08.01.2025
DLF Morgenandacht am 8. Januar 2025
Vor einiger Zeit war ein Freund von mir sehr erschöpft. Als Seelsorger war er auf einer Stelle, die ihn überforderte. Als er sich in seiner Not an seinen Bischof wandte, sagte der: „Ich will Sie nicht nur lebend, ich will Sie lebendig.“ Das war nicht nur ein ermutigendes Wortspiel, sondern die Beschreibung eines grundsätzlichen Unterschieds.
Lebend ist, was nicht tot ist. In der Biologie reicht dazu schon Stoffwechsel und die Vervielfältigung von Erbinformationen. Einigkeit besteht darin, dass ein Mensch lebt, wenn sein Herz schlägt und seine Zell- und Nervenfunktionen intakt sind.
Damit ist der Mensch aber noch nicht lebendig. Von der Lebendigkeit eines Menschen sprechen wir, wenn er in Bewegung ist und es ihm um etwas geht, wenn er mit seiner Umwelt kommuniziert und sie gestaltet, wenn er sein Leben nicht nur „erlebt“, sondern „führt“.
Der Unterschied zwischen lebend und lebendig wird von Menschen sehr leidvoll erlebt. Wer erschöpft oder verzweifelt ist oder sein Leben als fremdbestimmt erfährt, der spricht nicht selten davon, er „werde gelebt“, er „funktioniere“ nur noch oder sei „lebendig tot“. Es gibt Krisen, in denen kommt es Menschen so vor, als bliebe ihnen vom Leben nur noch die organische Funktion. Sie erfahren sich als abgeschnitten vom lebendigen Leben, das eine Richtung hat, die ihm Sinn gibt.
„Ich will Sie nicht nur lebend, ich will Sie lebendig.“ sagte der Bischof; und mag damit gemeint haben: Ich will, dass Sie nicht nur funktionieren, sondern gestalten, dass sie nicht nur reagieren, sondern agieren, nicht nur Reflexe zeigen, sondern Antworten geben.
In einem Brief in der Bibel, der dem Apostel Johannes zugeschrieben wird, findet sich eine sehr einfache Zusammenfassung des Weihnachtsfestes: „Das Leben ist erschienen…“, und er fügt hinzu: „… wir haben gesehen und bezeugen und verkünden euch das ewige Leben, das beim Vater war und uns erschienen ist“.
„Leben“ gab es schon vor der Geburt Christi. Aber „das Leben“, das nach Johannes von Gott kommt und erschienen ist, markiert jenen Unterschied zwischen „lebend“ und „lebendig“ sein. Diesen Unterschied beschreibt auch der Apostel Paulus. Er erzählt von einer Lebenswende, die für ihn der Glaube an Christus bedeutet. Er schreibt: „Gott, […] hat uns, die wir infolge unserer Sünden tot waren, in seiner großen Liebe, mit der er uns geliebt hat, zusammen mit Christus lebendig gemacht.“ (Eph 2,4)
Sünde ist für Paulus Trennung von Gott, der das lebendige Leben ist. Wer diese Trennung erfährt, der erfährt sich als geistlich tot, als noch „lebend“ aber nicht mehr „lebendig“.
Wie aber rauskommen aus dieser Trennung von der Lebendigkeit? Für den Freund war das möglich durch eine Veränderung seines Arbeitsauftrages und durch einen veränderten Umgang damit.
Für beides brauchte es Menschen, die sich in ihn hineinversetzt haben: der Bischof, der wusste, wie es ist, zwar noch lebend aber nicht mehr lebendig zu sein, und Freunde und Ratgeber, die ihm halfen, seine eigene Berufung neu hören und beantworten zu können.
Weihnachten erzählt, wie Gott sich in uns Menschen hineinversetzt – bis in die Erfahrung des Getrenntseins vom Leben und in den physischen Tod. Nach der Auferstehung Christi werden die Christen über seine Geburt sagen: „Das Leben ist uns erschienen!“
„Das war knapp“, sagt der Freund neulich an seiner neuen Stelle rückblickend und lächelt. So ähnlich mag Paulus geguckt haben, als er den Ephesern schrieb: „Gott hat uns mit Christus lebendig gemacht.“
BetDenkzettel