09.01.2025 1 Joh 4,11-18
DLF Morgenandacht am 9. Januar 2025
„What‘s love got to do with this?“ Als Tina Turner mit diesem Song monatelang die Charts erobert hatte, war ich 16 Jahre alt. “Was hat die Liebe damit zu tun?“ Man tut der großen Sängerin sicher nicht unrecht, wenn man feststellt, dass das Lied bei der Beantwortung der titelgebenden Frage nicht besonders in die Tiefe geht. Mit dem Liebes-Pathos eines Sechzehnjährigen habe ich damals auch nicht weiter darüber nachgedacht.
Erst später habe ich verstanden, dass Tina Turner diese Frage im Rückblick auf die Ruinen ihrer Ehe stellt. Und dass sie eigentlich oft gestellt werden müsste. „Was hat die Liebe damit zu tun?“ Was für schreckliche Dinge geschehen angeblich aus Liebe? Wie viele Verbrechen wurden begangen, Versprechen gebrochen, Menschen betrogen, verletzt oder umgebracht und wie viele Familien zerstört? Und wie unsäglich banal und inflationär ist das Gerede über die Liebe?
Weil von der Liebe angemessen zu reden schwierig ist, gibt es Menschen, die meinen, man müsse überhaupt nicht von der Liebe reden. Man solle sie einfach tun. Gute Idee. Nur sind wir halt nicht so. Wenn die Liebe nur das ist, was wir tun, ist es nicht weit her mit ihr. Es gibt eine Liebe über uns hinaus. Die Christen sagen: Der, an dem man vollkommen ablesen kann, was Liebe ist, der, dessen Wesen die Liebe ist, ist Gott.
In dieser letzten Woche der Weihnachtszeit werden in den katholischen Gottesdiensten gerade Abschnitte aus dem Ersten Johannesbrief gelesen. Er gipfelt in dem Wort: „Gott ist Liebe“.
Die griechische Sprache hat mehrere Worte für Liebe. Im Ersten Johannesbrief steht dafür das Wort Agape. Ihr geht es ganz um den Anderen. Sie weiß sich ihrerseits unbedingt geliebt und kann daher ohne Angst, sich zu verlieren, selbstvergessen lieben. Die Agape ist das Wesen Gottes. Die ersten Christen sagen, diese göttliche Liebe sei in Jesus Christus offenbar geworden. „Wir haben die Liebe, die Gott zu uns hat, erkannt und gläubig angenommen“, sagt der Johannesbrief im Rückblick auf das Leben Jesu. Und wer diese Liebe angenommen hat, der wird zum Mitliebenden mit Gott.
Vor vielen Jahren kam bei uns zuhause ein Paket von einer Freundin meiner Eltern an. Es war an die ganze Familie adressiert. Auf dem Karton stand zuerst der Name meines Vaters und dahinter „und an seine AGAPE“. Darunter hatte sie senkrecht die Namen meiner Mutter und der Kinder geschrieben. Die kluge Absenderin hatte bemerkt, was uns bis dahin nicht bewusst war: Wenn man die Anfangsbuchstaben der Vornamen meiner Mutter und von uns Geschwistern dem Alter nach aneinanderreiht, ergibt sich das Wort AGAPE: Angela-Georg-Alexander-Peter-Elisabeth.
Das war für uns alle eine Überraschung. Wäre es Absicht gewesen, würde ich es hier nicht erzählen. Das wäre mir peinlich. Ich käme mir vor wie der Sprössling einer leisen, milchgesichtigen Streberfamilie. Würde einer seine Familie absichtlich AGAPE nennen, würde das leicht für eine Angeberei oder eine Überforderung gehalten. So kam mir die Entdeckung wie eine Zusage vor: Was ihr miteinander und füreinander bekommen habt, ist die Agape, die göttliche Liebe. Auch wenn es bei euch wie in jeder Familie Konflikte, Schuld, Ungerechtigkeit und schwere Erbschaften gibt – auch über mehrere Generationen hinweg.
Die Anrede an die Leser des Ersten Johannesbriefes lautet Agapetoi – Geliebte. Das ist die Botschaft dieser Entdeckung: Wir sind Geliebte. Und das befähigt uns zur Liebe. Zur Mitliebe mit Gott, der AGAPE, der Liebe ist.
Vielleicht hat Tina Turner auch das gemeint: Dass sich alles, was wir reden, denken und tun, vor der Frage bewähren muss: Was hat die Liebe damit zu tun?
BetDenkzettel