seinem Leben verwehrt.
Am Ende des Gleichnisses bittet der Reiche den Abraham, jemanden zu seinen Verwandten zu schicken, um sie zu warnen. Abraham antwortet, sie würden auch nicht glauben, wenn jemand von den Toten aufersteht.
Ob das stimmt? Einer ist von den Toten auferstanden, um uns zu erinnern. Jesus überwindet den unüberwindlichen Abgrund zu uns hin. Der Auferstandene sagt uns, dass er dort sei, wo Lazarus ist. Er steht vor der Tür und klopft. Und er sagt uns, dass wir es dahin nicht kommen lassen sollen, dass unsere verschlossenen Türen zum unüberwindlichen Abgrund werden.
In den Exerzitien habe ich mich wieder erinnert, dass ich mitunter für eine kurze Zeit meine Türen zu machen muss, um mein Leben zu ordnen und die Quellen freizulegen, aus denen ich leben und für andere da sein kann. Heute erinnert mich das Evangelium, dass ich mir die Erde nicht zum Himmel machen kann – und dass es im Zweifelsfall besser ist, meine Tür ein wenig zu weit auf, als zu fest zu zu machen.
Fra‘ Georg Lengerke