26.01.2025 Lukas 1,1-4; 4,14-21
Vor kurzem starb die Mutter eines befreundeten Priesters. In ihren letzten Wochen war es, als wollte sie „das Zeitliche segnen“ und ihren längst erwachsenen Kindern und Enkeln noch tun und sagen, was noch zu tun und zu sagen war. Vom Sterbebett schrieb mir der Sohn: „Sie hat eine denkwürdige Bitte an dich geäußert: Sag ihm doch bitte, dass er dir bis zum Schluss als Freund treu bleiben möge.“
Wer einem anderen „sein Wort gibt“, der meint den Angesprochenen, sagt ihm Lebensrelevantes, und verbürgt sich dafür, dass das Gesagte wahr ist. So ist es unter Menschen. Den heutigen Sonntag hat Papst Franziskus zum „Sonntag des Wortes Gottes“ erklärt. Was heißt das, dass Gott zum Menschen spricht und ihm sein Wort gegeben hat?
Das „Wort Gottes“ ist nicht nur das geschriebene Wort. Gottes Wort ist sein Logos, der von ihm kommende Sinn, seine Absicht, mit der er die Welt erschaffen und jeden Menschen ins Leben gerufen hat.
Gott spricht zum Menschen in den großen Urgeschichten der Menschheit. Die Juden entdecken und unterscheiden dann in den vielen Götterstimmen die Stimme des einen Schöpfergottes, die zu Abraham und Mose gesprochen hat. Gott schafft sich ein Volk, das von seinem Wort geformt ist – um der Welt willen. Dieses Wort Gottes wird durch die Geschichte von den Propheten gehört und immer wieder ausgerichtet: Gott ruft sein Volk zur Umkehr und verheißt ihm mit allen Völkern ein neues Leben in seiner liebenden Gegenwart.
Heute erzählt das Buch Nehemia, wie sich das Volk Israel nach seiner Rückkehr aus dem Exil in Jerusalem um das Wort Gottes versammelt. Die Versammelten hören das Wort. Sie erkennen sich selbst wieder. Sie hören, wer Gott für sie eigentlich ist und wer sie für Gott und mit Gott für die Welt sein sollen. Sie weinen, weil sie dieses Wort vergessen hatten. Und sie werden an jene „Freude am HERRN“ erinnert, die sein Wort schenkt und die „ihre Stärke ist“ (Neh 8,10).
An einem Punkt der Weltgeschichte betritt Gott der Sohn selbst in Menschengestalt das Drama zwischen Gott und Mensch. „Das Wort ist Fleisch geworden“, sagt der Evangelist Johannes am Anfang seines Evangeliums (1,14). Der Logos, der Sinn, die Absicht Gottes wird einer von uns.
Das verändert alles. Gott spricht nicht mehr durch Seher und Propheten. Jesus sagt uns nicht nur das Wort Gottes. Er ist das Wort Gottes. Er hat nicht nur eine Botschaft. Er ist die Botschaft selbst. Er ist, was er sagt. Und er erfüllt, was von ihm gesagt wurde.
Deshalb wird es nach der anfänglichen Begeisterung in seiner Heimatstadt Nazareth ja so gefährlich. Weil da einer steht, der behauptet, dass mit ihm die endgültige Erfüllung der Verheißungen Gottes an die Welt gekommen ist. Denen, die meinen, sich mit ihm auszukennen, ist das unerträglich.
Seitdem lässt Gott sein Wort und Wirken in der Kirche weitersagen. Die sich von ihm erreichen lassen, werden – auf ganz verschiedene Weisen – „Diener des Wortes“. So nennt Lukas (1,2) jene, die – angefangen mit den „Augenzeugen“ – mit dem Wort und Wirken Jesu vertraut und ihm verbunden bleiben.
Bis dahin, dass die von seinem Wort Geformten, selbst zu einem Wort Christi werden. „Unverkennbar seid ihr ein Brief Christi“, schreibt Paulus den Christen in Korinth (2 Kor 3,3). Wer mit Christus lebt und liebt und von ihm erzählt, der wird zum Brief Christi.
Auch die alte Dame auf dem Sterbebett war so ein Brief Christi. Sie hat mich daran erinnert, dass Gott uns sein Wort gegeben hat. Das Wort, das uns in der fernsten Ferne erreicht. Das Wort, das uns von ihm und von uns selbst erzählt. Das Wort, das uns einander anvertraut. Das Wort, das unser Leben formt und erneuert. Das Wort, das mit uns dahin geht, wo die Welt wund und gefährlich ist und seine Liebe alles kosten darf. Das Wort, das uns nach Hause bringt.
Ich konnte der alten Dame nicht mehr antworten. Aber ihr Sohn schrieb mir in derselben Nachricht: „Ich habe ihr geantwortet, dass du das sowieso vorhast“. Das habe ich. Gott schenke uns, mit seiner Treue treu zu sein.
Fra’ Georg Lengerke
BetDenkzettel