Krippe und Grab (Unschuldige Kinder)

28.12.2024    

Krippe und Grab (Unschuldige Kinder)

Vor Jahren habe ich in der Weihnachtszeit ein Kind beerdigt. Valentina hatte eine schwere Fehlbildung von Schädeldecke und Gehirn (Anenzephalie). Sie wurde kurz nach Weihnachten geboren und starb wenig später in den Armen ihrer Mutter. Beim Requiem stand in der Kapelle unter dem Weihnachtsbaum neben der Krippe der weiße Kindersarg, den ihr Vater in Form einer kleinen Wiege gebaut hatte. Krippe und Sarg. Jesus und Valentina. Wir sangen „Ihr Kinderlein kommet“ und ich dachte daran, dass Jesus auch gekommen ist, um Valentina zum Spielen abzuholen in sein „Kinderparadies“. Doch das war hier kein Spiel-und-Spaß-Kaufhausprojekt, sondern im Ernst die bei Gott angekommene Welt.

Jesus und Valentina am Tag ihrer Beerdigung am 21. Januar 2011

Dieser Anblick von der Krippe und dem Sarg geht mir seither nicht aus dem Sinn. Denn auch der Anfang und das Ende des irdischen Lebens Jesu gehören ja zusammen. Die Evangelien erzählen uns, dass das Leben Jesu da beginnt, wo es endet: außerhalb der menschlichen Gemeinschaft, vor den Toren der Stadt. An beiden Orten geschieht, was Johannes in seinem Evangelium in einem Satz zusammenfasst: „Er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf.“ (Joh 1,11)

Neulich wurde ich wieder an Krippe und Sarg erinnert. In Greccio gibt es eine Höhle, in der der heilige Franziskus 1223 zum ersten Mal zu Weihnachten die Geburt Christi als ein lebendiges Krippenbild dargestellt hat. Auf dem Fresko an der Felswand sieht man dort heute links den hl. Franziskus, der kniend das Kind in der Krippe anbetet. Und rechts sieht man Maria (oder eine Frau, die sie in Greccio darstellte), die das Kind aus der Krippe nimmt, um ihm die Brust zu geben. Aber die Krippe ist nicht ein Holzgestell mit kreuzförmigen Beinen. Maria holt den Knaben vielmehr aus einem massiven Steintrog.

Genau einen solchen Steintrog finden wir auch auf Bildern, die die Grablegung oder Auferstehung Jesu zeigen sollen. Zum Beispiel auf einer Ikone von der Insel Patmos, die 1994 auf einer Briefmarke der griechischen Post veröffentlicht wurde. Mit Hilfe der Apostel legt die Mutter ihren toten Sohn in einen steinernen Sarkophag. Sie hält ihn, Wange an Wange, mit einer Zärtlichkeit, wie sie nur eine Mutter für ihr Kind empfindet. Hält man die Bilder nebeneinander, sieht es fast so aus, als wäre die Krippe derselbe Steintrog gewesen, der später als Grab Jesu dienen sollte.

Das wirft vielleicht ein neues Licht auf den rettenden Ernst des Weihnachtsfestes. Was wir in der Krippe sehen, ist nicht einfach nur ein göttlich schönes Kind in einer anrührenden Szene. Es ist der Beginn des irdischen Lebensweges, den Gott als Mensch mit uns Menschen geht. An Weihnachten gibt Gott seinen Sohn als Kind in die Welt. Und die Welt wird für ihn zum Grab werden. An Ostern verwandelt sich dieses Krippengrab in einen Ort, an dem neues, unsterbliches Leben offenbar wird.

Beim Requiem für Valentina haben wir in einem alten Weihnachtslied gesungen: „Ich steh‘ an deiner Krippe hier, / o Jesu, du mein Leben. / Ich komme, bring und schenke dir, / was du mir hast gegeben.“ Ich hatte bis dahin beim Singen dieser letzten Zeile immer an alles Mögliche gedacht, das ich zur Krippe bringe: an Hab und Gut, Begabungen und Begebenheiten. Aber nicht daran, einmal zusammen mit seinen Eltern ein neugeborenes Kind hergeben zu sollen.

Wenn ich heute dieses Lied singe, tue ich das im Gebet jedes Mal: Ich bringe lauter Menschen zum Kind in der Krippe. Seine Krippe ist zum Grab geworden, damit unser Grab zur Krippe wird, in der uns das Leben Gottes findet, das der Tod nicht töten kann.

Fra’ Georg Lengerke

BetDenkzettel 
Georg Lengerke

Der BetDenkZettel ist eine Reihe kurzer Bet- und Denkimpluse zu einem Wort aus den Schriftlesungen der Liturgie von Fra Georg Lengerke.

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