02.04.2023
„Na, du alter Esel?“ sagte unser Vater manchmal zu mir oder einem meiner Brüder als wir Kinder waren. In der Regel war das eine Art Versöhnungsangebot nach einem Knatsch. „Gehts wieder?“ sollte das heißen, oder: „Wollen wir uns wieder vertragen?“
Warum „alter Esel“? Vielleicht wegen der Sturheit einerseits und der Treue und Friedfertigkeit andererseits, die dem Esel zugeschrieben werden. „Alter Esel“ war für mich eine Art Kosename. Und einer, den ich nicht ungern hatte.
Vielleicht ist das der Grund, warum es mir der Esel im Evangelium vom Einzug Jesu nach Jerusalem angetan hat. In der euphorischen Menge, die Jesus heute zujubelt und ihn morgen verflucht, fühle ich mich unwohl. Aber beim Esel bin ich gerne. Mit dem Esel beginnt eine Geschichte, die mir einen Vorgeschmack auf den Neuanfang gibt, den die Jünger nach Ostern erleben werden.
Drei Evangelisten berichten, dass Jesus auf dem Weg nach Jerusalem zwei Jünger vorausschickt, um für ihn einen bestimmten Esel (bzw. eine Eselin) als Reittier zu holen, auf dem noch nie jemand gesessen hat.
„Bindet ihn los!“ sagt Jesus den beiden Boten. Die Abholung geht nicht einfach so. Es braucht eine Loslösung, eine Entbindung, ja eine Erlösung aus alten, fremden und nicht länger gültigen Ansprüchen und Bindungen.
In diesem kleinen Wort „Bindet ihn los“ wird die ganze Dramatik späterer Nachfolgewege angedeutet. Menschen werden entbunden, herausgelöst aus der alten, knechtenden Herrschaft von Menschen und Mächten zum neuen Leben in der befreienden Herrschaft Gottes.
Übrigens wurde das gleiche Wort für „lösen“ am vergangenen Sonntag schon einmal gebraucht: Bei der Auferweckung des Lazarus steht dieser in der Graböffnung. Wie eine lebendige Mumie. Von oben bis unten eingewickelt in die Banden und Binden des Todes. Löst ihm die Binden! – Bindet ihn los! sagt Jesus zu den Umstehenden, damit Lazarus ins Leben kommt (Joh 11,44).
Die Loslösung dessen, den Jesus ruft, bleibt nicht ohne Widerspruch. Es werden Ansprüche angemeldet. Auch vom Besitzer des Esels. Die Antwort der Boten Jesu ist einfach und von schmerzlicher Autorität: „Der Herr braucht ihn!“ Hier und jetzt hat ein Anderer einen größeren Anspruch als der bisherige Besitzer. Aber der wird nicht leer ausgehen: Der Herr „lässt ihn bald zurückbringen“, lässt Jesus die Jünger ausrichten.
Dann heißt es, die Jünger legten ihre Kleider auf den Esel. Es ist, als zögen sie ihm ihr Kleid an. Als wäre er einer von ihnen. Und stimmt das nicht irgendwie auch? Freund und Jünger Jesu sein heißt ja auch: Jesus tragen. Christsein heißt: Christus tragen. Hinein in die Heilige Stadt im Festzug für den erwarteten König, zugleich aber auch hinein in die Höhle des Löwen, hinein in den Streit und in den Hass der Welt.
Der Esel beim Einzug in Jerusalem erinnert mich an den hl. Christophorus, den „Christus-Träger“, der, indem er unversehens das göttliche Jesuskind durch einen Fluss trägt, den Herrn der Welt gefunden hat, dem er von nun an dienen und den er sein Leben lang zu den Menschen tragen wird.
Heute sagt mein Vater nur noch selten: „Na, du alter Esel?“. Vielleicht, weil die Notwendigkeit der Versöhnung nicht mehr so häufig ist. Vielleicht auch deshalb, weil er die Lektion dessen gelernt hat, der zulassen muss, das sein „alter Esel“ losgebunden wird und geht, um ihn später auf neue Weise wieder zu bekommen.
Wie wird das nach Ostern sein? Alle Jünger hatten Jesus ja verlassen, alle waren von einer geradezu eselhaften Sturheit gewesen. Aber mit jedem will Jesus wieder neu anfangen, jedem will er möglich machen, dass er sich wieder mit ihm versöhnt.
Und wer weiß? Vielleicht wird Jesus dem einen oder anderen augenzwinkernd zulächeln, und ihm zum Neuanfang sagen: „Na, du alter Esel?“
Fra' Georg Lengerke
BetDenkzettel