BDZ vom 29. Juni 2025
Predigt in der Hl. Messe zur Generalversammlung der Deutschen Malteser Assoziation am 28. Juni 2025 im Dom St. Bartholomäus, Frankfurt/M.
Liebe Schwestern, liebe Brüder,
jedes Jahr wird bei der Aufnahme neuer Mitglieder in den Malteserorden ein Abschnitt aus dem Epheserbrief (6,10-20) gelesen, der bei den Zuhörern gemischte Gefühle hervorruft. Kein Wunder. Es ist ein Aufruf zum Kampf. „Werdet stark durch die Kraft und Macht des Herrn!“, beginnt der Text. „Zieht an die Waffenrüstung Gottes, um den listigen Anschlägen des Teufels zu widerstehen.“
Muss das sein?
Muss das sein?, werden sich einige von Euch fragen. Haben wir nicht schon genug Kämpfe in der Welt? Sollen wir nicht Frauen und Männer des Friedens sein? Und gilt das nicht gerade angesichts der blutigen Kriege unserer Vorfahren?
Aber Paulus ruft die Christen nicht zum Krieg auf, sondern zum geistlichen Kampf. Und das ist die Auseinandersetzung mit den Kräften, Mächten und Methoden, die uns am Guten hindern und sich unser bemächtigen wollen. Das beginnt im Kleinen mit dem Kampf um‘s Aufstehen, um Bewegung oder um das rechte Maß beim Essen. Und es führt uns im Großen bis zum Kampf gegen die Lüge, die Gleichgültigkeit oder die Verachtung – in uns und um uns herum – und für die gottgeschenkte Würde eines jeden Menschen.
Dieser Kampf gehört zum Leben. Auch gerade um des Friedens willen. Wer nicht kämpft, der bleibt bereits morgens liegen, der traut sich nichts, dem geht es um nichts. „Wenn ich nicht kämpfe“, sagte mir neulich jemand, „werde ich faul, fett und feige.“ Wer nicht kämpft, wird angepasst und dumm. Er liebt nichts, wofür sich zu streiten, und niemanden, für den sich zu leben lohnt. Und wer Macht hat, aber nicht kämpfen will, der wird entweder die Auseinandersetzung verbieten oder den Gegner ausschalten. Wer aber den Streit verbietet, provoziert den Krieg.
Mir scheint allerdings, es mehren sich auch die Stimmen, die es auf der anderen Seite mit dem geistlichen Kampf übertreiben: Wir müssen immer kämpfen, sagen sie, und zwar mit allen Mitteln. „Choose your battles wisely“, heißt es dagegen. Wir sollen jene Kämpfe kämpfen, die unvermeidlich sind, nicht um Kleinkram, sondern um Güter, die den Kampf wert sind, und mit Mitteln, die gut sind. Denn wer mit bösen Mitteln für das Gute kämpft, kämpft bereits für die falsche Seite.
Gegen die Mächte und Gewalten
Worin besteht nun der geistliche Kampf? Das älteste Missverständnis räumt Paulus gleich am Anfang ab: „Wir haben nicht gegen Menschen aus Fleisch und Blut zu kämpfen, sondern gegen Mächte und Gewalten, gegen die Weltherrscher dieser Finsternis, gegen die bösen Geister in den himmlischen Bereichen.“ (Eph 6,12)
Geistlicher Kampf beginnt nicht zwischen uns, sondern in uns. Er richtet sich nicht gegen Menschen, sondern gegen Geister. Und das sind Dynamiken, Bewegungen, Versuchungen und Verführungen, die uns daran hindern, das Gute zu denken, zu sagen und zu tun und die uns so von Gott, dem höchsten Gut, trennen.
Das Böse beginnt in uns, sagt Jesus. Ehebruch beginnt im Kopf, nicht im Bett (Mt 5,28), und „aus dem Herzen kommen böse Gedanken, Mord, […] Unzucht, Diebstahl, falsches Zeugnis, Lästerung“, sagt er jenen, die allzu sehr mit ihrer äußeren Reinlichkeit beschäftigt sind (Mt 15,19). Wer seine Abgründe nicht kennt, sich ihnen nicht stellt, sie nicht dem Erbarmen Gottes öffnet, der wird sie immer draußen suchen und bekämpfen – mit Vorliebe bei den Anderen – während in ihm selbst das Böse, die Bitterkeit, das Gekränktsein fröhliche Urständ feiern.
Für den Gegner – gegen Irrtum und Sünde
Wenn wir auf diese Weise den geistlichen Kampf gegen das Böse in uns aufnehmen, dann hat das auch Folgen für die Weise, wie wir miteinander streiten. Denn es kann ja sein, dass der geistliche Kampf sich auch zwischen uns ereignet. Aber eben nicht so, dass wir „gegen Menschen aus Fleisch und Blut“ und also gegeneinander kämpfen, sondern gegen das, was in uns und um uns ist und wirkt und das Leben zerstört.
Dahinein gehört auch das Gebot der Feindesliebe. Die Feindesliebe macht aus Feinden ja nicht gleich Freunde, sondern zunächst mal Gegner. Feinde kämpfen gegeneinander und wollen einander unterwerfen oder vernichten. Gegner bekämpfen nicht einander, sondern kämpfen miteinander um etwas. Sie achten einander und bekämpfen nur, was der andere sagt oder tut oder wofür er steht.
Wer geistlich kämpft, vergisst nie die Würde seines Gegners. Er kämpft nicht gegen ihn, sondern um ihn. Mehr noch, er kämpft für ihn gegen den Irrtum und die Lüge, den Hass und die Sünde. Er will nicht gegen ihn gewinnen. Er will ihn gewinnen – für die Wahrheit und die Liebe, indem er seinen Irrtum widerlegt, seiner Meinung widerspricht oder seine Tat verhindert.
Und für den, der geistlich kämpft, kann eine Niederlage der eigentliche Sieg sein. Nämlich dort, wo die Wahrheit des Gegners meinen Irrtum und meine Schuld aufdeckt und überführt. Auch die Korrektur durch meinen Gegner gehört zu den Sprachen Gottes.
An zwei Fronten um die Mitte
Ich habe eingangs bereits zwei Extreme genannt: gar nicht kämpfen oder mit allen Mitteln um alles kämpfen. Der geistliche Kampf ist immer ein Kampf an zwei Fronten: gegen die Untertreibung und gegen die Übertreibung, gegen die Vernichtung und die gegen die Überhöhung, gegen die Verachtung und gegen die Vergötzung.
Im geistlichen Kampf geht es immer um die Mitte. Die geistlichen Lehrer beschreiben dieses Ringen um die Mitte zum Beispiel im Kontext der Tugenden, die immer gegen ihren Mangel und ihr Übermaß verteidigt werden müssen: die Klugheit gegen die Gerissenheit und gegen die Unentschlossenheit; die Gerechtigkeit gegen den Legalismus und gegen die Ungerechtigkeit; die Tapferkeit gegen die Tollkühnheit und gegen die Feigheit; und das rechte Maß gegen die Genusssucht und gegen einen lebensfeindlichen Asketismus.
So ist es in jeder Auseinandersetzung um welches Gut auch immer, wenn wir im geistlichen Kampf stehen: Wer sich nur noch nach einer Seite abgrenzt, wer nur noch einen Gegner kennt, der ihm immer mehr zum Feind wird, und nicht mehr nach zwei Seiten wachsam ist, der ist dem Teufel schon auf den Leim gegangen.
Es mag sein, dass wir uns im geistlichen Kampf zu einer extremen Entscheidung durchringen: zum Beispiel unser Leben für einen anderen zu geben oder lieber zu leiden als eine Sünde zu begehen. Aber der geistliche Kampf ist nie extremistisch. Er ist immer ein Kampf um die Mitte.
Die Mitte ist die Liebe
Und die Mitte ist die Liebe. Die Mitte ist Christus, in dem die Liebe Gottes zu allen Menschen menschliche Gestalt annimmt und alle Menschen an sich zieht. So wie der Baum des Lebens in der Mitte des Paradieses steht, so steht das Kreuz Jesu aufgerichtet in der Mitte zwischen den Kreuzen der Sünder, so steht Jesus in der Mitte der Menschen, in der Mitte der Welt. Auch noch im Extrem menschlichen Hasses, auch noch am äußersten Rand menschlicher Aufmerksamkeit oder weitab der Prioritäten der Welt – ist Jesus Christus die Mitte. Er ist das Herz der Welt.
Der geistliche Kampf hat letztlich nur ein Ziel: die Verbundenheit mit Jesus Christus. Das Ankommenlassen seiner Worte und Taten, ja, seiner Liebe bei uns und bei unseren Nächsten. Das Ziel des geistlichen Kampfes ist seine Liebe zu uns und die Mitliebe mit ihm und die Anteilnahme an seiner Freude und seinem Leiden – um der Liebe willen.
Die Liebe kämpft für uns und um uns
Und je näher wir ihm kommen – umso mehr werden wir erfahren, dass im Kampf der Liebe im Tiefsten immer er es ist, der kämpft. Das nimmt dem geistlichen Kampf die unerlöste Angestrengtheit religiösen Übereifers und schenkt uns eine Gelassenheit, die wir nicht selber machen können. Wir kämpfen nicht alleine, sondern mit ihm, der unser König ist und dessen Ritter und Damen der Liebe wir sein wollen. An seinem Leben können wir ablesen, wie die Liebe kämpft und worum es ihr geht. Es geht ihr um uns. Es geht ihr um Euch. Und es geht ihr um die, zu denen Ihr gesandt seid.
Er kämpft nicht gegen uns. Er kämpft mit uns, wo wir um die Liebe ringen. Er kämpft für uns und gegen unsere Sünde, unsere Gleichgültigkeit und unsere stolze Verweigerung, uns lieben zu lassen und zu lieben. Dieser Kampf ist seit Ostern schon entschieden. Deshalb erzählen die alten Lieder und Bilder vom „Ostersieg“. Im Kampf des Lebens gegen den Tod, der Liebe gegen die Bosheit hat die Liebe schon gesiegt. Der Krieg ist gewonnen – auch wenn noch nicht alle Schlachten geschlagen sind.
Zuletzt: Sich von der Liebe für die Liebe gewinnen lassen
Ein Letztes bleibt noch: Die Liebe will nicht gegen uns gewinnen. Die Liebe will uns gewinnen. In Christus kämpft Gott um uns. Und geistlicher Kampf heißt: sich von der Liebe für die Liebe gewinnen lassen.
Als bei der Messe zur Generalversammlung 2023 in Münster Bischof Felix die Neuaufgenommenen segnete, sang der Domchor die alte deutsche Fassung der gregorianischen Antiphon „Da pacem, Domine“ von Mendelssohn-Bartholdy:
“Verleih uns Frieden gnädiglich,
Herr Gott, zu unser’n Zeiten.
Es ist doch ja kein andrer nicht,
der für uns könnte streiten,
denn du, unser Gott, alleine.”
Amen.
Zu Mendelssohn-Bartholdys „Verleih uns Frieden gnädiglich“: https://open.spotify.com/embed/track/1p1jKcXyk9IOR9WviGLMnK?utm_source=generator
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