Selig6: Herzensrein Mt 5,8

Selig, die rein sind im Herzen; denn sie werden Gott schauen (Mt 5,8).

Die Herzensreinheit ist eine oft belächelte Tugend. „Gute Mädchen kommen in den Himmel. Böse Mädchen kommen überall hin!“ Wer ein reines Herz hat, hat irgendwas verpasst.

Dahinter liegt das große Missverständnis, der biblische Sündenfall sei doch eigentlich ein Glücksfall gewesen. Endlich sei der Mensch frei, könne Gut und Böse unterscheiden und Verantwortung übernehmen.

Aber Adam und Eva wussten schon vorher, was gut und böse war. Wir müssen das Böse nicht tun, um es zu kennen. Der Sündenfall besteht darin, sich die Erkenntnis von Gut und Böse von Gott nicht mehr schenken zu lassen, sondern sie sich zu nehmen.

Danach war nichts mehr Gabe und Geschenk. Weder die Schöpfung noch ihre Früchte, die Eva für den Adam nicht und der Adam für die Eva nicht. Es wird einem nix geschenkt. Was ich haben will, muss ich mir nehmen. Deshalb die Feigenblätter.

Der Sündenfall hat die Freiheit nicht gemehrt, sondern versaut. Seitdem ist die Herzensreinheit der Unfreiheit verdächtig. Aber der Mensch mit reinem Herzen hat nichts verpasst. Er schaut auf seinen Nächsten, auf Dinge, Nahrung und Natur mit einem „keuschen“ Blick. Er verzichtet darauf, sie gedanklich oder faktisch an sich zu reißen und sich einzuverleiben. Er unterscheidet die Gabe vom Unverfügbaren und lässt sich beschenken.

Die reine Absicht des reinen Herzens ist die angemessene Antwort auf die Würde der Schöpfung. Mit ihr beginnen wir schon hier den unverfügbaren Gott zu schauen.

Schenke uns ein reines Herz,
das Deinen Willen kennt und liebt,
das die Welt in Deinem Lichte sieht,
das offen ist für Deine Gaben
und in allem Ausschau hält
nach Dir.
Amen.

Fra’ Georg Lengerke

Schott Tagesliturgie

Selig5: Beim armen Herzen Mt 5,7

Selig die Barmherzigen; denn sie werden Erbarmen finden. (Mt 5,7).

In der Kirche wird das Gebot Jesu an uns oftmals zur Forderung an die Anderen: „Seid barmherzig.“ (Lk 6,36) Manchmal, damit die Anderen sich ändern, so dass ich bleiben kann, wie ich bin; häufig aber auch als Ausdruck der schmerzlichen Erfahrung, kein Erbarmen gefunden zu haben.

Die Antwort der Seligpreisungen lautet: Erbarmen findet, wer barmherzig ist. Barmherzigkeit ist nicht die freundliche Alternative zu einer unfreundlichen Gerechtigkeit. Opfer haben selten Interesse an Barmherzigkeit gegenüber den Tätern.

Barmherzigkeit und Gerechtigkeit gewährleisten einander. Ohne Barmherzigkeit wird die Gerechtigkeit zur Grausamkeit und ohne Gerechtigkeit ist die Barmherzigkeit die „Mutter der Auflösung“, sagt Thomas von Aquin.

Barmherzig ist, wer beim armen Herzen ist. Sei es verletzt oder schuldig geworden.

Barmherzigkeit hat ein Herz für die Opfer um der Heilung Willen und ein Herz für die Täter um der Umkehr Willen. Sie nennt das Böse nicht gut, sondern hält es aus. Im Konflikt zwischen Anspruch und Wirklichkeit presst sie weder die ungerechte Wirklichkeit in den Anspruch der Gerechtigkeit, noch löst sie den Anspruch der Gerechtigkeit in der Wirklichkeit auf.

Ein hartes Herz kann nicht barmherzig sein, weil es sich von nichts bewegen lässt. Ein weiches Herz kann nicht barmherzig sein, weil es sich von allem bewegen lässt. Die Barmherzigkeit braucht ein festes, entschiedenes und mutiges Herz, das weiß, was es soll und will.

Bilde unser Herz
nach Deinem Herzen
und schenke uns ein Herz
für die Armen.
Lehre uns,
die Barmherzigkeit zu üben
und zuzulassen
nach der unser erschöpftes, wundes Herz
sich sehnt.
Amen.

Fra’ Georg Lengerke

Schott Tagesliturgie

Selig4: Hunger nach Gerchtigkeit Mt 5,6

Selig, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit; denn sie werden gesättigt werden (Mt 5,6).

Hunger und Durst sind unsere elementarsten Bedürfnisse. Deshalb sind sie in der Bibel auch ein Bild für das Lebensbedürfnis „nicht nur [nach] Brot allein, sondern [nach] jedem Wort, das aus Gottes Mund kommt“ (Mt 4,4; Dtn 8,3). Wie der durstige Hirsch nach Wasser schreit (Ps 42,2), so schreit die Seele des Psalmisten nach dem lebendigen Gott. „Die Speise“ Jesu schließlich ist es, den Willen des Vaters zu tun (Joh 4,34).

Nun ist der Hunger nach Gerechtigkeit groß bei denen, die unter der Ungerechtigkeit leiden. Der Appetit auf Gerechtigkeit ist häufig sehr viel kleiner bei denen, die von der Ungerechtigkeit ganz gut leben. Das gilt vom Mikrokosmos unserer Beziehungen, wirtschaftlichen Verhältnisse und Erbsachen bis hin zum Makrokosmos der Verhältnisse von Staaten und Kontinenten, ihrer wechselvollen Geschichte und internationalen Beziehungen.

Vollends gesättigt werden Hunger und Durst nach Gerechtigkeit von der Gerechtigkeit Gottes, der gerecht macht und dem Menschen ganz gerecht wird.

Deshalb ist die Rede von Gottes Gericht so wichtig. Damit nicht wir als letztes übereinander richten. Damit nicht die Unbarmherzigkeit und nicht wir über andere und nicht andere über uns das letzte Wort haben. Denn Gott allein ist ganz gerecht und ganz barmherzig.

Guter Gott,
wecke in uns Hunger und Durst
nach Gerechtigkeit,
dass wir an der Ungerechtigkeit leiden,
auch wo sie uns entgegenkommt.
Und schenke uns die Sehnsucht
nach Deinem Gericht
das uns vom Urteil der Menschen befreit
und uns Deine Gerechtigkeit schenkt,
der Du allein gerecht und barmherzig bist.
Amen.

Fra’ Georg Lengerke

Schott Tagesliturgie

Selig3: Sanft und mutig Mt 5,6

Selig die Sanftmütigen; denn sie werden das Land erben (Mt 5,5).

In der alten Einheitsübersetzung stand hier „Selig, die keine Gewalt anwenden“. Das war mehr eine Interpretation als eine Übersetzung des Urtexts. Nun mag „sanftmütig“ etwas altertümlich und weichlich klingen. Gemeint sind Menschen, deren Gemüt mild, freundlich und bedacht ist – aber deswegen nicht weniger mutig.

Sie haben Geduld und Leidensmut, weil sie länger als andere ertragen, was eine heftige Reaktion durchaus nachvollziehbar macht. Die Sanftmütigen glauben der Hoffnung.

Das lerne ich gerade mit meinen jungen Mitbewohnern: Eigentlich sollte ich jetzt etwas sagen. Aber wenn keine Gefahr im Verzug ist, ist es besser, für einen der nächsten Tage einen Kaffee oder Spaziergang zu verabreden. Die Dinge sehen dann ein wenig anders aus und wir beide sind etwas bessere Menschen als wir es gewesen wären, hätte ich gleich interveniert.

Viele von Euch wissen schmerzlich, wie sehr eine in der Hitze geschriebene und gleich gesendete E-Mail einen Tag später von der Tugend der Sanftmut profitiert hätte.

Gerade den Sanftmütigen wird verheißen, worum sich andere Jahrtausende lang bekriegen: „Sie werden das Land erben.“ Jesus erinnert an das Gelobte Land und an den weltweiten Kampf um heiliges Terrain bis heute.

Das Land, das durch Sanftmut gewonnen wird, ist das mit Gott versöhnte und von seinem Wort und Wirken geformte Leben des einzelnen und der Gemeinschaft. Die Ausläufer dieses Landes reichen bis vor unsere Füße.

Schenke uns, Gott,
ein sanftes Gemüt.
Lass uns
Deinem Wirken Raum geben,
das uns führt
„in das Land der Verheißung,
des Lichtes und des Friedens“ (1. Hochgebet),
das vor unseren Füßen beginnt.
Amen.

Fra’ Georg Lengerke

Schott Tagesliturgie

Selig2: Trauer statt Kloß Mt 5,4

Selig die Trauernden; denn sie werden getröstet werden (Mt 5,4).

Traurigsein ist keine Bedingung für Seligkeit. Und Verzagtheit ist keine Gabe des Heiligen Geistes (2 Tim 1,7). Die Trauernden sind nicht selig, weil sie trauern, sondern weil sie getröstet werden. Daran ist umso mehr zu erinnern, je größer die Versuchung zum Besorgt- oder Gekränktsein in der Kirche und der Gesellschaft ist.

„Selig, die Leid tragen“ steht in der Übersetzung Luthers. Bis zu einem gewissen Grad können und sollen wir entscheiden, welches Leid, welche Trauer wir eigentlich tragen sollten, und welche nicht. Gründe, traurig oder verletzt zu sein, gibt es immer und überall. Aber viele davon gehen uns einfach nichts an oder sind nicht so schlimm wie es unsere Empfindlichkeit (oder „mangelnde Resilienz“) uns weismachen will.

Die Trauernden, die Jesus seligpreist, sind jene, die ihr Leid und ihre Trauer erkennen und annehmen. Denn das andere Extrem gibt es ja auch: Jene Christen, die nicht mehr traurig sein können oder ein gesundes Schmerzempfinden verlernt haben – entweder weil sie keine Schwäche zeigen können oder wollen oder Trauer für unvereinbar mit der Erlösung Jesu Christi halten.

Aber Erlösung und Trost geschehen ja gerade dort, wo Gott sich des Menschen in seiner Schwachheit und Traurigkeit annimmt. Das beginnt in der tröstlichen Zuwendung von Menschen und vollendet sich endgültig dort, wo Gott sich als der gekreuzigte Mensch in die abgründigste Traurigkeit der Gottverlassenheit des Menschen begibt.

Sende den Trauernden Deinen heiligen Geist,
den „besten Tröster“,
und sei uns nahe
in Deinem Sohn.
Damit wir zu Dir finden,
zusammen mit Maria,
der Trösterin der Betrübten.
Amen.
Fra’ Georg Lengerke

Schott Tagesliturgie