Komm an die Schwelle!

16.03.2025    Lukas 9,28b-36

Komm an die Schwelle!

In einem Interview berichtet ein israelischer Reservist aus dem Gazakrieg. Während einer Patrouille kommt ein dreijähriges Mädchen auf ihn zu. Die Gruppe hält an und sichert rundum. Vor ihm steht das palästinensische Mädchen, sieht ihn an und fragt: „Hast du für mich ein Paar Schuhe?“

Für einem Augenblick bleibt die Zeit stehen und die sichtbare Welt tritt zurück: Da ist nur noch der Blick und die Frage des Mädchens – wie aus einer anderen Welt.

Das Evangelium erzählt von einer Verwandlung Jesu auf dem Berg. Die drei mitgenommenen Jünger waren eingeschlafen, während Jesus betete. Sie erwachen und sehen Jesus in strahlendem Licht. Bei ihm sind Moses und Elija und sprechen mit ihm über seine Vollendung in Jerusalem. Es ist, als schauten sie für einen Moment über eine Schwelle von Raum und Zeit. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sind eins. Mit Mose ist das Gesetz und mit Elija die Verheißung da. Und in ihrem Gespräch mit Jesus ist schon gegenwärtig, was in Jerusalem geschehen wird: das Leiden, der Tod und die Auferstehung Jesu.

Diese Offenbarung ist ein einmaliges und lebensveränderndes Geschehen. Es verweist uns jedoch darüber hinaus an eine Schwelle, die zu unserem Leben gehört. Denn jeder Mensch lebt im doppelten Sinn an einer Schwelle.

Da ist zum einen die Schwelle zwischen der sichtbaren und der unsichtbaren Welt. Wir sind als Person ja bereits selbst sichtbare und unsichtbare Wirklichkeit. Wir sind Seele und Geist, die im Leib zum Vorschein kommen.

Und wir sind immer und im jeweiligen Augenblick an der Schwelle von Vergangenheit und Zukunft, an der Schwelle von „schon“ und „noch nicht“.

Der christliche Glaube erkennt und bezeugt nun, dass diese Schwelle vom Sichtbaren zum Unsichtbaren und vom Schon zum Noch-nicht überschritten wird. Nicht bloß von hier nach dort im Denken und Schauen der Weisen aller Zeiten. Sondern von dort nach hier, von Gott her zu uns, in der geschichtlichen, leiblichen Menschwerdung Gottes in Jesus Christus.

In Jesus überschreitet Gott die Schwelle von Welt und Zeit zu uns hin – damit wir, verbunden mit ihm, die Schwelle zu ihm hin überschreiten. Dieses „Leben-an-der-Schwelle“ zeigt sich im Leben der heiligen Frauen und Männer des Alten und Neuen Bundes bis zum heutigen Tag.

Die Fastenzeit will uns aufwecken, wie die Jünger auf dem Berg, damit wir zur Schwelle finden, über die Gott in Jesus Christus schon zu uns gekommen ist: im Blick des palästinensischen Mädchens und der Schwester und des Bruders in Not, im betrachtenden Gebet und in der Feier der Sakramente, und schließlich im Fasten und Lassen der Dinge, damit Raum wird für jene Begegnung an der Schwelle,

an der Gott zu uns kommt, damit wir zu Gott kommen.

Fra’ Georg Lengerke

BetDenkzettel 
Georg Lengerke

Der BetDenkZettel ist eine Reihe kurzer Bet- und Denkimpluse zu einem Wort aus den Schriftlesungen der Liturgie von Fra Georg Lengerke.

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