Ich sitze in einer unbekannten Gesprächsrunde. Wir sprechen darüber, was wer beruflich macht, als einer mich fragt: „Und, wie ist das so, mit einer Lebenslüge zu leben?“
Offenbar fand er, dass der priesterliche Zölibat eine einzige verlogene Heuchelei sei.
Ich habe mich sehr geärgert. Aber anstatt wütend zu werden, lächelte ich die Sache weg. Doch die Frage hat mich – und zwar anders als beabsichtigt – nicht losgelassen: „Wie ist das, mit einer Lebenslüge zu leben?“
Jesus erzählt von zwei Söhnen, die ihr Vater beide zur Arbeit in den Weinberg schickt. Der eine weigert sich und geht dann doch. Der andere sagt Ja, geht aber nicht hin.
Wie ist das mit meinen Lebenslügen, wenn ich mich Christ nenne, aber lebe, als gäbe es Gott nicht? Oder wenn ich von anderen selbstverständlich erwarte, was ich selbst nicht zu leben vermag? Oder wenn ich Menschenrechte für heilig halte, sie aber Menschen erst ab einem bestimmten Alter zugestehe?
„Die Zöllner und die Dirnen haben Johannes geglaubt“, sagt Jesus den religiös und moralisch Etablierten, „ihr aber habt nicht bereut und ihm nicht geglaubt“.
In der Fazenda da Esperanza in Brasilien bin ich einer jungen Frau begegnet, die als Mädchen einen Mann umgebracht hat, in dessen Abhängigkeit sie geraten war. Sie sagte mir: „Für die Menschen war ich nur noch ein Stück Dreck. Und ich habe einen Gott kennen gelernt, der mich liebt und mich heil macht – obwohl ich eine Mörderin bin.“
Seitdem halte ich Ausschau nach denen, die erst Nein gesagt und dann zum Ja gefunden haben, damit ich von ihrem Ja zur Liebe Gottes lernen kann.
Mittlerweile bin ich dem Flegel fast dankbar für seine pampige Gewissensfrage: „Wie ist das, mit einer Lebenslüge zu leben?“
Fra’ Georg Lengerke