Gerupfte Welt Mt 13,24–30

Beim Wandern letzte Woche kommen wir öfters an einem Schild vorbei. Auf einem grün umrandeten Dreieck steht: „Zone für natürliche Entwicklung“. Dahinter darf alles wachsen wie es kommt. An manchen Stellen ist das ganz schön. An anderen nicht so. Würden wir unsere Familie, die Gesellschaft oder die Kirche zur „Zone für natürliche Entwicklung“ erklären, gäbe es bald Mord und Totschlag.

„Lasst beides [Unkraut und Weizen] wachsen bis zur Ernte“, sagt der Gutsherr im Gleichnis zu seinen Knechten. Damit ist nicht eine „Zone für natürliche Entwicklung“ gemeint. Wir sollen eindämmen, überwinden oder auch bekämpfen, was die gute Saat gefährdet: Ungerechtigkeit und Unwahrheit, Krankheit und Leiden.

Aber wo wir versuchen, aus eigener Kraft die Erde zum Himmel zu machen und alles Leidvolle und Böse völlig auszurotten, dort werden wir zugleich alles Schöne, Heilsame und Heilige ausrotten.

Zusammen mit den Schmerzen betäuben wir das Empfinden. Mit der Ansteckung vermeiden wir auch die Nähe und mit der Lebensgefahr auch das Leben. Mit der Asche schaffen wir die Glut ab und mit der Ungerechtigkeit beseitigen wir auch die Unterschiedlichkeit. Mit der Krankheit vernichten wir auch die Kranken und mit der Schuld auch den Schuldigen.

Es kann sein, dass wir Haltungen und Einstellungen, Pläne und Taten von Menschen bekämpfen müssen. Aber sie selbst sollen wir schonen für die Ernte. Denn „manche sind zuerst Unkraut und werden dann Weizen,“ sagt Augustinus. Und wer von uns kann sicher sagen, dass er mehr Weizen als Unkraut ist?

Mache uns
zu Deiner guten Saat, o Gott,
und gib uns
von Deiner Geduld.
Denn wer von uns
könnte bestehen,
ließest Du uns nicht wachsen
bis zu Dir?
Amen.
Fra’ Georg Lengerke

Schott Tagesliturgie

Sommerpause I

Liebe Denker und Beter, von heute, dem 11. Juli, bis zum Sonntag, dem 19. Juli, mache ich eine Pause, in der es keine BetDenkzettel geben wird.
Herzliche Grüße in die Runde,
Fra’ Georg Lengerke

Letzte Hilfe Hos 14,2-10

Analog zur „Ersten Hilfe“ gibt es in der Hospizbewegung den Begriff der „Letzten Hilfe“. Damit sind Maßnahmen zur Linderung von Leiden und Erhaltung von Lebensqualität für Sterbende gemeint. „Erste“ und „letzte Hilfe“ bezeichnen hier den Zeitpunkt, an dem sie geleistet werden.

Auch am Ende des Hoseabuches ist von letzter Hilfe die Rede. Allerdings ist damit hier nicht die zeitlich letzte Hilfe, sondern die verbleibende wirksame Hilfe gemeint, nachdem sich alle anderen Hilfen als wirkungslos erwiesen haben. Die Supermacht Assur rettet nicht. Militärische Macht rettet nicht. Die Anbetung menschlicher Machbarkeit und die Götzenbilder retten nicht.

Gott als „letzte Hilfe“ ist bei manchen verpönt. Man meinte, er würde so zum Lückenbüßer und der Verweis auf ihn sei bloße Vertröstung. Es käme allein auf menschlich leistbare Hilfe hier und jetzt an.

Viele von uns wurden in diesem Jahr an die Wirksamkeit und die Grenzen menschlicher Rettungsmacht erinnert. Wir dürfen die nicht klein reden. Jede Hilfe ist Gottes Hilfe, weil Gott immer auch durch Andere hilft und rettet. Aber es kommt der Moment, an dem keine menschliche Hilfe hinreicht, damit wir die nächste Wegstrecke gehen können.

Bei Hosea ist diese verbleibende Hilfe Gottes nicht das Ende, sondern der Beginn neuen, reichen, fruchtbaren Lebens, den der Prophet in den Bildern des paradiesischen Libanon beschreibt, der heute so schwer verwundet ist.

Du warst meine allererste Hilfe,
noch bevor Deine Ersthelfer
kamen.

Du bist meine letzte Hilfe,
wenn Deine Letzthelfer
die Hände sinken lassen.

Deine letzte Hilfe
ist meine erste Hilfe
in das neue Leben,
das hier beginnt –
so herrlich
wie der Libanon.
Amen.

Fra’ Georg Lengerke

Schott Tagesliturgie

Rebellische Vaterliebe Hos 11, 1-4.8a.c-9

Eine Mutter erzählt von der Erfahrung, ihr Kind empfangen, getragen und geboren zu haben. Ein Vater erinnert sich an die ersten Momente, Monate, Jahre mit seinem Kind. Alles steht lebendig vor Augen: Die Schwangerschaft, der erste Anblick, der immer mehr aus sich heraustretende kleine Mensch, der irgendwann zu krabbeln, zu laufen, zu sprechen beginnt.

Die Eltern erinnern sich an durchbangte Gefährdungen und durchgestandene Krankheiten. An Wege mit dem Kind an der Hand, im wörtlichen und im übertragenen Sinn…

So erzählt Hosea das Verhältnis Gottes zu seinem Volk. – Bis hinein in die Entfremdung. Die ist nicht dasselbe wie das Herauswachsen aus der Verantwortung der Eltern, das Reifen in die Verantwortung für das eigene Lebenshaus und später für die alten Eltern.

Die Entfremdung, von der Hosea spricht, ist eine Verleugnung der eigenen Herkunft und Geschichte. Sie beginnt mit Verwechslung und Tausch des Gebers aller Gaben mit anderen Mächten und Gewalten. Und sie mündet in den Hass auf die lästige Treue dessen, der zugleich frei gibt und liebt.

Die Vaterliebe Gottes ist nicht die des Psychopathen, der sein Kind schlägt und sagt, die Schläge schmerzten ihn selbst mehr als das Kind. Sie rebelliert gegen die Folgen seiner Selbstverdammung. Sie erträgt es nicht, nicht beim Kind zu sein. Sie wird selbst Kind, in allem den Kindern gleich – bis auf die Trennung von Ursprung und Ziel. Sie geht ihnen nach, bis in die äußerste Finsternis, in die sie sich verloren haben.

Du selbst erzählst uns
in Deiner Menschwerdung
Deine Liebesgeschichte mit uns.
Zu erzählst sie zu Ende
bis zu dem großen Anfang,
in dem wir eins sind
in Dir.
Amen.

Fra’ Georg Lengerke

Schott Tagesliturgie

Grüße aus Neuland Hos 10,1-3.7-8.12

Ich bin bei „Und-ab-jetzt-wird-alles-anders“-Parolen immer etwas skeptisch. Das gilt für Abnehm-Ratgeber genauso wie für „Kirche-neu-träumen“-Projekte. Oftmals ist hinterher der Beratene dicker und der Zustand der Gemeinde desolater als zuvor.

„Nehmt Neuland unter den Pflug!“, ruft der Prophet Hosea in einer sozial und religiös desolaten Situation aus. Heute ist auch dieser Satz ein sicherer Kandidat für die Liste kirchlicher „Ab-jetzt-wird-alles-anders“-Parolen.

Aber als ich ihn damals las, kam mir meine Entscheidung, Priester zu werden, genau so vor: Wie der Aufbruch in ein neues Land, das ich nicht kannte und in dem zu wohnen ich mir bis dahin nicht vorstellen konnte. Der entscheidende Schritt war vielleicht, es glaubend für möglich zu halten, dass Gott mir das schenken kann: um seinetwillen so leben zu wollen.

Wo es mir wirklich um Gott und mit Gott um den Menschen geht, da kommt „Neuland“ zum Vorschein. „Neuland“ ist nicht „Traumland“, nach dem man sich vergeblich sehnt. „Neuland“ ist auch nicht das, worum es Verbänden, Gewerkschaften und Parteien auch schon geht – und „neuerdings“ endlich auch der Kirche.

Denn Gerechtigkeit ist wichtig, aber sie ist nicht Gott. Identität ist wichtig, aber sie ist nicht Gott. Klima ist wichtig, aber es ist nicht Gott. Die Gesundheit ist wichtig, aber sie ist nicht Gott.

Alle diese Themen machen von Gott her und auf Gott hin neu Sinn. Und diese Perspektive aufs „Neuland“ schulden wir dem gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Diskurs.

Wenn wir Gottes Gerechtigkeit säen, werden wir seine Liebe ernten, sagt Hosea. Und wenn wir Gott suchen, werden wir mit ihm auch den Menschen wiederfinden.
Fra’ Georg Lengerke

Schott Tagesliturgie