Wenn nichts mehr geht, wird auch in der Kirche die Versuchung zur Erpressung schier übermächtig. Früher konnte man die Christen mit dem Himmel erpressen, in den sie nicht kommen, wenn sie sich nicht an die Regeln halten. Heute kann man die Christen mit der Welt erpressen, in der sie nichts mehr zu sagen haben, wenn sie nicht profitabel wirtschaften und mehrheitsfähige Positionen vertreten.
„Wenn ihr euch nicht beschneiden lasst, könnt ihr nicht gerettet werden.“ Zugegeben, die Ermahnung an die Heidenchristen, sich beschneiden zu lassen und zuerst Juden zu werden, um auch Christen sein zu können, war keine Erpressung im eigentlichen Sinn. Aber sie war doch eine vorschnelle Festlegung auf eine Bedingung, über die in der Urkirche erst noch zu entscheiden war.
Dass unser Leben Bedingungen hat, bringt unsere Freiheit mit sich. Wenn ich mich nicht halte, stürze ich. Wenn ich nicht esse, verhungere ich. Wenn ich mich nicht operieren lasse, sterbe ich. Selbst Gottes bedingungslose Liebe stellt sich der Bedingung, von mir angenommen zu werden.
Die Beschneidung und die Einhaltung des mosaischen Gesetzes war und ist für die Juden heiliges Zeichen und Bedingung des Bundes mit Gott. Der Urkirche ging es nun darum, dass an die Stelle des Gesetzes nun die Gemeinschaft mit Jesus Christus tritt, die diesen Bund allen Menschen, die ihn wollen, eröffnet.
Wenn das Kommen des Menschgewordenen zu allen Menschen und das Kommen aller Menschen zum Menschgewordenen das Kriterium wäre, um das es uns heute in der Kirche vor allem ginge,
dann wären wir Christen sehr viel weniger leicht zu erpressen – weder mit dem Himmel, noch mit der Erde.
Fra‘ Georg Lengerke