Vielleicht bin ich doch wie dieser da (Über das Vergleichen)

25.10.2025    Lukas 18,9-14

Vielleicht bin ich doch wie dieser da (Über das Vergleichen)

Der Pharisäer und der Zöllner (Detail), Barent Fabritius (1624–1673), Reichsmuseum Amsterdam

„Ich danke dir, dass ich nicht wie die anderen Menschen bin.“ (Lk 18,11)

Das Evangelium hält uns Menschen einen Spiegel vor Augen. Es sagt uns, wie es um uns steht. Das ist fast immer schmerzlich. Und es ist immer heilsam, weil es Gottes Wort an uns ist. Und Gott will mit uns unser Leben verwandeln und unser Menschsein erlösen.

Wir können versuchen, uns vor dieser Selbsterkenntnis, mit der unsere Erlösung beginnt, in Sicherheit zu bringen. Zum Beispiel indem wir die Figuren, von denen die Rede ist, zu Stereotypen machen, die mit uns nichts zu tun haben.

Im Gleichnis von dem Pharisäer und dem Zöllner, die beide zum Beten in den Tempel gehen, sähe das so aus:

Der Pharisäer ist stolz und überheblich. Er glaubt, zu beten, redet aber nur zu sich selbst. Er ist ein eitler Selbstdarsteller, der sich nach vorne drängelt und für gerecht und verdienstvoll gehalten werden will. In diesem Selbstbild scheint ihn der Vergleich mit anderen Menschen zu bestätigen. Besonders mit dem Zöllner in der hinteren Ecke. Einem Mann, der mit Besatzern kollaboriert, seine Landsleute übervorteilt und auf ihre Kosten seine Taschen füllt. Dieser wiederum traut sich gar nicht aufzuschauen, hält sich selbst für Abschaum, schlägt sich an die Brust und betet: „Gott, sei mir Sünder gnädig.“

Wenn ich bei dieser oberflächlichen Lesart bleibe und mit mir selbst ehrlich bin, kann es passieren, dass ich bei mir eine gewisse Erleichterung bemerke. Ich betrachte die beiden. Und irgendwo ganz tief in mir höre ich mich leise sagen: „Gott, ich danke dir, dass ich nicht wie die anderen Menschen bin … zum Beispiel wie dieser Pharisäer dort.“

Der Augenblick, in dem ich das bemerke, ist ein Schlüsselmoment. Warum? Weil ich mich über den Pharisäer habe sagen hören, was der Pharisäer über den Zöllner sagt: Gut, dass ich nicht so bin wie dieser da. Das ist der Moment, in dem meine Bekehrung beginnen kann: Offenbar bin ich doch ein wenig wie „dieser da“.

Was nun? Wenn wir auf solche Weise heilsam „ertappt“ worden sind, können wir folgendes tun oder lassen:

Erstens sollten wir uns nicht vergleichen. Warum? Weil wir unvergleichlich sind. Sich nach dem zu sehnen, was wir weder sind noch werden können, ist ein sicherer Weg ins Unglück. Wir sollen ja nicht ein anderer werden, als wir vor Gott sind. Wir sollen vielmehr aufhören, ein anderer zu sein, als wir vor Gott sind.

Zweitens sollten wir aber durchaus voneinander lernen. Vor allem da, wo wir uns doch gleichen – im Menschsein, in der Erfahrung von Schuld und Schmerz, in der Angewiesenheit auf andere, in der Berufung zur Freiheit, zur Liebe und zum Leben mit und bei Gott.

Dazu ist es drittens gut, zu versuchen, sich in den anderen hineinzuversetzen, um ihn zu verstehen und ihm anbieten zu können, was wir ihm geben können. Dann kann einer vom anderen lernen. Sogar der Gerechte vom Sünder: Vielleicht kann der Zöllner vom falschen Dank des Pharisäers den echten Dank lernen und von dessen falschem Stolz eine gute Bejahung seiner selbst. Vor allem aber kann der Pharisäer vom Zöllner lernen, sich seiner Schuld zu stellen, seine Angewiesenheit zu bekennen und sich erreichbar zu machen für jene unverdiente Zuwendung Gottes, die wir Christen Gnade nennen.

Und vielleicht gehen die beiden dann doch nicht getrennt nach Hause, sondern vorher einer zum anderen. Damit beide miteinander von Gott gefunden und angenommen werden.

Fra‘ Georg Lengerke

BetDenkzettel 
Georg Lengerke

Der BetDenkZettel ist eine Reihe kurzer Bet- und Denkimpluse zu einem Wort aus den Schriftlesungen der Liturgie von Fra Georg Lengerke.

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