Wen mehr lieben? Mt 10,37–42

Ein Abendessen bei meinen Eltern nach dem Jura-Examen. Ich hatte ihnen schon gesagt, dass ich Priester werden wollte. In einer launigen Rede hatte mein Vater meinem Freund und Lerngenossen Thomas gedankt, dass ich dank seiner wenigstens das Erste Examen geschafft hatte. Dann redete ich. Nur kurz. Über „Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, ist meiner nicht wert…“

Es spricht für meine Eltern, dass das die Stimmung des Abends nicht verdarb. Sie waren gar nicht grundsätzlich gegen meine Entscheidung, so dass ich mit ihnen irgendwie hätte „brechen“ müssen. Es war eher das Pathos des Frischverliebten, der zuhause einen etwas markigen Abgang machen wollte.

Vielleicht wollte ich mir mit dem Satz auch einfach nur nochmal selbst Mut machen.

Ich wusste, dass Jesus nicht gesagt hatte: „Wer Vater oder Mutter weniger liebt als mich, ist meiner wert.“ Er hatte nur gesagt, dass die Allernächsten nicht die Allerersten sein dürfen.

Selbst wenn meine Eltern ganz dagegen gewesen wären, weil z.B. ein Unternehmen gefährdet, eine Tradition zuende oder eine Familie ausgestorben wäre – ich hätte nicht einlenken dürfen.

Genauso wenig wie Väter ihren Söhnen ihre Spielschulden bezahlen oder Mütter sich von der Selbstmorddrohung ihrer Töchter erpressen lassen dürfen.

Wenn wir unsere Nächsten mehr lieben, als den, der die Wahrheit und Liebe selbst ist, dann ist das das tödliche Gegenteil von Liebe.

Lass nicht zu,
dass ich meine Nächsten
mehr liebe als Dich.
Damit meine endliche von Deiner unendlichen,
meine zerbrechliche von Deiner unzerstörbaren,
meine zögerliche von Deiner zuvorkommenden Liebe zu ihnen
lernt und geformt wird.
Amen.

Fra’ Georg Lengerke

Schott Tagesliturgie