Bedeutet das Leiden nichts? Oder alles? (Röm 8,18-25)

“Ich bin überzeugt”, schreibt Paulus der Gemeinde in Rom, “dass die Leiden der gegenwärtigen Zeit nichts bedeuten im Vergleich zu der Herrlichkeit, die an uns offenbar werden soll.” Ist es verwunderlich, dass Menschen den Eindruck bekamen, Christen würden das Leiden dieser Zeit mit Verweis auf den Himmel verharmlosen? Ist es ein Zufall, dass wir es heute mit der gegenteiligen These zu tun haben: dass das Leiden der Gegenwart “alles” bedeutet und wir deshalb alles tun müssen und alles erlaubt ist, um die Leiden dieser Zeit auszurotten – selbst wenn das bedeutete, mit dem Leid auch die Leidenden abzuschaffen.

Paulus verharmlost nicht das Leiden. Er staunt vielmehr über das Große, das auf uns wartet und uns in einem Menschen irdisch schon entgegen gekommen ist: die Herrlichkeit Gottes.

Dazu gab es eine kurze Predigt (3:44 Min) in St. Peter in München am vergangenen Dienstag. Die Texte dazu finden sich hier: https://www.erzabtei-beuron.de/schott/schott_anz/index.html?datum=2021-10-26

Fra’ Georg Lengerke

Schott Tagesliturgie

Der Celebrity Boykott Mk 10,46b–52

„Celebrity“ nennt man auf Englisch (und Neudeutsch) eine bekannte Persönlichkeit von großem öffentlichen Interesse. Mich lässt das Wort an eine „gefeierte“ Persönlichkeit denken, die ein etwas künstlicher Raum der Verehrung umgibt.

Auch Jesus scheint ein solcher Raum zu umgeben als er auf dem Weg nach Jerusalem durch Jericho kommt. Ein blinder Bettler hört von ihm und schreit sich die Seele aus dem Leib: „Sohn Davids, Jesus, hab Erbarmen mit mir!“ (Mk 10,47)

Die Umstehenden fahren ihn an, er solle schweigen. Der Schrei nach Jesus stört. Er stört das feierliche Empfinden und das Bild, das die Leute sich vom Verehrten machen.

Der Schrei nach Jesus hat es in der Kirche bis heute schwer. Die einen halten ihn für eine frömmelnde Bigotterie. Für andere erschöpft sich die Ansprache Jesu in Formeln und Gebeten, die weder von Herzen kommen noch zu Herzen gehen. Wieder andere sind selbst so sehr mit Gerede und Streit beschäftigt, dass der Ruf nach dem Erbarmen Jesu überhört wird.

„Ruft ihn her!“, trägt Jesus denen auf, die gerade noch die Celebrity-Zone aufrecht erhalten wollten. Das macht die Kirche aus: dass der Ruf der Armen nach dem rettenden Erbarmen Gottes vernehmbar und gehört wird – und dass ihnen die Antwort Jesu ausgerichtet wird: „Hab nur Mut, steh auf, er ruft Dich!“

Er „warf seinen Mantel weg“, sagt Markus. Fast nackt findet der Blinde hörend zu Jesus.

Eine „Celebrity“ ist nicht nur eine gefeierte Persönlichkeit. Sie ist auch eine Projektionsfläche, in der jeder sieht, was er gerne möchte. Der Blinde kommt nackt und ohne Jesus zu sehen, um von ihm gesehen zu werden und sehen zu lernen.

Das ist die Chance der noch Blinderen, die den Blinden gerade noch zum Schweigen bringen wollten, damit er ihr Bild nicht stört: dass sie durch den Blinden ihre Blindheit erkennen und mit ihm zum Sehen kommen.

Fra’ Georg Lengerke

Schott Tagesliturgie

Aus Ärger lernen Mk 10,25-45

Aus Ärger lernen Mk 10,25-45

Es gibt viele Gründe, sich über die Kirche und in ihr zu ärgern. Diese Gründe können unterschiedlich, ja gegensätzlich sein. Was dem einen ein Herzensanliegen ist, ist dem anderen ein Ärgernis. Was dieser als richtig erkannt hat, hält jener für einen fatalen Irrtum.

Auch das ist nicht neu. Im Evangelium bitten zwei Brüder aus dem Kreis der Zwölf Jesus, in seiner Herrlichkeit „einen von uns rechts und den andern links neben dir sitzen“ zu lassen.

Das ärgert die anderen zehn. Warum? Vielleicht, weil die beiden sich vordrängeln und eine Sonderrolle beanspruchen. Oder weil auch die übrigen Apostel glauben, dass die Nähe zu Jesus weltliche Macht bedeute, und fürchten, dann selbst der Macht der beiden unterworfen zu sein. Oder aus Neid, weil auch sie nach Macht über andere streben. Lauter gute Gründe, sich zu ärgern.

Ich kenne diesen Ärger. Aber ich kenne auch die Versuchung der Macht. Manchmal ärgert mich an anderen, was ich in mir bekämpfe. Vielleicht fasst mich deshalb die Reaktion Jesu so an. Er weist nicht die einen vor den anderen zurecht, sondern alle miteinander. Was er sagt, gilt allen gleichermaßen: Die Mächtigen in der Welt missbrauchen ihre Macht. „Bei euch aber soll es nicht so sein!“

Wir sollen die Nähe Jesu suchen. Aber die Nähe Jesu bedeutet nicht weltliche Macht. Und weltliche Macht bedeutet nicht Nähe Jesu. Das gilt übrigens nicht nur in der Kirche, sondern genauso für die Kirche. Wir sollten daher nicht bloß von der „Macht inder Kirche“ sprechen, sondern auch von der „Macht der Kirche“, die sie gesellschaftlich und wirtschaftlich sehr weltlich beansprucht und zu erhalten sucht.

Die Nähe Jesu und der Dienst, zu dem er uns ruft, sind anders. Sie bedeuten, mit ihm den Kelch der Liebe zu trinken, die bereit ist, an den Menschen und für die Menschen zu leiden. Über die freue ich mich. Und sie will ich erlernen.

Komisch, manchmal fängt dieser Lernprozess damit an, dass ich mich über andere ärgere.

Fra’ Georg Lengerke

Schott Tagesliturgie

Teresas “Basta!”

Heute gedenkt die Kirche der heiligen Kirchenlehrerin Teresa von Avila (1515-1582). Von ihr ist durch das Lied aus Taizé insbesondere bei jungen Christen vor allem das Wort “Nada te turbe” bekannt geworden:

Nada te turbe             Nichts soll dich ängstigen,
Nada te espante,         Nichts dich erschrecken,
Todo se pasa,             Alles vergeht,
Dios no se muda,        Gott bleibt derselbe.
La paciencia               Geduld
Todo lo alcanza;          Erreicht alles.
Quien a Dios tiene,      Wer Gott besitzt,
Nada le falta.               Dem kann nichts fehlen.
Sólo Dios basta.          Gott allein genügt.

“Sólo Dios” bedeutet allerdings nicht, dass Gott uns “allein”, also ohne die Schöpfung, genügt. Vielmehr kann unserer Sehnsucht nichts Geschaffenes genügen, sondern “nur” Gott. Von diesem wichtigen unterschied zwischen “allein Gott” und “nur Gott” handelt die kurze heutige Predigt im BetDenkzettel-Podcast (5:48 Min).

Schott Tagesliturgie

Die gute Traurigkeit als Chance Mk 10,17-27

Da spricht einer mit Jesus und geht anschließend traurig weg. Eigentlich dürfte es das nicht geben.

Wie konnte es dazu kommen? Einem jungen Menschen geht es um die ganz großen Fragen: „Was muss ich tun, um das ewige Leben zu erben?“ Anders gefragt: Worum soll es mir gehen? Wie lebe ich sinnvoll? Wo und wie bin ich meines Glückes Schmied?

Jesus verweist ihn zuerst auf die Zehn Gebote, auf das gute und richtige Leben im Alltag. Und der junge Mann: „Alle diese Gebote habe ich von Jugend an befolgt.“ Und im Matthäusevangelium hakt er nach: „Was fehlt mir noch?“ (Mt 19,20)

Jesus sieht den jungen Mann an, und Markus ergänzt „ihn lieb habend“ (er „umarmte ihn“, heißt es in der neuen Einheitsübersetzung) und sagt: „Geh, verkaufe, was du hast, gib es den Armen und du wirst einen Schatz im Himmel haben; dann komm und folge mir nach!“

Der liebende Blick sieht, was ihm fehlt. Noch fehlt ihm die Freiheit, das zu tun, was ihn ins Glück und in die Freude führt. Nicht der Reichtum an sich ist schlecht. Er wird es erst, wenn er ungerecht erworben oder verwaltet wird – oder wenn er einem höheren Ziel im Weg steht. Und so ist es hier.

In den Exerzitien des hl. Ignatius habe ich gelernt, dass nicht jede Traurigkeit schlecht ist. Es gibt eine Traurigkeit, die aus einem guten Geist, und eine Traurigkeit, die aus einem bösen Geist kommt. Die böse Traurigkeit ist Überforderung. Sie verkennt und verdirbt das mögliche Gute und hängt dem Unmöglichen nach. Die gute Traurigkeit erinnert mich an das mögliche Gute oder das jeweils Bessere und führt mich zu ihm zurück.

Ich kenne diese „gute Traurigkeit“ – die Traurigkeit dessen, der das Gute nicht tut, das er eigentlich will und soll.

Die gute Traurigkeit ist die des Menschen, der unter seinen Möglichkeiten bleibt. Sie ist seine Chance. Sie ruft ihn zurück in den liebenden Blick und auf den Weg dessen, der sein ganzes Glück ist.

Fra’ Georg Lengerke

Schott Tagesliturgie